Deutscher Kurzfilmpreis 2006 unterwegs: 8. Bundesweite Tournee der Kommunalen Kinos

Die besten Kurzfilme des Jahres 2006 gehen bis Ende Oktober 2007 auf Tournee durch die Kommunalen Kinos. Zwei Programme präsentieren die für den „Deutschen Kurzfilmpreis 2006“ nominierten bzw. mit dem Filmpreis in Gold ausgezeichneten Produktionen sowie die Gewinner des „Short Tiger“. Beide Preise wurden 2006 erstmals gemeinsam vergeben. Der Deutsche Kurzfilmpreis ist die wichtigste, höchst dotierte Auszeichnung für den Kurzfilm in Deutschland; der Short Tiger gilt als wertvollster Nachwuchspreis für kinotaugliche Filme bis 5 Minuten Länge.

Das Tourneeprogramm beweist, dass die kurze Form nach wie vor großes Talent voraussetzt und – nicht nur für den Filmnachwuchs – ein Experimentierfeld für technische und ästhetische Innovationen darstellt. Gleichzeitig spiegelt es die kreative Vielfalt und den großen Reichtum des Kurzfilms an aktuellen Themen wider und erhält nicht zuletzt durch die hoch talentierten, meist jungen Schauspielerinnen seine besondere Qualität.

Gerade die Kommunalen Kinos sind es, die sich über die Tournee hinaus kontinuierlich um den Kurzfilm verdient machen und ihm mit einem Programmanteil von 40% ein wichtiges Forum bieten. Die Kurzfilmkompilation in Form von Werkschauen oder thematisch kuratierten Programmen ist hier fest etabliert.

Die Tournee wird auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) durchgeführt und von ihm gefördert. Veranstalter sind die 3Rosen GmbH und die Script House GmbH & Co. KG zusammen mit dem Bundesverband kommunale Filmarbeit. Kooperationspartner sind die AG Kino – Gilde Deutscher Filmkunsttheater und die AG Kurzfilm. Der Tourneeplan und weitere Infos finden sich unter www.kommunale-kinos.de sowie unter www.kurzfilmpreisunterwegs.org.

Programm „Grenzen“

In schnellen Schnitten lässt Dirk Hendlers Clip „The Ballad Battle“ (HFF „Konrad Wolf“, ZDF/3sat) Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe als junge Hip-Hopper eines Danceclubs in einem alten Kirchengemäuer zum Poetenstreit um die Gunst der Frauen und der tanzenden Fangemeinde in Originaltexten gegeneinander antreten – und bringt so auf ungewöhnliche Weise besonders jungen Zuschauern die Balladen der Klassiker nahe.

„Motodrom“ von Jörg Wagner huldigt in zeitlos schönen Schwarz-Weiß-Bildern aus schwindel-erregenden Kameraperspektiven virtuos dem aussterbenden Gewerbe der Steilwandfahrer. Bereits die erste Sequenz mit einzelnen Zuschauergruppierungen, die simultan zu den Fahrzeugen ihre Köpfe kreisen lassen, verweist auf den Maschinenrhythmus des detailliert komponierten Meisterwerks der kurzen dokumentarischen Form. Stumme Slow Motions und atemberaubende Motorenschnelligkeit mit ohrenbetäubendem Originalton lösen sich ab – bis am Ende einer der Fahrer bewegungslos vor dem Hintergrund der in Fast Motion nach Hause eilenden Zuschauer einsam und isoliert in die Kamera blickt.

Alles andere als einfach ist die sex-, gesprächs- und ereignislose Beziehung eines jungen Paares in Maike Mia Höhnes „Eine einfache Liebe“. Von der (nur in Hochhausfassaden sichtbaren) Außenwelt abgeschirmt, macht das auf ein kühl-kahles Appartment beengte Kammerspiel die Stagnation und zunehmende Entfremdung durch isolierende Kameraeinstellungen und bruchstückhafte Sätze beklemmend deutlich. Anneke Kim Sarnau besticht durch ihre starke Präsenz und die hervorragende intensive Darstellung.

Äußerst witzig und mit mehreren überraschenden Pointen zeigt Daniel Nockes Animationsfilm „Kein Platz für Gerold“ (Short Tiger 2006) die gruppendynamischen Tücken des WG-Lebens. Mit verblüffend authentischer menschlicher Sprache, Gestik und Mimik debattieren und psychologisieren am runden WG-Tisch: ein Krokodil, ein Gnu, ein Nilpferd und ein Nashorn.

Einen philosophisch ironischen Ansatz verfolgt „Dog“ von Daniel Lang und zeigt Kalkutta aus der Perspektive eines als Hund wiedergeborenen Engländers. Diese von Dokumentarsprenkeln durchsetzte Außenperspektive ermöglicht einen undogmatischen Blick auf die indischen Missstände von Hunger und Armut.

