Roadmovie für ein Didgeridoo

„from Kiel to east of Warsaw“ (D 2008, Moses Merkle, Elisabeth Saggau)

Ein Mann mit seltsamen Röhren im Rucksack zieht durch die Straßen von Kiel, kommt an eine Polizeisperre. Nein, hier gibt es keinen Durchgang, denn die Polizei schützt gerade eine Nazi-Demo vor den antifaschistischen Gegendemonstranten. Die eigene Stadt scheint Phil Conyngham plötzlich fremd, noch ein Grund, mal wieder in die Fremde zu ziehen, denn in der Fremde warten neue, lehrreiche Erfahrungen.

Der gebürtige Australier Phil Conyngham ist einer der wenigen (nach eigenem Verständnis) Rockmusiker, die das Didgeridoo jenseits vom traditionellen Gebrauch bei den australischen Aborigines spielen, es mit Techno- und „Noise“-Klängen verbinden. Als solcher ist er in der ganzen Welt herum gekommen, spielte auf zahlreichen Konzerten – mit musikalischem, aber durchaus nicht finanziellen Erfolg. So erwischt ihn auch die Einladung zu einem Festival in Polen gerade auf dem Tiefpunkt seines Kontostands. Doch Phil will unbedingt nach Polen reisen – das Geld dafür erspielt er sich als Straßenmusiker. Die Straße ist ohnehin sein Konzertraum, wie der Dokumentarfilm „from Kiel to east of Warsaw“ zeigt. Die Kieler Filmemacher Moses Merkle und Elisabeth Saggau sind in Conynghams schrottreifen Tourbus mit eingestiegen, um ihn auf der Reise von Kiel über Berlin und Warschau nach Ciechanowiec mit Kamera und Mikro zu begleiten. Entstanden ist ein Roadmovie mit teilweise psychedelischen Kameraeindrücken, ein Porträt weniger des Musikers Phil Conyngham als einer existenzialistischen Lebensform von, mit und in Musik.

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Ob auf dem Kieler Weihnachtsmarkt, im Berliner U-Bahn-Schacht, unter der HighTech-Kuppel des Sony-Centers am Potsdamer Platz, am Zaun der Abhöranlage bei Berlin, von der aus zu Zeiten des Kalten Krieges der Funkverkehr hinter dem „Eisernen Vorhang“ belauscht wurde, auf einem gespenstisch anmutenden Flohmarkt an der deutsch-polnischen Grenze oder an der Straßenbahnhaltestelle in Warschau – Phil packt an jedem Ort sein Didgeridoo aus. Denn der Ort, seine Atmosphäre hat Einfluss auf seine Musik. Und diese „Outbacks“ sind trotz beißender Kälte, die seine Lippen spröde werden lässt, seine liebsten Spielorte. Nicht zuletzt wegen der Menschen, die er dort trifft: Spontane Schüler, die sich „am Wegesrand“ von der komplizierten Blastechnik des archaischen Instruments berichten lassen, aber auch (Amateur-) Musiker, die mit Phil jammen.

Am Wegesrand der Tour in den „fernen Osten“ Polens liegen auch Lehraufträge, namentlich in einer Warschauer Musikschule. Doch noch lieber lernt Phil selbst, wenn er Musiker trifft, die ebenso ursprüngliche Instrumente wie er spielen, z.B. Flöten aus Ton. Angekommen im Festivalörtchen östlich von Warschau sieht sich Phil der starken Konkurrenz der dortige Ligawa-Spieler gegenüber. Das Hirteninstrument ist eine Art Alphorn und von der Klangerzeugung her dem Didgeridoo verwandt. Am Ende gewinnt Phil beim Festival tatsächlich einen Preis. Die 800 Zloty Preisgeld reichen zwar gerade für die Rückreise nach Kiel, aber gelohnt hat sich der Tripp für Phil ohnehin aus ganz anderen Gründen.

Ebenso für die Filmemacher Merkle und Saggau, die Conyngham nicht einfach nur begleiten, sondern selbst Teil der Reise werden. Buchstäblich, aber auch im übertragenen Sinn kommt die Kamera Conyngham und seinem Lebensgefühl und -entwurf immer näher. Ein Porträt, ohne dass einfach nur porträtiert wird. Die Darstellung eines Charakters und eines Menschen und seiner Musik als Prozess, als unaufhörliche Reise und Aufbruch, ein Roadmovie (nicht nur) für ein Didgeridoo. (jm)

„from Kiel to east of Warsaw” (Von Kiel bis hinter Warschau), D 2008, 58 Min., OmU, DV, Produktion, Kamera, Ton, Schnitt: Moses Merkle, Elisabeth Saggau. Mit Phil Conyngham. Unterstützt von der Filmwerkstatt Kiel.

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