Vielsprachiges tapferes kleines Stillleben

„Tapfere kleine Braut“ (Gerald Koll, D 2007)

An seinem 4-minütigen experimentellen Kurzfilm „Tapfere kleine Braut“ hat der Kieler Autor, Filmemacher und Filmjournalist Gerald Koll vier Jahre lang gearbeitet. Schon das sagt einiges über den tapferen kleinen Film um ein Märchen aus Kolls lyrischer Feder. Ebenso, dass der Film seine tapfere kleine Premiere im April 2008 im fernen Litauen beim kleinen Festival „Vilnius Shorts“ feierte, danach bei Festivals in Bochum und Weimar lief und jüngst aus über 1.000 eingereichten Kurzfilmen für das 4. ZEBRA Poetry Film Festival (Berlin, 9.-12.10.2008) ausgewählt wurde. Zur märchenhaft tapferen Rezeptionsgeschichte gehört auch, dass sich die EU-Kommission im Rahmen eines Multilingualismus-Projektes für den Film interessiert, der in 14 (sic!) Sprachfassungen (plus einer 15. Fassung, in der alle Sprachen auftauchen) auf DVD vorliegt.

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Doch erzählen wir dieses tapfere kleine Filmmärchen vom Anbeginn. Es war einmal ein Stilllebenbild in Kolls Kopf: Eine „ganz in Weiß“ gekleidete Braut (Maria Debora Wolf) inmitten einer „ganz in Weiß“ verschneiten Landschaft – in einem Kahn, der nicht schwimmt, sondern unbeweglich an Land liegt, inmitten des dichten Gestrüpps in „Holsteins bewaldeten Sümpfen“. Warum sitzt sie dort und schaut sich ängstlich um (neben Zooms und einigen bewusst eingesetzten Kamerawacklern nebst eingeschnittenen Filmvorspannbildern die einzige Bewegung im Filmbild)? Das Märchen erzählt die Geschichte dieser stilllebendigen Einsiedelei in Episoden, mit denen sich die Interpretation des Bildes Stück für Stück erweitert. Ausgesetzt wurde die Braut im Walde, dass sie ein Prinz finde, der ihrer würdig sei. Doch alle, die kamen, verirrten sich im Sumpf oder versanken darin – wie ihr letzter Bräutigam Jakub. So ist die Braut zum ewigen Stillleben „in Holsteins Sümpfen“ verdammt …

„Wie verändert sich ein aus unzeitgemäßen Bildschätzen zutage gefördertes Stillleben, über das man Zeile für Zeile neue Informationen bekommt?“, so beschreibt Koll eine der ästhetischen aber durchaus auch Lebensfragen, die sein Film stellt. Das „Unzeitgemäße“, das „long ago and far, far away“, um es mit den einleitenden Worten des „Star-Wars“-Märchen-Imperiums zu sagen, der Bilder schafft Koll einerseits durch das Medium Super-8, andererseits durch eine in milde Chamois-Patina getauchte Stummfilmästhetik.

In der Tat handelt es sich um einen Stummfilm – mit nachgetragenem Soundtrack. Letzterer besteht aus dem gesprochenen Märchentext, knisternden musikalischen und geräuschigen Samples von einer alten Märchenschallplatte. Für Auf- und Abspann ist zudem eine ruckelnde Animation von weißen Papierschiffchen im Strom des Schnees montiert – auch eine Anspielung auf den Märchenfilm. Überdies hat Koll mit seinem Film auch ein Kleinod des Hörspiels/Hörfilms geschaffen und damit die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Ton im Film neu aufgeworfen.

Nämlich die, welche Bewegung in das filmbildlich nur leicht bewegte Stillleben kommt, wenn man es auch akustisch in fremdländische Sphären verlegt, versetzt, transformiert. Koll hat seinen Märchentext, der im deutschen „Original“ (wenn man denn von einem solchen sprechen wollte und sollte) von dem Kieler Rezitator und Schauspieler Henning Westphal kongenial entrückt gesprochen wird, in 13 weitere Sprachen übersetzen und von „native Speakers“ sprechen lassen und den Filmbildern unterlegt. Entstanden sind nicht nur 14 Sprachversionen (15, wenn man die multilinguale Fassung mitzählt) des Films, sondern 14 verschiedene Filme, die zusammen doch einen Film ergeben. (Man gebe sich dem Erlebnis hin, alle 14/15 Versionen am Stück zu sehen …). Gleichsam als Conclusio fungiert die multilinguale Version, indem in ihr das „babylonische“ Sprachengewirr zu Musik, zu einer Melodie verschmilzt.

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Vorspann der japanischen Fassung

„Wie verändert sich ein Bild, wenn das Bild das gleiche bleibt, aber die Sprache wechselt: Wie also wirkt das Bild, wenn es plötzlich im chinesischen oder persischen Sprachraum angesiedelt ist? Wie sieht ein Perser oder ein Chinese dieses Bild?“, fragte sich Koll. Antwort wie gesagt: 15 verschiedene Filme. Genauer: 15 Facetten eines Films, die erst zusammen den Film, seinen Charakter der unwirklichen Entrückung, des Märchenhaften, polyglott Verwirrenden, ergeben. Weniger bloß ein Film, denn eine Installation in 15 Soundtracks. Und so muss man Koll unbedingt folgen, wenn er sich vorstellt: „Am liebsten sähe ich es, wenn es einen Raum gäbe, in dem an allen Wänden dieser kleine Film läuft und der Zuschauer von Sprachzone zu Sprachzone wandeln kann, um sozusagen durch das Bad der Sprachen zu schwimmen.“ (jm)

„Tapfere kleine Braut“, D 2007, 15 x 4 Min., Super-8 / DVD, PAL 4:3, Stereo. Buch, Regie, Produktion, Kamera, Schnitt: Gerald Koll. Darstellerin: Maria Debora Wolf. Sprachfassungen gesprochen / übersetzt von: Arabisch: Ahmed Tamboly, Chinesisch: Jingfei Liang / Liu Fei, Englisch: Michael Peterward / Isabel Cole, Französisch: Nic Pluvinet / Sylvain Thévoz, Alban Lefranc, Aurélie Maurin, Italienisch: Paolo Rosellini Tognetti / Laura Majer, Christine Marendon, Fabiola Vitale, Japanisch: Masanari Ueda / Nobutake Kamiya, Persisch (Dari): Abdul Wahab Shadan / Hassina Burgan, Polnisch: Adam Gusowski / Anna M. Potocka, Portugiesisch: Leonardo Gaboardi / Tatiana Teixiera-Schneider, Russisch: Khalil Khabibullin / Polina Vologodskaya, Spanisch: Alex Gilbert / Cecilia Pavón, Alex Gilbert, Tschechisch: Jakub Jares / Jakub Drimal, Türkisch: Kayhan Karaduman / Tevfik Senocak. Die DVD ist beim Autor erhältlich: gerald.koll@gmx.de.

Video der deutschen Fassung (QuickTime, 25 MB)

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