11. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Fünfte Jahreszeit Heimat

„Der Wirt, die Kneipe und das Fest“ (Margot Neubert-Maric, Gisela Tuchtenhagen, D 2007)

Friedemann Braun ist so rotgesichtig pausbäckig, wie man in der Geest wird, wenn man in der dritten Generation hinter dem Tresen des traditionsreichen Heider Hahnbeerkrogs steht. Gesund könnte man solche Schollen- und Heimatverbundenheit nennen – aber auch kurios, wenn nicht skurril.

Wie das Hahnbeer-Fest, das, seit es Landrat Peter Bur 1841 wiederbelebte, alljährlich von Silvester bis zum fulminanten Höhepunkt im Februar im Heider Stadtteil Südereggen stattfindet. Wo man südlicher in deutschen Stammlanden Karneval feiert, feiern die Heider Hähne im Korb die fünfte Jahreszeit namens Heimat. Klingt jetzt erstmal schräg, ist es auch, hat nur auch einen Aspekt von Heimat, der diese nicht nur als abstrakten und oft missbrauchten Begriff etabliert, sondern als tätige Nächstenliebe und Instrument der örtlichen Integration. Margot Neubert-Maric und Gisela Tuchtenhagens streng dokumentarische Kamera begleiten den Festumzug „über die Dörfer“ auch in soziale Einrichtungen wie Altersheime. Was die Hahnbeer-Brüder da jedes Jahr inszenieren, ist nämlich nicht nur Pflege der Tradition und ihrer Sprache, des Plattdeutschen (das der Film für weniger Heimatkundliche in Untertiteln übersetzt), sondern auch integrativer Faktor in einer Gemeinde, die das „global Denken, lokal Handeln“ mustergültig lebt. Der Film zeigt mit seiner bewusst integrativen Kamera, der die Quadratur des Kreises zwischen authentischer Nähe und dokumentierend gebotener Ferne nachhaltig gelingt, was in einem Heider Bauernschädel vorgeht, wenn es in ihm an „Zuhause“ denkt. Nichts Tümelndes nämlich, nichts „Nationales“, eher was Lokales, das allabendlich im Hahnbeerkroog sein Lokal findet.

Ja, da fließen Bier und Korn aus breitem Hahn, aber davon beseelt entdecken gestandene „Manns-Lüt“, dass sie sich haben, wenn sie Gemeinde sind. Und opfern sich dafür auf, wollen das Gemeinsame gegen die modernen Verlockungen der Vereinzelung. Heimat kann ja auch bedeuten, dass man sich in einer globalisierten Welt dennoch am je eigenen Standort geborgen fühlt, aufgehoben in einer Gemeinschaft, die der Film als nicht nur aus dem Zweck geborene, sondern innige, familiäre über Familiengrenzen hinweg zeigt. Und das durch alle Jahreszeiten, deren fünfte für die Heider Hahnbeer-Brüder die kulminierende ist.

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„Hahnbeerkrog“-Wirt Friedemann Braun (Foto: Dieter Brumm)

Und die Frauen zu diesen Männern, die sich am Stammtisch auch schon mal leidenschaftlich streiten, wer den Zug durch die Gemeinde anführen darf? Sie sind nicht bloß die „guten Seelen“, die ihren Männern den Rücken für diese kuriose Art des Ehrenamts stärken, sie sind auch kritische Instanz dafür, wie Eingemeindung wirklich geht – nämlich liebend. Liebend die Heimat, hat man sie noch nicht, man muss sie gewinnen, jedes Jahr aufs Neue. Und vor allem in eine Moderne, die abseits solcher den Menschen helfender Traditionen immer unpersönlicher und anonymer wird.

Umso schöner, dass die Filmemacherinnen (Arche-) Typen zeigen, kraftvolle Menschen, die ihre Kraft aus dem beziehen, was sie für ihre Mitmenschen tun. Das Hahnbeerfest ist zwar auch ein kollektives Gelage, mit Schwarzsauer, fachmännisch gekocht vom Hahnbeer-Wirt, und manchem „Verteiler“-Schnäppschen dazu, aber mehr noch ist es ein Fest der Nächstenliebe. Heimat wird hier zum Ort der Verbundenheit mit einem Netzwerk aus gleich Gesinnten, gleich Fühlenden, am selben kleinen Ort Wohnenden. Und dass das so wenig von der Gleichmacherei dessen hat, was man ehedem als „Heimatfilm“ bezeichnete, ist ein Verdienst der Filmemacherinnen: genau hin und darin auch sich selbst zu sehen. (jm)

„Der Wirt, die Kneipe und das Fest“, Margot Neubert-Maric, Gisela Tuchtenhagen, D 2007, 76 Min., Video. Gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H., der MSH und der Filmförderung Hamburg. Der Film läuft im Rahmen des Symposiums „Heimatfilm“ beim Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide am Donnerstag, den 10. Mai 2007, um 19.30 Uhr.

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