Blitzfilm: Der erweiterte Augenblick
Nachdem der Jetlag verklungen ist und die Verdauung wieder Tritt gefasst hat, wollen wir einen Rückblick auf unseren Chinabesuch wagen.
Bei dem Konzept für das erste mobile deutsche Filmfestival in China hatten wir ein glückliches Händchen. Es ist sowieso ungewöhnlich, dass ein Festival von Filmemachern organisiert wird, aber genau das sollte eine Stärke der Veranstaltungen werden. Die finanzielle Unterstützung der Kulturellen Filmförderung Schleswig Holstein und von GERMAN FILMS war in ihrer Form unkompliziert und es wurde kein inhaltlicher Einfluss genommen. Wir hatten keinen Zwang, etwas verkaufen zu müssen. So konnten wir uns darauf konzentrieren, ein Programm zusammenzustellen, das mit Experimenten und filmischen Grenzüberschreitungen einen Ausblick auf die Zukunft des Films ermöglicht. Gleichzeitig versuchten wir, mit einem denkbar weiten Spektrum vom experimentellen Undergroundfilm bis zur glatten Produktion aus dem Mainstream einen Überblick über die deutsche Filmszene zu vermitteln. Einige Filme sollten auch einen Einblick in soziale und politische Realitäten Deutschlands widerspiegeln. Und weil wir unser Publikum mit dem Programm kräftig forderten, durften leichtverdauliche, lustige Kurzfilme nicht fehlen.
Im Flieger hatten wir Geschäftsleuten über die Schulter schauen können, wie sie entnervte Berichte über ihre Chinaerfahrungen in ihre Laptops tippten. Wir hatten uns darauf eingestellt, dass Absprachen etwas sehr Relatives in dem Land sind. Und am liebsten scheint man dort spontan und in letzter Minute zu entscheiden. Aber letztendlich hat immer alles auch geklappt, was versprochen worden war. Wir lernten auch die Hürden mit Bravour zu nehmen, an denen so manch westlicher Geschäftsmann gescheitert ist. Allen Aktivitäten geht ein großes Essen voraus, bei dem es darum geht herauszufinden, ob man einander mag und vertraut. Das beste Geschäftskonzept wird scheitern, wenn man beim Menü versagt. Da wir aber gehackte Schlange, Schweineohren, Hühnerfüße und Knorpelteller, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Stäbchen aßen, sah man in uns die idealen Kooperationspartner. Das Essen scheint in dem offiziell atheistischen Land eine Ersatzreligion zu sein, und uns blieb der einmonatige Chinaaufenthalt als permanente Entdeckungsreise durch die erstaunliche Küche des Landes in Erinnerung. Unsere Nerven wurden schon strapaziert, als uns der Direktor des Filmdepartments der Kunstakademie und Professoren dann zum Essen einluden, als das Publikum bereits auf uns wartete. Das Publikum nahm es uns jedoch nicht übel und es wurde noch eine wirklich schöne Veranstaltung.
Wir versuchten, uns nicht mit den Programmen anzubiedern, denn wir wussten, dass man in China mit nicht narrativen Filmen nur wenig anfangen kann. Aber gerade weil wir viele Filmstudenten und Filmemacher im Publikum hatten, war es uns ein Anliegen, sie auch mit radikal mit anderen Ausdrucksformen und Arbeitsweisen zu konfrontieren. Das kam auch auf der anderen Seite an. Das mit der asiatischen Zurückhaltung halten wir für ein Gerücht. Die Diskussionen wurden leidenschaftlich und lautstark geführt. In China ist alles mögliche im Umbruch, und dementsprechend sind die Kulturszene und die Medien davon nicht verschont. Und für ein Land, das von einer kommunistischen Einheitspartei regiert wird, ist man dort überaus flexibel. So reichten unsere Kontakte vom Parteisekretär und Uni-Dekan über Professoren bis hin zu Aktivisten der freien Kunstszene. Und alle scheinen einander zu kennen und auch mit ungewöhnlichen Kooperationen kein Problem zu haben. So wurde der Stadtteil, der Chongqings Kunsthochschule beheimatet, offiziell mit Graffiti-Art verziert. Was von Studenten entworfen wurde, übertrugen kommunal bezahlte Wanderarbeiter auf die Fassaden. Und gerade die Institutionen wussten unseren kulturellen Konfrontationskurs zu schätzen und gaben uns nach der ersten Kostprobe gleich die denkbar größten Plattformen. In Chongqing wurden es zwei Nächte Openairfestival mit jeweils über 700 Menschen und in Suzhou 900 Zuschauern in einem Saal. Aus dem Publikum bekamen wir eine Menge rührende Zettel in gebrochenem Englisch zugesteckt und eine Frau versuchte sich auf Deutsch:
„Es gibt so grossen Unterschied zwischen deutschen und chinesischen Filmen, und die Probleme, für die wir sich interessieren, sind auch verschieden. Ihre Filme haben unseren Augenblick erweitert und uns eines frisches Gefühl gegeben!“
