Zum 5-jährigen Jubiläum von infomedia-sh.de
Wischen, Wachsen, Wuchern
von Gerald Koll
Dem „Filmbrief“ werden nur Wenige nachgetrauert haben, als er im Herbst 2001 eingestellt wurde. Einer der wichtigsten Vorzüge des schmucklosen Mitteilungsblättchens der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. bestand darin, mit seinen wenigen DIN-A4-Seiten problemlos entsorgt werden zu können.
Der Nachfolger www.infomedia-sh.de versprach, die Kunden via Internet ohne Druck- und Portokosten direkter, günstiger und vollständiger zu informieren. Um die redaktionelle Betreuung zu übernehmen, wurde mein damaliger Bürokollege Jörg Meyer angesprochen. Ich riet ihm ab. Er übernahm. Ich schätze ihn noch heute. Ausgeräumt sind meine Bedenken deshalb nicht.
Mein erster Einwand war, dass der Name „infomedia-sh“ Augenwischerei sei. „infomedia sh“ – das erweckt den Eindruck, über alle Bereiche schleswig-holsteinischer Filmkultur sachlich zu informieren. Der Herausgeber aber ist der Verein Kulturelle Filmförderung. Er deckt nur einen Teil des Schaffens im Land ab – vorzüglich jenen Teil, der in den Genuss von Fördermitteln gelangt. Naturgemäß ist es das legitime Interesse des Vereins, in seinem hauseigenen Organ jene Projekte in den Blick zu nehmen, die unter seinem Dach betreut und gefördert werden.
Der Name wirkte zu groß für den Inhalt. Erstaunlich war, dass der Inhalt über den Namen hinauswuchs.
Statt aber den Blick zu verengen, hat infomedia-sh.de das Weitwinkelobjektiv aufgeschraubt: Plötzlich wird auf workshops in Köln verwiesen, werden Kurzfilmkompilationen aus Oberhausen vorgestellt, tummeln sich Mitarbeiter auf der Berlinale – und aus den anfänglich 20 Seiten der Druckausgabe des Newsletters wurden bald 30, zur Augenweide-Zeit 2004 bereits 60. Die Berlinale-Beilage 2006 umfasst sogar 74 Seiten. Gemessen an der nüchtern-lapidaren Präambel „Hier stellen wir Ihnen aktuelle Informationen über das audiovisuelle Medienschaffen in Schleswig-Holstein zur Verfügung“, muss man den Eindruck haben, das Filmland Schleswig-Holstein habe den Medienländern Berlin und Nordrhein-Westfalen den Rang abgelaufen.
Leider ist das nicht der Fall.
So viel audiovisuelles Medienschaffen hat Schleswig-Holstein nicht zu bieten, schon gar nicht auf der Berlinale, es sei denn, man verzeichnet jedes Räuspern der „filminteressierten“ Politprominenz, die sich abseits der Kinosäle in der Landesvertretung zum Schnittchen versammelt. Und es sei denn, man schwärmt in Bereiche aus, die eben nichts mehr mit Medienschaffen in Schleswig-Holstein zu tun haben, sondern mit allen möglichen Interessen der Medienschaffenden aus Schleswig-Holstein. Das ist natürlich ein Zusatzservice, aber unklar bleibt dabei, was aufgenommen wird und weshalb. Im Fall der Berlinale etwa hat das Interesse womöglich weniger mit dem gern zitierten Blick über den Tellerrand zu tun als mit dem Wunsch der Mitarbeiter, an die limitierten wie begehrten Akkreditierungen zu kommen. Ihnen persönlich sei das gegönnt – infomedia-sh.de aber vernachlässigt sein Profil dabei.
In seinem Themen schießt infomedia-sh.de hier und da über das Ziel hinaus. Es wuchert, statt zu wachsen.
Das Wachstum des Newsletters ist tatsächlich stattlich. Der enorme Umfang verdankt sich nicht zuletzt einer gewissenhaften und kaum ermüdlichen Sammlung, die, über das Eigeninteresse der Auftraggeber hinaus, Platz bietet für das gesamte Medienschaffen in Schleswig-Holstein. In dieser gastfreundlichen Offenheit düpierte es vielleicht sogar die einstige Hausherrin MSH – Verzeihung: Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke in Schleswig-Holstein mbH -, die im August 2005 ihre Mitherausgeberschaft aufkündigte.
Wucherungen führen zu Gewichtsverschiebungen. Zum Beispiel bei den Kinoprogrammen, die sich meist auf die Stadt konzentrieren, in der infomedia-sh.de seinen Redaktionssitz hat: Kiel. Es wäre natürlich zuviel verlangt, einen Überblick über alle Kinos in Schleswig-Holstein zu geben, doch die Abonnenten aus Pinneberg oder Flensburg merken an solchen Fokussierungen eben, dass infomedia-sh nicht selten „infomedia-ki“ ist. Und man merkt auch: Die Redaktion nimmt, was geliefert wird: Pressemitteilungen, Werbungen in eigener Sache etc. Sie selektiert kaum.
Der Umfang ist im Übrigen auch darauf zurück zu führen, dass die Redaktion äußerst spendabel mit Artikellängen umgeht, denn das Netz ist groß und jeder kann so viel schreiben, wie er will. Zum Beispiel diesen Satz, der aus Platzgründen in jedem Printmedium gestrichen würde, weil er eher eine Randbemerkung darstellt und eben jetzt auszuufern droht.
