7. Internationales Archäologie-Film-Kunst-Festival CINARCHEA – Kiel, 26. – 29.4.2006

Echter Sand und digitaler Staub

Unser diesjähriges Programm zeigt die Spannweite von Themen und Filmformen zur Archäologie und enthält als strukturelle Neuheit zwei markante Länderblöcke: Iran und Filme der UdSSR von den 20er bis in die 80er Jahre. – Den größten Teil bilden Filme der letzten vier Jahren zum Wettbewerb. Die in das Programm integrierten Referate zum Thema Schöner, länger, bunter, aber besser? Neue Wege im Archäologiefilm blicken zurück auf den Archäologiefilm der letzten zwei Jahrzehnte und regen an, die Erinnerung an persönliche Einschätzungen von Qualitätsmerkmalen zu überprüfen.

Als Beispiel für Filmarchäologie präsentiert Thomas Bakels seine aufwendige Arbeit an der Restaurierung des Stummfilms „Das Weib des Pharao“ von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1922, der im Anschluss an unser Festival am Sonntag, den 30.4., im Kommunalen Kino in der Pumpe in Kiel gezeigt wird. Aus dem Originalmaterial bleibt mir besonders eine Einstellung in Erinnerung: der Blick auf eine Sanddüne in der Wüste, über deren Kamm ein Heer ägyptischer Soldaten hervorbricht. Ich denke beim Drehort an die Mark Brandenburg und die Massen-Regie mit Tausenden von Statisten. Heute wäre es undenkbar, für derartige Großproduktionen Heerscharen von Statisten anzuwerben und zu bezahlen. Die rechnererzeugten Bilder mit Menschen und Land-schaften sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Hat sich damit auch unser Bild von der Antike unbemerkt verändert? Beeinflusst diese Rezeption unsere Einstellung zur Vergangenheit? Das Gesamtprogramm bietet genügend Anlass zu solchen Überlegungen.

Der Eröffnungsabend bietet sogleich die Vielfalt von Themen und Genres. „Tauro“, ein kurzer Trickfilm, folgt dem Motiv des Stieres in Archäologie und Kunst durch die Jahrhunderte bis heute. Im russischen Programm (vgl. Sonderartikel im Katalog) wird „Stadt unter Wasser“, ein Stummfilm zur Unterwasserarchäologie der alten Stadt Cherson im Schwarzen Meer von 1931, gezeigt. Er enthält die ersten kurzen Unterwasseraufnahmen der Filmgeschichte, aufgenommen mit zwei Kameras, die sich gegenseitig filmen. In „Novgorod“ geht es um die Hinterlassenschaft Tausender von Briefen aus dem Jahr 1000, die sich die Einwohner auf Birkenrinde geschrieben haben. In die heutige Zeit führt „Big Bones – Big Business“ und deckt den lukrativen Handel mit Stoßzähnen von Mammuts aus der sibirischen Eiswüste auf.

Am Donnerstag wird das Limesmuseum in Aalen vorgestellt, das eine imponierende Darstellung der provinzialrömischen Geschichte präsentiert, deren archäologische Denkmäler in die Liste des Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden sind. – Eine neuere Kategorie von Kurzfilmen bietet die französische Produktionsreihe Les gestes de la Préhistoire. Es sind z.T. sehr kurze Streifen, die in Museen als Ergänzung zu thematischen Ausstellungen gezeigt und oft sogar stumm und permanent auf einem Monitor ablaufen (wie z.B. auch „Beizjagd in Starigard“ am Freitagvormittag). Wir sehen Handwerkstechniken der Frühzeit wie das Schnitzen einer Knochenflöte oder die Herstellung eines Messers nach Funden aus der Zeit vor 40.000 Jahren. – „Tajna Brijegova“ ist die Dokumentation eines gemeinsamen deutsch-bosnischen Grabungsprojekts nordwestlich von Sarajewo, wo um 4800 v. Chr. die Butmirkultur ein weitverzweigtes Netzwerk unterhielt. – Im Dschungel von Borneo ist eine Expedition auf der Suche nach Zeugnissen einer 10.000 Jahre alten Kultur.

Beim Themenblock Archäologische Filme aus der UdSSR aus den 20er bis 80er Jahren handelt es sich um sog. „Enthüllungsfilme“, in denen die öffentlich und rituell vollzogenen Reliquien-Öffnungen wichtiger russischer Heiliger dokumentiert sind. Sie dienten sowohl Stalin als auch später Chruschtschow (bei der Öffnung des Zarengrabs von Ivan Groznyj (Iwan der Schreckliche) bei dessen Abrechnung mit Stalin) der politischen Instrumentalisierung. Sie zeigen, „dass die archäologischen Aktivitäten der Sowjetunion nicht nur wissenschaftliche Zwecke erfüllt haben, sondern auch ein Mittel der Geschichtsschreibung waren“ (der Filmhistoriker A. Derjabin, Kurator des Programms).