Michael Drehers „Fair Trade“ (Kurzfilmpreis in Gold für Spielfilme über 7 bis 30 Minuten) hingegen schockiert mit seinem hochbrisanten Thema des Babyhandels zwischen Nordafrika und Europa an der Grenze zwischen so genannter Dritter und Erster Welt. Spannend und zugleich verstörend nüchtern, ohne anklagenden Off-Kommentar, zeigen die beiden Erzählstränge sowohl die naive deutsche Käuferin als auch die skrupellosen marokkanischen Babyhändler. Neben dem genialen Spiel von Judith Engel beeindrucken der innovative Schnitt (Wolfgang Weigl) und Ton (Udo Steinhauser).

Ove Sanders charmant spröder Schwarz-Weiss-Film „Hattenhorst“ (Short Tiger 2006) lässt zu den Bildern des leeren Vorführraums den einzigen Filmvorführer Juists im Off zu Wort kommen. Verschroben und leicht verbittert tut Hans Hattenhorst seine Liebe zu alten Filmen, aber vorwiegend seine schlechte Meinung zu neuen Filmen kund und gibt sich ganz nebenbei als Glenn Miller-Fan zu erkennen. – Eine Hommage an die goldene Ära des Kinos.

Programm „Süchte“

Gewinner des Deutschen Kurzfilmpreises in Gold für Spielfilme mit einer Laufzeit bis 7 Minuten ist „Zigarettenpause“ von Ralf Stadler (Kunsthochschule für Medien, Köln), der auf einer Erzählung von Daniil Charms, des genial lakonischen Erzählers der kurzen Form, beruht und uns in das fiktionale Kriegsjahr 2024 versetzt. Tatsächlich lässt die bedrückend graue, nur eine Zigarette lange, ungewöhnliche Episode in ihrer grobkörnigen Schwarz-Weiß-Ästhetik an russische Filme der 40er Jahre denken. Trotz Überwachungshubschrauber und -lautsprecher kommt es auf der Außenrampe einer Munitionsfabrik zur obskuren Begegnung zwischen einer Arbeiterin und einem Schwarzmarkthändler. Ihr knappes, emotionsloses Gespräch kreist um das vom Händler mitgebrachte Buch, in dem angeblich alles über die Wünsche der Menschen steht. Bis der Händler plötzlich verschwunden ist … Wie bei Charms (oder Tarkovskij) entsteht hier das Unheimliche aus einem scheinbar natürlichen Vorgang – und überrascht umso mehr.

In „Drei Grazien“ begeben sich die drei Faradayschen Schwestern Optik, Akustik und Schrift auf eine spannend collagierte Reise zu den maßgeblichen Erfindungen der Informationsübertragung. Diese beginnt mit dem Kinderliedvers, den Thomas Alva Edison als erste jemals gespeicherte Stimme auf seinen Phonographen sprach und führt bis ins Computerzeitalter. Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe (er)finden mit ihrer lehrreichen, aber erfreulich undidaktischen Animation eine adäquate Form und zerlegen gefundenes Material, um es mit Fotos, Zeichnungen, Texten und Tonfragmenten originell zu kombinieren.

In Hanna Dooses äußerst dichtem sozialkritischem Kurzspielfilm „Gut möglich, dass ich fliegen kann“ (in Koproduktion mit der dffb) versucht die junge Nora, ihren Vater beim Alkoholentzug zu unterstützen, überfordert sich aber zunehmend damit. Als die junge Sozialarbeiterin Jenny, in ihrer Ambivalenz hervorragend von Stephanie Stremler gespielt, zur Unterstützung in die Wohnung kommt, wird die Spannung unerträglich. Schließlich kann sich Nora nicht länger verschließen … Ein besonderes Überraschungsmoment sind die Gesangseinlagen der Protagonisten, die nicht artikulierten Gefühlen Ausdruck verleihen und am Ende für Nora eine positive Wende in Aussicht stellen: „Gut möglich, dass ich fliegen kann“.

Klar strukturiert zeigt sich Carolin Schmitz’ Dokumentarfilm „Benidorm“ (in Koproduktion mit Unafilm, Köln), der vorwiegend Senioren aus Großbritannien im spanischen Rentnerparadies beobachtet und zu Wort kommen lässt. Alternierend zwischen Weitwinkeln auf die trostlose Bettenbetonhochburg, fixen Gruppenbildtotalen, halbnahen en face-Interviews und diskreten Blicken auf monotone Hotelgänge oder Tanzflächen fällt besonders die Kameraästhetik des mit dem Kurzfilmpreis in Gold für Dokumentarfilme ausgezeichneten Films auf. Der fotografische, neutrale Blick der Kamera kommt dabei ganz ohne Kommentar aus und gibt (trotzdem) sehr genau die eigenartige Atmosphäre der künstlich anmutenden Scheinidylle wieder, ohne seine Personen zu denunzieren. „For ever and ever“ heißt treffend der Schlager, zu dem die Paare am Abend tanzen.

(nach einer Pressemitteilung des Bundesverbands kommunale Filmarbeit)

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