Womit sich die Frage anschließt, wie es um die Qualität bestellt ist.
Keine Frage: die Qualität hat sich seit früher enorm gesteigert. Die Festivaltermine – für die Filmschaffenden immer noch notwendiges Basismaterial – sind einfach und zuverlässig gelistet.
Seine Genauigkeit in der informellen Datenrecherche untergräbt infomedia-sh aber, indem es sich als Filmzeitschrift missversteht. infomedia-sh.de veröffentlicht Kritiken, die auch negative Urteile beinhalten. Gleichwohl ist es angehalten, vom Verein Kulturelle Filmförderung S.-H. geförderte Projekte nicht negativ zu kritisieren. Entsprechend müsste sich das Blatt ganz der Kritik enthalten oder denselben Maßstab an alle Projekte anlegen. Alles andere setzt sich dem Verdacht der Klüngelei aus. infomedia-sh.de schadet sich selbst, wenn es gegen den Grundsatz der Transparenz verstößt.
Meiner Kritik am (gemessen am Namen) zu engen Fokus von infomedia-sh folgte die Kritik am zu offenen Blickfeld. Offenbar kann man es mir kaum recht machen. Und auch ich unterliege ja speziellen Bedingungen. Ich bin sozusagen mal die Konkurrenz (als Filmjournalist der Kieler Nachrichten), mal Nutznießer (als Regisseur in infomedia-sh besprochener Projekte). Insofern biete ich genug Angriffsfläche: treibt mich Neid zum Tadel, treibt mich Kumpelei zu Lob?
Meine Blattkritik zielt darauf ab, dass infomedia-sh sein Profil stärkt. Indem es sich als Filmzeitschrift geriert (infomedia-d wie Deutschland?), gleichzeitig aber Flüstertüte der Kulturellen Filmförderung S.-H. bleibt (infomedia-kufi?), setzt es sein Profil aufs Spiel und kommt ins Schlingern.
Der Glanz der Bilanz
Dennoch hat infomedia-sh eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen, die sich über die Kritik erhebt. Die Zahl der Abonnenten stieg von anfangs 150 auf knapp 800 und erreicht damit inzwischen wahrscheinlich den Großteil der Bewohner im Filmland Schleswig-Holstein. 850 betrug zwar auch die Auflage des „Filmbriefs“, dennoch ist von einer größeren Akzeptanz von infomedia-sh auszugehen – das beweisen die Zugriffszahlen. Täglich 682 Besucher im Monat September 2006 sind keine schlechte Zahl, allerdings unter dem Vorbehalt, dass jeder von ihnen im Schnitt nur drei Seiten anklickte, also offenbar sehr selektiv hineinschaut. Das muss die Redaktion nicht wurmen, es ist dem Medium eigen. Außerdem bleibt dabei die Zahl der Abonnenten unberücksichtigt, die sich den ganzen Newsletter komplett downloaden und damit von der Statistik verschwinden, so oft sie auch später im Computer nachlesen, was sie interessiert.
Das ist keine schlechte Ausbeute. Auch nicht, dass google.de derzeit 4.123 Verweise auf infomedia-Seiten verzeichnet, zuzüglich 774 Verweisen in google.com. Die Verbreitung also ist beachtlich, aber lange noch nicht so respektabel wie die infomedia-interne Suchmaschine, die man inzwischen wahrscheinlich Meyers Großes Konversationslexikon nennen darf. Mit etwa 100 Suchanfragen im Monat zeigt sie, dass dieses täglich anwachsende und gegenseitig verlinkende Kompendium jüngeren schleswig-holsteinischen Filmschaffens rege genutzt wird und etwas taugt.
Was die Freude bremst, ist wohl eine gewisse Trägheit der Zulieferung. In Vorbereitung des Artikels schrieb mir der ehemalige Bürokollege und Redaktionsleiter Meyer: „Nach wie vor, auch nach 5 Jahren, muss die Site immer noch darum kämpfen als Knotenpunkt oder wesentliches Informationsmedium für das schleswig-holsteinische Filmschaffen von den Filmschaffenden auch anerkannt zu werden. Wir müssen Beiträge über aktuelle Projekte eher einfordern, als dass sie ‚von selbst’ geliefert würden. Infomedia ist eine Chance des Crossworkings und der Vernetzung, die noch zu wenig angenommen wird.“
Filmemacher möchten offenbar nicht gern Wasserträger in eigener Sache sein, auch wenn ihnen kein Agent oder Pressemensch zur Seite steht. Denn Filmemachen stresst, und wer investiert schon gern zwei Stunden in eine Pressemitteilung, die im schwarzen Loch Internet sekundenschnell verschwindet? Und doch ist die Zurückhaltung erstaunlich. Stets wurde im Filmland nach Netzwerken gerufen. Jetzt ist eines da, aber längst nicht alle greifen darauf zurück. Dabei lädt infomedia-sh.de mehr und freigebiger als jedes andere Medium Schleswig-Holsteiner ein, die Projekte zu lancieren. Mit ihrer Hilfe könnte infomedia-sh seinem Namen gerecht werden.