10. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide
Verrückte Immobilien
„A Good Soul” (Matthias Meyer, D 2006)
Jeder kennt sie, kaum einer nimmt sie noch wahr: all die Blumenkübel und Poller, die zahllosen Lichtmasten und Schilderpfosten, Abfalleimer, Streumittelbehälter, Schaltkästen und was sonst noch die Wege des Stadtmenschen säumt oder blockiert. In Matthias Meyers viereinhalbminütigem Musikvideo „A Good Soul” (Musik: Künnecke & Smukal) geraten diese Fixpunkte der öffentlichen Ordnung ins Wanken und Wippen.
Es beginnt harmlos mit einer Straßenmarkierung, die sich verstohlen auf dem Asphalt hin und her schiebt. Dann pulsieren ein paar Waschbeton-Poller im Rhythmus der Musik, und bald hält es auch den Trennmülleimer nicht mehr auf seinem S-Bahnsteig. Die Stadtmöblierung kommt ins Rutschen, und die Vibrations greifen schnell über auf die Architektur, wenn auch mit hanseatischem Understatement, denn wir sind in Hamburg.
Der Anblick hüpfender Häuser ist beunruhigend, aber weder Erdbeben noch Abrissbirne oder Al Kaida sind im Spiel: die Bauwerke fügen sich brav dem Groove der lässigen Gitarrenklänge und wagen sich nicht hinaus über die archaisch tektonischen Dimensionen des Auf und Ab, des Rechts und Links. Sogar die drögen, grauen City-Hochhäuser am Klosterwall mit ihren gelben Dachgeschossen machen eine gute Figur als steinerne Revuegirls.
Am Ende wird die ganze Stadt gerockt, und selbst der olle Bismarck auf Sankt Pauli muss mit. „It’s in your eyes. It’s no surprise”, verkündet dazu die butterweiche Stimme von Sänger Andreas Künnecke. Das könnte ein Motto sein für Matthias Meyers künstlerische Arbeit, die immer wieder mit den Konventionen filmischer Wahrnehmung spielt. Durch aufwändige digitale Retusche und Bearbeitung lenkt er den Blick auf das Nebensächliche und damit auf das visuelle Medium selbst. Das suggestive Potential der bewegten Bilder wird offensichtlich. Der Zuschauer begreift intuitiv, wie sehr seine eigene Weltwahrnehmung bereits durch Bildfabrikation aus zweiter Hand bestimmt wird.
2003 arbeitete Matthias Meyer in Wien maßgeblich an dem Projekt „Deanimated” von Martin Arnold mit. Aus dem 40er-Jahre Film „The invisible Ghost”, einem B-Picture mit Bela Lugosi, wurden nach und nach in der Reihenfolge ihrer dramaturgischen Bedeutung alle Darsteller digital entfernt, bis die Kamera sich nur noch in leeren Kulissen bewegte. Zuvor hatte Meyer 2001 den Gottfried-Brockmann-Preis der Landeshauptstadt Kiel bekommen und zeigte in der begleitenden Ausstellung ein Video mit Auschnitten aus Michelangelo Antonionis „Blow Up”, einem Film, der die Suggestionskraft und den dokumentarischen Wert der Fotografie thematisiert. Aus der zentralen Szene im Park, wo David Hemmings heimlich Bilder von Vanessa Redgrave macht, retuschierte Meyer alle Schauspieler heraus. Im Musikvideo „Beaufort” der Hamburger Band Halma (2004) komponierte Matthias Meyer aus Versatzstücken klassischer Segelschifffilme die Idee eines düsteren, menschenleeren Geisterschiffs in Schwarzweiß.
Im Video „A Good Soul” geht er nun noch einen Schritt weiter: die Umgebung, das Drumherum, die Architektur wird nicht einfach nur betont durch die digitale Beseitigung der Menschen, sondern sie wird selbst zum aktiven Protagonisten.
Die rhythmische Belebung des städtischen Häusermeers ist besonders deshalb so spektakulär, weil sie im Look eines verwackelten Amateurfilms präsentiert wird. Das stellt technisch eine besondere Herausforderung dar, weil die Animation der Objekte mit der scheinbar unkoordinierten Bewegung der Kamera abgestimmt werden muss. Matthias Meyer macht sich einen Spaß daraus, dem Publikum surreale Ungeheuerlichkeiten in der Ästhetik eines alltäglichen Realismus unterzujubeln. Die Bilder in unseren Köpfen werden verrückt. (Lorenz Müller)
A Good Soul, D 2006, 4:36 min, Buch, Regie, Kamera: Matthias Meyer, Musik: Künnecke & Smukal (www.peacific.de/bands_detail_kuennecke_und_smukal.html). Beim Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide zu sehen am Sa, 20.5., 20.30 Uhr im Programm „Kurzfilme 1“.