49. Nordische Filmtage Lübeck

Die durch die Hölle gehen

“Die Kunst des negativen Denkens” (Bard Breien, NOR 2007)

Das Plakat kündigt eine Feel-Bad-Comedy an. Über einen Rollstuhlfahrer. Die Schlange vorm Kinosaal auf den Nordischen Filmtagen ist lang, sehr lang. “Die Kunst des negativen Denkens” hat gute Mundpropaganda. Man traut Skandinaviern ohne weiteres zu, dass sie das Sujet des Behindert-Seins mit dem Genre der Komödie erfolgreich verheiraten. Doch was lockt die Leute in Scharen? Will man das Tabu-Experiment “Lachen über Behinderte” scheitern sehen? Freut sich der Deutsche, dass seine Denkweise zur Kunstform erhoben wird, wie der Titel verspricht? Auf keinen Fall kann man erwarten, dass man sich nach dem Film wirklich besser fühlen wird. Oder?

Geirr ist mit Anfang 30 nach einem Autounfall gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. In seiner Verzweiflung über seine Behinderung hat er sich tief in sein Universum dunkler Pop-Mythen zurückgezogen: Johnny Cash, der Mann in Schwarz, liegt auf dem Plattenteller. Im DVD-Player läuft ein Vietnam-Kriegsfilm nach dem anderen. Ein großkalibriger Revolver und eine Marihuana-Tüte von adäquatem Kaliber liegen stets bereit.

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Die Knarre des Pessimismus immer im Anschlag (Foto: NFL)

Seine ebenfalls junge Frau Ingvild schafft es nicht mehr, ihn aus seinem Schneckenhaus zu holen. Sie wendet sich an die Therapeutin Tori, die eine Gruppe Behinderter betreut und ihnen positives Denken eintrichtert. Und zwar mit Nachdruck. Wer dem Motivations-Guru Tori nicht folgen kann, wird gleich in der Gruppe gemaßregelt. Therapieerfolg nach Plan und mit Erfolg, so scheint es zunächst. Ingvild zwingt Geirr unter der Drohung einer Trennung, die Therapeutin samt Gruppe ins Haus einzuladen. Doch die Gruppensitzung mit Geirr scheitert auf ganzer Länge. Mit harmlosen Spielchen a la “Wer hat es am schwersten” beginnt es. Das Machtspiel zwischen Tori und Geirr verliert die Therapeutin und flieht des Hauses. Geirr treibt alle halbwegs postiv Denkenden in die allzu verständliche, totale Verzweiflung, bis sie bar jeder schützenden Illusionen bereitwillig an einer mitternächtlichen Runde Russisch-Roulette im Deer-Hunter-Style teilnehmen.

Natürlich ist “Die Kunst des negativen Denkens” eine Komödie und eine gute dazu. Mit einem rabenschwarzen Humor, der messerscharf bis auf die Knochen schneidet. Aber der Film macht sich nicht über Behinderungen lustig. Schon der erste Lacher geht auf Kosten der bemühten Therapeutin, die ihre Patienten gleich gruppenweise mit küchenpsychologischen Häppchen auf Alltagskurs bringen will. Doch das funktioniert nach keinem Phasenplan und der Weg zu einem neuen Leben führt, auch für die Partner der Behinderten, nur durch die Hölle. Bard Breien macht es uns durch den attraktiven schwarzen Humor seiner Geschichte einfach, diesen Erkenntnisweg seiner Protagonisten zu verfolgen. Nie aber verrät er dabei seine Figuren für einen flachen Lacher oder gar Slapstick. Es sind die Ängste, über die wir uns mit Geirr und den anderen Behinderten der Gruppe identifizieren. Die Angst vor dem alleine gelassen Werden, die Angst vor Hilflosigkeit, Impotenz, aber auch vor dem Versagen als Partner. Diese Ängste macht Breien in den unglaublichen Eskapaden und Verzweiflungstaten einer Nacht sichtbar. Trotzdem ist der Film keine Melancholie für Fortgeschrittene, sondern eine berührende und unkonventionelle Annäherung an den Umgang mit Behinderung.

Bard Breiens Debütfilm wurde vom norwegischen Erfolgs-Produzenten Dag Alveberg (u. a. die Elling-Filme) unter der Maßgabe eines kleinen Budgets von 1,5 Mio. Euro finanziert. Dem jungen Regisseur stellte er erfahrene Schauspieler zur Seite, die eine fantastische Ensembleleistung erbrachten. Alle Figuren halten eine Balance zwischen Komik und Tragik und bleiben gleichermaßen stark im Gedächtnis.

Alvebergs Firma Maipo Film will es mit jeweils einem kleinem Budget einer Reihe von jungen Regisseuren ermöglichen, ihre ersten Filme zu realisieren. Als Breien das Drehbuch zu “Die Kunst des negativen Denkens” vorlegte, wurde den Filmemachern klar, dass der Stoff ein zusätzliches Risiko birgt, da der Film sich zwischen die Stühle setzt. Doch die bisherigen positiven Reaktionen auf den Film belohnen den Mut von Produzent und Regisseur.

Auf die Frage des Publikums während der Vorführung auf den NFL, wie er sich nach der ersten Sichtung des Film gefühlt habe, antwortete Produzent Alveberg: “Besser”. Der Film kann natürlich auf die kollektive Erleichterung und Dankbarkeit, nicht Geirrs Schicksal zu teilen, bauen. Doch die Geschichte erzeugt ehrliche Anteilnahme am Schicksal seiner Figuren. Und darauf kommt es an. (dakro)

Kunsten a tenke negativt/Die Kunst des negativen Denkens, NOR 2007, 79 Min., 35 mm. Regie, Buch: Bard Breien, Kamera: Gaue Gunnari, Schnitt: Zaklina Stojcevska; Darsteller: Fridjov Sahein, Kirsti Eline Torhaug, Henrik Mestad, Marian Sastad u.a.

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