Verlorene Räume und Identitäten

Oliver Boczek drehte in Holm/Schönberg seinen Kurzfilm „Schlüsselerlebnis“

Eine anonyme Betonferiensiedlung mit Klingelbrettern, wo man erstmal schauen muss, wie man sich zurecht findet. Szenerie für den neuesten Kurzfilm des jungen Wendtorfer Filmregisseurs Oliver Boczek. Mit „Radio Aktivität“ hatte er seine Eintrittskarte ins Kieler LowBudget-Filmbusiness, „Farbenblind“ (wir berichteten) ist noch in der Postproduktion, jetzt drehte er seinen dritten von der Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein geförderten Kurzspielfilm.

Die Geschichte ist „strange“ und ein wenig inspiriert von Kim Ki-duks „Bin-Jip“ („Leere Häuser“, 2004). Ein Mann (Martin Friederichs) verschafft sich heimlich Zugang zum Wohnraum einer Studentin (Mirjam Smejkal) und gibt sich als rechtmäßiger Mieter aus. Die Studentin kann nicht beweisen, dass eigentlich sie hier wohnt, die Polizei glaubt dem „Flat-Napper“. Was für manche Einbruchsopfer zum Trauma wird, gestaltet Boczek in seinem Drehbuch „Schlüsselerlebnis“ (AT) zur surrealen Horrorstory, in der eine Frau am Ende kaum noch glauben kann, dass sie die ist, die hier wohnt(e) und für die sie sich hielt.

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Macht sich im fremden Heim heimatlich breit: Martin Friederichs
(Fotos: Andrea Segelbach)

Lange, sterile Flurgänge im beängstigend funktionalen Stil der 70er in der Holm-Siedlung geben die Außenkulisse für diesen Psycho-Schocker ohne Schockbilder. „Ganz normal“ sieht die Kamera (Mehmet Kayabas) ins typische Interieur einer „Studentenbude“. Allein, die geschickt vom Eindringling platzierten Objekte geben die Wohnung als seine aus. „Gerade Kurzfilme müssen nicht alles erklären“, erläutert Boczek sein offenes Ende und vertraut auf die Imagination des Zuschauers in den und über die Filmbilder hinaus. „Es soll Kopfkino stattfinden.“
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Almuth Schmidt als hexerische und missgünstige Nachbarin –
im Hintergrund Regisseur Oliver Boczek

25 Leute umfasst sein Team, das am klaustrophobischen 20-Quadratmeter-Set die entsprechend „dichte“ Stimmung ganz von selbst und authentisch erzeugt. Wo der Raum eng wird, ist die Frage nach dem „wer bin ich?“ weit definiert. „Man verliebt sich in seine Darsteller“, sagt Boczek zum Casting. Martin Friederichs gab schon den perfekt „Radio-Aktiven“, jetzt den eiskalten Wohnungseroberer. „Das ist meine männliche Muse“, gesteht der Filmemacher. Ebenso kongenial kühl und aufbrausend renitent durchleidet Mirjam Smejkal ihre Wohnungsvertreibung. Sie gibt den Polizisten (Janos Hennicke, Jörn Siemsen) den aufmüpfig verzweifelten Widerpart.

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Die Polizisten (Janos Hennicke (l.) und Jörn Siemsen)
verhaften das Opfer (Mirjam Smejkal)

Siemsens Polizeiuniform wird nochmal von Maskenbilderin Jacqueline Abendroth gerichtet, bevor er für den Take vor die Kamera tritt. Er muss supercool einen Telefonhörer entgegennehmen, um die Festnahme der Studentin zu melden. Das gelingt noch nicht gleich beim ersten Dreh. Denn Kameramann Kayabas hat noch einen ungünstigen Schatten entdeckt. Die Beleuchter-Crew von Parasol richtet die Lampen nach. So weit so gut, allein, Siemsen fehlt ein Anspielpartner außerhalb des Bildes, den kurzerhand Regieassistentin Nadine Lindenau mimt. Nach vier Takes kann Boczek, der alle Szenen vor dem Online-Kamerabildschirm verfolgt, melden: „Die ist gestorben!“ Aber noch viele weitere Szenen in der Enge verlorener Räume und Identitäten werden folgen … (jm)

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