Man interessierte sich eher für Jugendsubkulturen als für Politik. Eine Befragung von Schülern ergab, dass kaum noch jemand Arbeiter werden möchte. Man hofft auf eine Zukunft im IT-Bereich und natürlich bei den Medien. Im Wirtschaftsboom hat sich eine Goldgräberstimmung ausgebreitet, und die Medien könnten durchaus gute Leute gebrauchen. Das Fernsehen ist einfach unglaublich. Ein Volksmusiksender bedient das Publikum rund um die Uhr mit Musikshows, die kein Stück besser sind als die deutschen, dafür aber in gewaltigen Hallen vor einem begeisterten Publikum inszeniert werden. Maos langen Marsch gibt es im Stil einer Seifenoper, ständig unterbrochen von Webespots für Coca Cola, Handys und Make Up. Der Sportsender wird nicht müde, die Olympischen Spiele in den schillerndsten Farben anzukündigen, und ein Wirtschaftssender hält einen über die aktuellen Börsenkurse auf dem Laufenden. Ein Sender ist den Verkaufshows vorbehalten, und man kann Goldkettchen, Fitness- oder Küchengeräte telefonisch bestellen. Das Ganze ist mit derart heißer Nadel gestrickt, dass es schon mal vorkommt, dass die gleiche Kurzreportage dreimal hintereinander über den Bildschirm geht und bei einigen Sendungen und Werbespots vergessen wird, den Timecode auszublenden. Viele Spielfilmproduktionen sind ausgeleuchtet wie Seifenopern, so dass selbst die ins Chinesische synchronisierten Hollywood B-Produktionen ästhetisch wohltuend wirken. Und wirklich beeindruckend ist das Faible für Kriegsfilme. Zu jeder Tageszeit befindet man sich in Grabenkämpfen mit den Japanern, oftmals auf mehreren Kanälen gleichzeitig. Das gilt aber nicht allein für das Fernsehen, auch die Straßenhändler, die raubkopierte DVDs zu umgerechnet einem Euro anbieten, haben neben den aktuellen Hollywood Blockbustern auch ein reichhaltiges Kriegsfilmsortiment – besonders die mit einem Hakenkreuz auf den Cover scheinen recht populär.
Man sucht nun den Anschluss an die medialen Entwicklungen in der Welt, und das soll so schnell gehen, dass man sich nicht lange mit der Geschichte aufhalten will, die die aktuelle Filmkultur des Westens hervorgebracht hat. Ein italienischer Gastprofessor wurde vor Ablauf seines Vertrages zurück nach Europa geschickt, denn man hatte kein Interesse an seinen Vorträgen über Fellini und andere Klassiker des italienischen Kinos. Es gibt eigentlich nur Interesse an Tarantino und Co. Wir quälten unser Publikum mit Informationen über Murnau, Fritz Lang und Faßbinder, thematisierten Produktionsbedingungen, das gesellschaftliche Spannungsfeld, in dem Filme entstehen, und die Ideen von einem subversiven Kino.
Wir kamen damit durch, weil wir auch Musikclips produziert haben, die im Bereich der Clubvisuals zuhause sind, und auch für Projektionen auf großen Rockfestivals zuständig waren. Einen international renommierten Musiker dabeizuhaben, hat auch nicht geschadet. Er wusste jede Univorlesung in einen Event zu verwandeln, arbeitete auch mit traditionellen oder experimentellen chinesischen Musikern und trat mit Popstars des Landes auf. Wir sorgten für Projektionen, in denen deutsche und chinesische Motive sich elektronisch verfremdet mischten, doch am Ende war es doch immer der Musiker, der von begeisterten kleinen Chinesinnen umringt war. In diesem Rahmen waren die von uns referierten Informationen doch wieder von großem Interesse und man ließ uns nicht ohne Diskussion gehen. Am nächsten Tag waren alle auf dem Campus ausgehängten Blitzfilm-Plakate verschwunden, sie zierten schon längst die Zimmer der Studentenwohnheime.
Für die Veranstaltung im Shanghai Duolon Museum of Modern Art gab es eine Menge Vorbestellungen und für die VIPs stellte man ein paar Reihen mit namentlich reservierten Stühlen auf. Das Blitzfilm Festival war auch hier ein Publikumsmagnet und der Museumssaal konnte die Menschenmenge nur mit Mühe fassen.
Unsere Kooperationspartner waren aus dem Häuschen. Sie planen nun nach dem Blitzfilm-Vorbild auch ein reisendes Festival für aktuelle chinesische Kurzfilme. Sie sehen China zwar im Bereich Bildender Kunst genauso an der Weltspitze wie in der Wirtschaft, doch bei Film und Musik gilt es, einiges aufzuholen. Das Blitzfilm Festival 2007 dürfte mit über 3.000 Zuschauern die bisher größte Präsentation deutschen Filmschaffens im Reich der Mitte gewesen sein, doch im nächsten Jahr, versprach man uns, solle es größer werden und in weiteren Städten stattfinden. (Karsten Weber, Filmgruppe Chaos)