Tom Stern und Thomas Tode bieten in ihrem Filmvortrag einen Rückblick auf 15 Jahre Archäologie im Fernsehen. – „Sur la piste des Nabatéens“ lüftet das Geheimnis um die lange verschlossene Stadt Hegra in Saudi-Arabien, von der aus die Karawanen nach Petra zogen. Der kurze Trickfilm „Achille à l’île de Scyros“ ruft die vergebliche List von Achills Mutter Thetis ins Gedächtnis, ihren Sohn vom trojanischen Krieg fernzuhalten, die der listenreiche Odysseus enttarnte. „Nofretete, das Geheimnis von Amarna“ klärt auf über die vielfältigen Aufgaben und Rollen der Gattin des umstrittenen Königs Echnaton.

Die Auswahl am Freitagvormittag ist traditionell auf Schulklassen ausgerichtet und zeigt in konzentrierter Form die Bandbreite des Archäologie-Films: „Kalle, der Museumsmaulwurf“ ist ein Zeichentrickfilm, „So süüt dat ut“ eine authentische, humorvolle Dokumentation einer Grabung in Schleswig-Holstein, der Kurzfilm „Beizjagd in Starigard“ eine im Rahmen experimenteller Archäologie produzierte Darstellung einer Habichtjagd im Mittelalter, und „Varusschlacht“ aus der Reihe „Die Sendung mit der Maus“ erläutert den taktischen Plan der berühmten Schlacht gegen drei römische Legionen unter deren Feldherren Varus. Ein Fall für den Rechner? Das anschließende „Making of“ zeigt, wie die Legionen dargestellt wurden. „Flammen über Qatna“ lässt mit digitalisierten 3-D-Animationen und Spielszenen das damals üppige Leben in der bronzezeitlichen Metropole Qatna in Syrien bis zum Untergang 1340 v. Chr. lebendig werden.

Unterhaltsam bis nachdenklich ist die Reportage „Ein Stück Himmel auf Reisen“ über die Odyssee der Auffindung und Datierung der bronzezeitlichen Himmelsscheibe von Nebra. In die Neuzeit, in die Mitte des 19. Jahrhunderts führt die abendfüllende Dokumentation über John Franklins tragische Fahrt auf der Suche nach der Nordwestpassage: „Die verschwundene Expedition“. Das Verschwinden der Wikinger auf Grönland wirft indes verschiedene Fragen auf, worauf „Greenland’s Lost Civilisation“ versucht, eine Antwort zu geben.

„Sur les traces des Pharaos noirs“ führt ein in das erste große afrikanische Königreich Kerma im Norden des Sudans mit den „schwarzen Pharaonen“ der nubischen Zivilisation. Einen Einblick in die Arbeit an der Restauration des Stummfilms „Das Weib des Pharao“ gibt Thomas Bakels. Spannende Unterhaltung bis zum Nervenkitzel bietet zur Nacht der Spielfilm „Draugr“ über einen untoten Wiedergänger – auf altisländisch mit hochdeutschen Untertiteln und Mitgliedern des Instituts für Ur- u. Frühgeschichte der CAU.

Zur Unterwasserarchäologie sind diesmal wenige Beiträge eingegangen. Dieser Themenblock beginnt am Samstagvormittag mit einem Stück Videokunst: „Tauchen“ ist die aus einer Installation isolierte Projektion einer jungen Frau mit ihren Gedanken beim Luftanhalten. „Kolumbus’ letzte Reise“ behandelt die Frage, ob das jüngst in der Karibik entdeckte Schiff zu Kolumbus’ Flotte gehört haben mag, denn Untersuchungen zum Alter des verwendeten Holzes im Leibniz-Institut der Kieler Universität Kiel legen diesen Schluss nahe. In die Rubrik experimentelle oder angewandte Archäologie gehören die Kurzfilme „Der Aalstecher“, die Rekonstruktion eines steinzeitlichen Gerätes zum Aalfang, „Bookbinding“, eine akribische Darstellung dieses Handwerks vom Klosterberg Athos, und „Experimenting by Building a Roman Roof“, der die Herstellung römischer Dachziegel demonstriert.

Der Samstagnachmittag ist dem Film aus dem Iran gewidmet (vgl. Katalogbeitrag). Die ersten vier Produktionen stammen aus den 60er Jahren und zeichnen sich durch persönliche, künstlerische Annäherung an die Themen aus. „Der Hügel von Marlik“ brachte dem Autor 1964 einen bronzenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig ein. Der Film „Parnian“ von 2002 zeigt, dass der persische Film eine eigene dokumentarische Filmsprache entwickelt hat, die sich von der des Westens absetzt: persönlich, ohne sensationelles Pseudoabenteuer zu sein. – Der jüngst fertiggestellte Film „Aratta“ fördert eine überraschende Erkenntnis zutage: die Wiege unserer Kultur scheint in Persien zu liegen. – „Ein Schatz in Auschwitz“ gehört zur Archäologie der Gegenwart und handelt vom Aufsuchen der 1939 vor dem Anrücken der deutschen Armee vergrabenen liturgischen Geräte der großen Synagoge. Er ist der letzte Film vor der Preisverleihung am Samstagabend. (Dr. Kurt Denzer, Festivalleiter CINARCHEA)

Vollständiges Programm als PDF (432 kB)

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