10. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Filmische Poesie der Steilwand

„Motodrom“ (Jörg Wagner, D 2006)

Köpfe, die sich rhythmisch hin und her bewegen, im selben Rhythmus ein klapperndes Geräusch – Zuschauer eines Tennisspiels? Schon in der Eingangssequenz zu seinem Dokumentarfilm „Motodrom“ ist Jörg Wagner (nicht unberühmt durch das satirische Doku-Fake „Staplerfahrer Klaus“) ganz „filmisch“. Er macht die Spannung des abgebildeten Zuschauers auf ein noch unbekanntes Spektakel handgreiflich zu unserer, indem er die klassische „Suspense“ des Spielfilms benutzt. Kein Tennisspiel verfolgen hier wir und die „Headbanger“, sondern ein aussterbendes, aber nach wie vor faszinierendes Schaustellerschauspiel: die Schwindel erregenden Runden tollkühner Motoradfahrer in der Steilwand des Motodroms.

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Dass es sich um solche handelt, deutet Wagner zunächst nur an, zeigt als „establishing shot“ nach den Zuschauerköpfen zeitgerafft den Aufbau des Motodroms auf der Kirmes.

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Erst dann röhren die Motoren, die wir schon die ganze Zeit raunen hörten (wie Musik der Motoren: das kongeniale Sounddesign von Gavin M. Weiß, Giuseppe Gagliano und Andreas Henke), auch im Bild. Einfahrt der Motormatadoren, die sich sogleich in die Steilwand begeben, begleitet von der ungemein lebendigen Kamera (Peter Drittenpreis, Ayhan Salar, Patrick Orth), die mal von außen mitkurvt, mal aus der Perspektive der Fahrer die Piste kreisen lässt oder einfach nur die Gesichter der Motodranten im Rausch der Fliehkraft zeigt.

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Und ihre Kunststücke auf den kreisenden Feuerstühlen, die freihändige Befreiung, in einer Zeitlupe wie aus dem Traum zeigt.

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Ein Traum, der im Zeitalter zappend motorisierter Medien längst keine Sensation mehr ist, aber vor Ort, nah dran an den Motoren, nach deren Vibrationen schon mal eine erfahren prüfende Hand in zärtlicher Großaufnahme den Zylinderkopf betastet, doch immer wieder zu solcher wird.

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Ohne sensationell gefilmt zu werden: Jörg Wagner hat in „Motodrom“ eine sehr poetische (und treffend schwarz-weiße, licht-schatten-spielende) Filmsprache gefunden, eine, die sich dem Lärm der Motoren entzieht und einem zentrifugal flüchtigen Gefühl nachspürt, einer Grenzerfahrung, mit der die Protagonisten der Steilwand sich und ihr Publikum begeistern – und berauschen.

Apropos: Ein Film wie ein Rausch. Doch kein Rausch der Geschwindigkeit, welchen allzu naheliegend sensationell der Video-Trailer auf der Homepage von „Pitt’s Todeswand“ (www.pitts-todeswand.de) thematisiert, wie wir es von den wohlfeilen TV-Dokus gewöhnt sind, sondern ein Rausch, der sich gerade in den Ruhemomenten geradezu kontemplativ entfaltet:

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Etwa wenn die Kamera den kreisenden Köpfen der gerade zuschauenden Fahrer auf ihren Kollegen in der Zentrifuge in Zeitlupe folgt, oder – wahrhaft romantisch träumerische Schlusssequenz – den Steilwand-Veteranen von „Pitt’s Todeswand“, Hugo Dabbert, in Zeitraffer vor seinem Motodrom stehend zeigt.

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Dass hier nicht nur ein eindrucksvoll sinnliches Porträt von Extrem-Schaustellern gelingt (ganz nebenbei: es ist so filmisch, dass es auf Sprache ganz verzichten kann), sondern auch eine kleine Apotheose auf die sinnlichen Möglichkeiten des Films, hob die FBW hervor, als sie dem Film das Prädikat „besonders wertvoll“ verlieh. Und so wundert es nicht, dass „Motodrom“ schon diverse Festivals „rockte“, zuletzt die Kurzfilmtage in Oberhausen, in Kürze auch die Augenweide. (jm)

Motodrom, D 2006, s/w, 35 mm, 9 Min., Buch, Regie: Jörg Wagner, Produktion: Dirk Manthey, Kamera: Peter Drittenpreis, Ayhan Salar, Patrick Orth, Schnitt: Andrew Bird, Sounddesign: Gavin M. Weiß, Giuseppe Gagliano, Andreas Henke, Steilwandfahrer: Hugo Dabbert, Jagath Perera, Tomasz Wyszomirski, gefördert aus Mitteln der Filmförderung Hamburg GmbH, der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. und des BKM. Beim Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide zu sehen am Sa, 20.5., 20.30 Uhr im Programm „Kurzfilme 1“.

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