58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Das zweite Leben

„Sag mir, wo die Schönen sind“ (Gunther Scholz, D 2008)

Einen Film über „unser zweites Leben“ wollte er machen, so Regisseur Gunther Scholz beim Q&A nach der Premiere von „Sag mir, wo die Schönen sind“. Für die DDR-Bürger, die zumindest noch ihre Jugend in der Deutschen Demokratischen Republik erlebten, begann mit der Flucht über Ungarn oder dem Mauerfall Ende 1989 unweigerlich ein neues, zweites Leben im wiedervereinten Deutschland. Scholz zeigt anhand von neun weiblichen Biografien, wie unterschiedlich sich Lebensläufe und heutige Lebenssituationen entwickelten.

Die Idee für die Protagonisten des Films lieferte der Leipziger Fotograf Gerhard Gäbler. Im Mai 1989 veranstalte die „Leipziger Volkszeitung“ eine Miss-Wahl. Gäbler, damals Student der Grafik, portraitierte die 19 jungen Frauen mit einer Fotoserie in dokumentarischem Schwarz-Weiß und kurzen Interviews auf Kassette. Gäbler nahm jeweils ein Foto am Arbeitsplatz und eines in privater Umgebung auf. Seine Fotoserie ist heute ein anerkanntes Zeitdokument und bildet im Film den Ausgangspunkt für die neun Portraits.

So unterschiedlich die Motive der Frauen für die Teilnahme am Wettbewerb waren, so unterschiedlich waren die Hoffnungen für die eigene Zukunft. Doch die meisten Wünschen blieben fromm: Der Traum von der Modellkarriere erfüllte sich ebenso wenig wie der vom Medizinstudium. Für letzteres war die katholische Konfession hinderlich. Nicht einmal ein schönes Kleid war aufzutreiben, mit der Wohnung dauert es auch schon viel zu lange. In den kurzen Interviews von damals brach sich mancher Frust schon seine Bahn. So tolerant gegenüber den sozialistischen Bruderländern war man drüben auch nicht. Kinder zu haben mit einem Afrikaner, führte auch in der DDR zu schrägen Blicken und Hänseleien in der Schule. Manche der Frauen fanden sich dann auch auf den Leipziger Montags-Demonstrationen wieder. Eine ergriff im Spätsommer die Gelegenheit, über Ungarn zu fliehen. Ein bewusster Schritt in das zweite Leben. Heute führt die 38-Jährige eine erfolgreiche PR-Agentur in Dubai, ein Kind ist unterwegs.

Eine durchgängige Berufskarriere hat fast keine der neun Frauen erlebt. Der wirtschaftliche Zusammenbruch der DDR katapultierte auch die Bürger mit einem sicheren Arbeitsplatz zunächst in die Arbeitslosigkeit. Die Zimmerfrau im Nobelhotel arbeitete damals in der Salzstangen-Produktion, die „waren immer begehrt“. Auch vom Berufstraum Straßenbahn-Schaffnerin musste frau sich verabschieden. Das versagte Medizin-Studium führte letztendlich zu einer erfolgreichen Karriere als Innenarchitektin für eine europaweite Hotelkette. Das Studium der Politologie erahnte eine der Protagonistinnen schon vor der Wende als Fehler, sie konnte sich mit der ideologischen Einfärbung nicht anfreunden. Heute arbeitet sie als Teamleiterin in der Kundenbetreuung. Nur die Berufswahl der Hebamme hat Bestand bis heute.

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Schöne im neuen Job (Foto: Berlinale)

Die Beziehungssituationen, in denen die Frauen Mitte 30 bis Anfang 40 heute leben, unterscheiden sich nicht von denen der westdeutschen: Single, verheiratet, in Scheidung. Kinder, noch keine oder unterwegs. Das Aufziehen der Kinder sei heute problematischer, die Entscheidung falle zwischen Kinder oder Karriere. In der DDR waren Krippenplätze selbstverständlich und niemand sprach von Rabenmüttern.

„Sag mir, wo die Schönen sind“ zeichnet nicht nur ein sympathisches Gruppenportrait der ehemaligen „Schönen von Leipzig“, sondern wirft einen Blick durch ein Brennglas auf die Wiedervereinigung der zwei deutschen Staaten und ihre Folgen. Der Blick trifft neun Frauen, deren Haltung zu ihrem „zweiten Leben“ man Respekt zollen möchte, denn mit ihrem Schicksal gehadert haben sie nicht. Der Film zeigt Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zu westdeutschen Biografien auf. Vor allem aber überträgt der Film die positive Lebenseinstellung seiner Heldinnen. (dakro)

Sag mir, wo die schönen sind, D 2008, 90 Min., HD. Idee: Gerhard Gäbler, Regie: Gunther Scholz, Kamera: Peter Badel, Wolfgang Lindig, Schnitt: Gabriele Eglau, Produktion: Georg Stingl für Gunther Scholz Filmproduktion, Berlin, mit WDR und MDR

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