Highnoon um Mitternacht
Multimediale Lichtskulptur von Natascha Bindzus und Holger Trülzsch illuminiert den Ort, den Klang und das Nachtlicht von Kiel und Paris.
Die Nacht illuminiert sich selbst, übernächtigt sich selbst – zumindest in der Poesie und in Großstädten ist das so, gerade in der Nähe von Elektrizitätswerken, jenen Industrieparks, die wie die Kunst dazu da sind, die Nacht zum Tage zu machen. Die multimediale Lichtskulptur mit dem beziehungsreichen Titel „noonight – night illoominating night“ tut das auf ihre ganz eigene Weise.
Im November 2002 hatten die Plöner Künstlerin und Architektin Natascha Bindzus und ihr Kiel-Pariser Künstler-Kollege Holger Trülzsch mit ihrem gemeinsamen Projekt „noonight – night illoominating night“ (unterstützt u.a. auch von der Kulturellen Filmförderung S.-H.) den international ausgeschriebenen Wettbewerb zur Lichtgestaltung des neuen Parc des Cormailles am Ort des historischen Wasser- und Elektrizitätswerkes von Paris gewonnen. Produziert wurde die Lichtskulptur in Zusammenarbeit mit der Kieler Firma Muhlack. In Anwesenheit der Künstlerin und des Künstlers fand auf deren Gelände am 6. September 2006 die offizielle Werksabnahme statt, bevor die Skulptur Anfang Oktober (Termin wird in Kürze auf der Seite www.noonight.eu bekannt gegeben) in Paris dem Ort ihrer Bestimmung übergeben wird.
„Diese Kunst überschreitet die Grenzen zwischen Bild und Ton“, sagte die stellvertretende Ministerpäsidentin Ute Erdsiek-Rave in ihrer Laudatio bei der Werksabnahme. Die variable Lichtinstallation werde im Süden des 13. Pariser Arrondissements stehen, einem Stadtviertel, das sich seit Jahren in einer gewaltigen Umbruchphase befinde. Von einem unattraktiven Arbeiterviertel wandele es sich derzeit rasant und gewinne immer stärker an Anziehungskraft. Die Kunst von Bindzus und Trülzsch begleite, kommentiere und gestalte diese Transformation zugleich.
„noonight“ – Blick auf die Skulptur (Foto: CAD-Perspektive aus der Fertigung)
„noonight“ ist nicht nur eine Ampel mit wechselnden Lichtsignalen, die den hurtigen Verkehr der Großstadt alleatorisch-architektonisch regulieren. „noonight“ reagiert auf die Bedingungen des Ortes wie eine flexible Bedarfsampel. Denn der flackernde Lichtzauber ist nicht etwa zufällig – oder nur insofern, als er die Zufälle des Ortes illuminiert. Infraschallsensoren registrieren den sonor raunenden Groove der Stadt, Mikrofone wandeln die lautlichen Aktivitäten rund um die Skulptur in ein Lichtprogramm. Kurzum: „noonight“ lässt sich interaktiv steuern. Was wie Blitze, wie Zufall aussieht, ist der Augenblick in seiner Unwägbarkeit, der Klang, das Geräusch, das sich in Lichterscheinungen verwandelt und damit ungemein filmisch ist, ein kontinuierlicher Film ohne Kamera, eine andauernde Light-Live-Performance, ein sich stets neu illuminierendes optisches Gedächtnis der Geräusche. Und das darf man im besten Sinne als aufklärerisch verstehen, in jenem, in dem die Aufklärung im Englischen schlicht als „Enlightenment“ bezeichnet wird.
Es werde Licht! Schon am Anfang des biblischen Schöpfungsakts ist dies die Initialzündung. Vor aller Kreatur ist das Licht der erste Akt des Dramas – oder sollen wir sagen? – der Tragödie Schöpfung. Hier wird beides nachvollzogen, lange nachdem Schöpfung als Edisonsche Elektrizitätserfindung, als Kraftwerksakt der Nachschöpfung stattfand. Und seither wird es in den Ansammlungen der Menschen, den Großstädten, niemals mehr dunkel. Eben dies illuminiert die „noonight“, jenen Mix aus hohem Mittag und tiefer Mitternacht. Sollte es vielleicht auch mal wieder dunkel werden über den Wasser(werke)n, dass wir wüssten von dem, was vor uns, der Schöpfung, war? Diese Frage stellt die Skulptur in all ihrer Blitzlichtigkeit, die Frage nach dem Vorzeitigen des Dunklen, der „Vor-Schöpfung“.
Eine Dialektik, die sich auch in dem Ur-Programm der Schöpfung, der Doppelhelix des Genoms widerspiegelt, die die Skulptur rein äußerlich in ihrer kurvenden Verwinkeltheit abbildet. Die Nacht erhellt die Nacht, aber gerade dadurch erhält sie sich, wie das Wortspiel des Werktitels schon andeutet. Indem es Licht wird, wird das Dunkel erst erkennbar. „Und die im Duunkel sieht man nicht“, dichtete Brecht, hier sind jene solche, die das Dunkel interaktiv, mit also ihrem Licht durch den Klang des Aufstampfens etwa erleuchten können. Ganz aufklärerisch, ganz frei aus der freiwillig gewählten Umnachtung tretend. Kunst als die Fackel, die die Nacht zum Highnoon macht und erleuchtet, ohne das Dunkel zu leugnen, aus dem sie kommt. Fast wie im Kino, möchte man da meinen, wo ja auch jedes zweite Lichtbild vom Malteserkreuz des Projektors zur hohen Nacht, „noonight“, gemacht, nein, geschöpft wird. (jm)
Nähere Infos zu den Künstlern und zur Skulptur finden sich unter www.noonight.eu.