Botin der Melancholie

Michael Carstens’ „Die Katze“ hatte Team-Premiere im Kieler KoKi.

Das Protokoll einer schleichenden Krise: Am Anfang ist es kaum mehr als Lustlosigkeit. Schon wieder einer dieser Abende mit Joschs Arbeitskollegen, an denen sich alle blendend amüsieren, scheinbar über Privates und Belangloses reden und dabei doch eigentlich nur ihre Claims in der Firma abstecken und die internen Hierarchien aushandeln. Ka, Joschs Frau, sitzt apathisch dabei, mitten im Stimmengewirr und doch völlig außen vor. Als beide dann spät abends endlich nach hause kommen, will Josch schnell noch ein bisschen Spaß, Ka entzieht sich und räumt die Küche auf. Bald werden die Distanzen zwischen beiden größer werden, die Dialoge noch spröder, die Versuche der körperlichen Annäherung noch hilfloser und kläglicher, der Putzzwang noch aufreibender. Schließlich, am dunkelsten Punkt der Reise, scheint doch noch ein Weg aus der Depression zu führen.

Michael Carstens, Kieler Filmemacher, der sein Domizil mittlerweile nach Hamburg verlegt hat, macht in seinem neuestem Film, der Adaption einer gleichnamigen Erzählung von Thomas Hürlimann, von Anfang deutlich, dass Josch und Ka längst kein Paar mehr sind. Distanzen überall: Das erste Gespräch zwischen den Figuren findet per Telefon statt, beim ersten Zusammentreffen von Josch und Ka sehen wir sie entfernt durch einen Spiegel. Kaum umarmen sie sich, findet sich auch schon ein Grund, sich wieder zu trennen. Joschs Erzählungen sind eigentlich Monologe, ob Ka zuhört, nimmt er kaum wahr. Und immer eilt er ein, zwei Schritte voraus, immer ist sein Interesse schon woanders.

Carstens erzählt dies mit unerhörter visueller Präzision: Ausstattung (Christine Hielscher) und Kamera (Malte Nieschalk) finden in jeder Einstellung Arrangements von Figur und Raum, die von der Einsamkeit, vom Verlorensein erzählen. Von der Sterilität der schönen Oberflächen, von der Unmöglichkeit, in diesen schönen Interieurs heimisch zu werden. Seine beiden Darsteller Matthias Harrebye-Brandt und Nina Hecklau tragen das schwierige, innere Drama ohne aufgesetzte Posen. Das Leiden beider wird begreifbar.

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Dennoch schwingt in diesem traurig-schönen Drama ein unbewältigter Rest, jenseits der faszinierenden Kameraarbeit, der konzentrierten Darsteller, dem Gespür für Atmosphäre und Emotion. Die Rede ist vom titelgebenden Tier: Auf dem Heimweg sieht Josch die Katze (Herr Lehmann) das erste Mal, ein zweites Mal dann nächtens im Park. Ein drittes Mal erscheint sie Josch und Ka am Küchenfenster, als beide zusammengekauert auf dem Fußboden sitzen. Als die Katze am nächsten Tag fort ist und das Morgenlicht lieblich in die aufgeräumten Zimmer fließt, ist die Hoffnung auf Besserung gekommen. Das ist ohne Zweifel symbolisch, irgendwie.

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In seinem drei Seiten kurzen Text lässt Hürlimann die Katze nur einmal auftreten. Der Bericht des langen Leidensweges wird mit einem Mal szenischer, und der Erzähler begreift endlich seine Rolle im Umgang mit Kas Depression: dass er sich zurückzieht aus den inneren Qualen seiner Partnerin und sie allein lässt mit jener Verbündeten, als die die Katze erscheint. „Katzen sind die Göttinnen der Melancholie“, heißt es bei Hürlimann. Carstens macht aus der Göttin eher eine Götterbotin, die mehrfach mahnend erscheint; die Botschaft aber bleibt unklar.

Carstens liebt das Symbolische, das Verrätselte, ja, auch das Naive. Sein erster Film „Instant Devil“ schwappte geradezu über vor Verweisen, Zitaten, Brüchen, vor Emphase und detailverliebter Poesie. Das machte den Film zu einem ästhetisch aufregenden, aber eben auch schwer verständlichen Experiment. Sein nächster Film erzählte die Geschichte eines kontaktscheuen Mannes, der sich täglich eine Postkarte mit der Einladungen zum Rendezvous schreibt – die Fiktion solcher Erlebnisse zieht er tatsächlichen Bekanntschaften vor. „Wie man unsichtbar wird“, so der Titel, war ein schönes, trauriges Märchen aus der Großstadt, eine liebevoll komponierte Schlaufe im Leben eines von der Wirklichkeit vergessenen Zeitgenossen. An dieser Geschichte interessierte Carstens nicht ein sozialer Konflikt um (Selbst-) Ausgrenzung, nicht das Drama an der Nahtstelle zwischen dem Ich und der Welt. Ihn interessierte die Innenseite des lebensfernen Zirkels, in dem es Blütenblätter regnet, in dem schöne Briefmarken auf schönen Postkarten kleben. Das sind sehr schöne, sehr poetische Momente auf der Leinwand.

Auch „Die Katze“ hat diese schönen, vielleicht sogar magischen Momente. Aber die Geschichte ist nicht schön. Sie erzählt Furchtbares. Wir sehen, wie Menschen sich quälen und gequält werden. Wie sie überfordert sind, keinen Ausweg wissen, wie sie sich beinahe vollständig vernichten. Carstens weicht der Tragweite seiner Geschichte aus. Er protokolliert den Weg, und er deutet sogar ein Ziel an. Aber an den Gelenkpunkt beider Größen setzt er ein Symbol. Und er vertraut darauf, dass dessen Bedeutungsgehalt all das mitliefert, was er nicht erzählt.

„Die Katze“ erfuhr am Samstag, den 6. Mai 2006 eine interne Premiere im Kommunalen Kino in der Pumpe in Kiel. Langanhaltender starker Applaus des vollen Hauses bezeugte Carstens und seinem wunderbarem Team, dass sie einen Film gemacht haben, der berührt. (Albert-Maria Hose)

Die Katze, D 2006, DV, 30 min. Regie und Buch: Michael Carstens (nach einer Kurzgeschichte von Thomas Hürtlimann), Produktion: Verena Nendza, Kamera: Malte Nieschalk, Darsteller: Nina Hecklau (Ka), Matthias Harrebye-Brandt (Josch), Regieassistenz: Alexandra Eck, Ausstattung: Christine Hielscher, Kostüm: Sabine Waitzbauer, Ton: Matthias Kunz, Beleuchter: Sebastian Götlich, Maske: Maria Reinhardt, Visual Effects: Julian Hermannsen, Schnitt: Mirja Gerle.

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