58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Fußball als Freiheitskampf
„Football under cover“ (Ayat Najafi, David Assmann, D 2008)
Auf einem staubigen Fußballfeld vor dem Hintergrund Teherans übt eine junge Frau in schwarzem Gewand und Kopftuch Torschüsse. Die junge Frau heißt Niloofar, sie ist Teammitglied der iranischen Frauen-Nationalmannschaft.
In Berlin trainiert Linksverteidigerin Marlene mit dem Kreuzberger Verein „BSV AL-Dersimpor“. Ein iranischer Freund hat ihr von der iranischen Frauen-Nationalmannschaft erzählt: Dass sie noch nie gegen einen anderen Verein ein Match ausgetragen haben. Die Idee eines Freundschaftsspiels Teheran-Berlin-Kreuzberg und eines Dokumentarfilms ist geboren. Der Clubpräsident und die Mannschaft stimmen zu. Doch es wird über ein Jahr dauern, bis das Spiel tatsächlich stattfinden kann. Dazwischen werden viele Kämpfe mit den iranischen Behörden ausgetragen, Sponsoren abspringen und alle Beteiligten fast den Glauben an das Match verlieren.
Marlene und Ayat reisen nach Teheran, die ersten Gespräche laufen gut, sogar ein Sponsor findet sich. In Niloofar, der iranischen Nationalspielerin und glühenden Beckham-Verehrerin, findet Marlene gar eine Mitstreiterin auf iranischer Seite. Die junge Frau entwirft ein Poster und wirbt für das Match. Manchmal geht sie als Junge verkleidet mit tief ins Gesicht gezogener Basecap im Park Fußball spielen, stets im Bewusstsein, entdeckt und bestraft zu werden. Der Termin für das Match wird von den iranischen Behörden weiter und weiter nach hinten verschoben. Der Skandal um die iranischen Nuklearpläne wird gern als Vorwand genutzt, doch Marlene und Ayat bleiben hartnäckig.
Fußball unterm Kopftuch (Foto: Berlinale)
Während „Football under cover“ spannend die Geschichte der Organisation des ersten iranisch-deutschen Frauen-Fußball-Matches erzählt, entwirft er gleichzeitig Portraits der jungen Spielerinnen auf deutscher und iranischer Seite. So unähnlich sind sich die jungen Frauen nicht. Sie sind selbstbewusst, lieben den Fußball und wollen es den Jungs zeigen. Susu ist wie viele aus dem Kreuzberger Verein Muslimin, aber nicht orthodox. Am liebsten spielt sie gegen Jungs, weil es mehr Spaß macht, die unterzukriegen. Die energiegeladene Stürmerin mit der Berliner Schnauze ist wie ihre Mitspielerinnen neugierig auf die iranischen Spielerinnen und auf das Gefühl, mit Kopftuch zu spielen.
Als es schließlich zur sportlichen Begegnung kommt, sind nur Frauen im Stadion zugelassen. Regisseur Najafi und der Club-Präsident müssen vor den Toren warten. Kamerafrau Anne Misselwitz ist die einzige aus dem Team der Filmemacher, die filmen darf. In letzter Minute werden Kamerafrauen vor Ort organisiert, die das ungewöhnliche Event festhalten. Im Stadion jubeln mehr als tausend Frauen den Spielerinnen mit Sprechchören zu. Die Sittenwächterinnen können die Begeisterung der Zuschauerinnen kaum bändigen, kritische Stimmen werden laut: „Männer können sich im Stadion alles erlauben, aber wir sollen uns zusammenreißen.“
Marlene Assmann, ihr Bruder David und der Iraner Ayat Najafi lernten sich 2005 auf dem Berlinale Talent Campus beim Kurzfilmwettbewerb „Fußball und Kultur“ kennen. Die Drei entwickelten die Idee zu diesem Match und dem Dokumentarfilm. Die Tatsache, dass die Organisation des Freundschaftsspiels in einem Dokumentarfilm festgehalten wird, hat die iranischen Behörden nicht nur beeindruckt, sondern auch Absagen im letzten Moment verhindert, vermuten die Filmemacher. Die Filmproduktion hat gleichzeitig die Kosten für die Organisation des Spiels. Das Spiel hätte es ohne den Film und die Filmemacher also nie gegeben. Filmemachen als direkte, politische Aktion: Die Filmemacher haben ihr Ziel erreicht, einen kulturellen Austausch über den Sport zu initiieren und dem Zuschauer ihres spannenden und amüsanten Films einen vorurteilsfreien Blick auf die iranischen Lebensrealitäten zu bieten. Bestätigt sehen wir, dass das Recht auf Selbstbestimmung den Frauen in Iran von einer männlichen Machtpolitik vorenthalten wird. Allerdings zeigt „Football under cover“ iranischen Frauen, die sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht abfinden wollen und sich Freiräume suchen, auch im Fußballstadion.
Niloofar, die enthusiastische iranische Spielerin, wurde vom Match und aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen. Sie übt auf dem staubigen Fußballfeld am Rande Teherans Torschüsse. Doch als die Fußballmannschaft der Jungen zu trainieren beginnt, muss sie vom Spielfeld weichen. Das iranisch-deutsche Match war ein kleiner Schritt, aber bis Frauen auf dem Fußballplatz im Iran eine Selbstverständlichkeit werden, ist es noch ein weiter Weg. (dakro)
Football under cover, Deutschland 2008, 86 Min., DV. Idee: Ayat Najafi, Marlene Assmann, Regie: Ayat Najafi, David Assmann, Kamera: Niclas Reed Middleton, Anne Misselwitz, Schnitt: Sylke Rohrlach, Produktion: Patrick Merkle für Flying Moon Filmproduktion, Berlin