10. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Nie erwachsen geworden

„Der Anfang war gut“ (Susanna Salonen, Fin/D 2006)

Susanna Salonen hat einen Film über ihre Mutter Riitta gemacht. Er trägt den Titel „Der Anfang war gut“, was man durchaus ironisch verstehen kann, aber wohl aber auch ganz wortwörtlich so gemeint ist. Über seine Mutter einen Film zu machen ist bestimmt nicht leicht. Schon allein deshalb nicht, weil man auch ein Stück von sich selbst preisgeben muss und es die eigene Mutter nicht unbedingt gerne sieht, wenn man vor aller Augen in ihrem Privatleben herumforscht, womöglich unbequeme Fragen stellt, und Dinge aus Vergangenheit und Gegenwart vor die Kamera „zerrt“, die ihr nicht unbedingt geeignet scheinen, das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken. Die deutsch-finnische Filmemacherin Salonen hat es dennoch mit Erfolg gewagt. Zum einen ist es sicherlich ihrer Hartnäckigkeit und Offenheit geschuldet, nichts von den Schwächen und Fehlern der Mutter zu beschönigen oder zu verschleiern. Zum anderen stellt sich die Mutter dem Vorhaben ihrer Tochter mit einem solch unverblümten Selbstbewusstsein und einer begnadeten Lust zur Selbstdarstellung, dass beim Zuschauer nie Bedenken aufkommen, das filmische Porträt könne in einem peinlichen Fiasko enden.

Um es auch gleich vorweg zu sagen: Die Mutter ist ein Enfant terrible, wie es sich kein Drehbuchautor hätte besser ausdenken können. Mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern war sie vor über 30 Jahren von Finnland nach Lübeck gekommen, ursprünglich nur für ein Jahr. Es wurden dann aber doch 15 Jahre. Die Ehe, zu schnell geschlossen, verlief schwierig, funktionierte im Laufe der Zeit immer weniger: kaum Kommunikation, dafür zunehmende Streitereien – schließlich die Scheidung. Leittragende waren die Kinder, obwohl sie zum Zeitpunkt der Scheidung „schon aus dem Gröbsten ’raus waren“.

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Nie erwachsen geworden: Riitta Salonen

Die Mutter war spontan, sprunghaft, gab sich augenblicklichen „Eingebungen“ hin. So schnell wie sie ehemals geheiratet hatte, so fix tritt sie eine Tages eine Pauschalreise nach Malta an, von der sie erst nach 15 Jahren aus Australien wieder zurückkehren sollte. Der jüngsten Tochter sagt sie noch schnell in der Schule „Tschüß“. Dann ist sie auch schon weg. Es sieht wie eine Flucht aus. Ein Bruch mit den konventionellen Zwängen, der sich aus starker Selbstbezogenheit zu speisen scheint und Verantwortung für die beiden noch halbwüchsigen Töchter ignoriert. Ein neues Leben mit einem neuen Mann „Down Under“, das sich den Töchtern nur noch in anhänglichen Briefen ihrer Mutter mitteilt.

Illustriert mit Super-8-Aufnahmen vom fernen Kontinent zitiert Susanna Salonen knapp aus diesen Briefen, die so locker humorig und lakonisch daher kommen. Dennoch teilen sich Einblicke in ein Seelenleben fast schon literarisch und unterhaltsam mit. Fragmente von Sehnsüchten und Enttäuschungen, Bezeugungen verbaler Fürsorge („Obwohl ich bemerkt habe, dass Intelligenz für eine Frau nicht immer von Vorteil ist, würde ich euch trotzdem bitten, den Schulbesuch nicht zu vernachlässigen“). Riitta hat sich im Grunde genommen nie geändert. Sie hat des öfteren in Tag hinein gelebt und ist mit ihrer jugendlichen Naivität nie erwachsen geworden.

Dieses Bild gilt auch für die Gegenwart des Films. Nach 15 Jahren ist die Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Vier Jahre hat sie es versucht, hier wieder Fuß zu fassen. Doch mit der Aussicht auf eine finale Hartz-IV-Karriere geht sie nun lieber nach Finnland zurück, in der Illusion, die ökonomische Krise der westlichen Welt würde dort besser sozial, d.h. vor allem finanziell abgefedert. Ein Irrtum – die betrübliche Aussicht auf eine kärgliche „Volksrente“ lässt die 60-jährige von einer Zukunft in Italien träumen. Schon wieder eine Fluchtfantasie, diesmal aber kaum mit Aussicht auf Erfolg.

Hart gelandet wird die Mutter jetzt immer wieder mit den unbequemen Fragen der Tochter konfrontiert: Was sie nun machen wolle, was sie plane, was sie sich bei ihrem Verhalten gedacht habe. Fragen, die sich sonst wohl ein unreifer Teenager von seinen Eltern anhören und gefallen lassen muss. Die Mutter hat auf diese Fragen keine Antworten, woher auch? Aber sie hat den Optimismus und die Lebensphilosophie, Schwierigkeiten, die andere verzweifeln lassen würden, zu ignorieren, auszusitzen anstatt zu lösen und damit irgendwie durchzukommen. Jetzt sitzt sie in dem kalten, freundlich-bürokratisch verwalteten Finnland und muss erkennen, dass sie keine einträgliche Arbeit mehr finden wird. Und dass monatlich 240 Euro Volksrente plus 100 Euro aus Deutschland trotz gestellter Sozialwohnung vorne und hinten nicht reichen. Sie vernachlässigt sich dennoch nicht, versteht sich zu kleiden, verdrängt ihre Sorgen mit einem charmanten Humor, hofft auf einen wohlhabenden, neuen Lebensgefährten, der sich aber nicht so leicht in Tanzcafé oder Internet finden lässt.

Der Ausgang dieser Geschichte bleibt offen. Schön nur zu sehen, dass Riitta trotz der harten Realitäten letztlich ungebrochen bleibt. Sie trägt die Konsequenzen aus ihrem offenen Leben, in dem sie sich die Freiheit genommen hatte, wenig vorauszublicken oder vorzusorgen, mit der bewunderungswürdigen Souveränität und erstaunlichen Naivität einer Junggebliebenen. (Helmut Schulzeck)

Der Anfang war gut, Fin/D 2006, 73 Min., Kamera, Buch, Regie, Produktion: Susanna Salonen, Schnitt: Bettina Böhler, Mischung: Raimund von Scheibner, Redaktion: Udo Bremer. Hergestellt mit Buch- und Entwicklungsförderung durch: MSH Schleswig-Holstein, Kuratorium junger deutscher Film, Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein.

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