Die Filmgruppe Chaos in „Bollywood“
Karsten Weber von der Filmgruppe Chaos berichtet aus Indien.
Manchmal ist das Internet wirklich hilfreich. Vor ca. 4 Jahren zeigte sich der indische Filmemacher Darshan Trivedi von unserer Website so beeindruckt, dass er uns kontaktete und vorschlug gemeinsam ein Festival mit Deutschen Undergroundfilmen in indischen Ahmedabad organisieren. Dieses Projekt scheiterte zwar, doch der Kontakt riss nicht ab und Darshan versuchte uns stets mit anderen Aktivisten der alternativen Filmszene zu verlinken. Das sollte erst gelingen, nachdem er selbst nach Kanada immigriert war.
Aktivisten von VIKALP, ein Zusammenschluss von 400 Filmemachern gegen die Zensurpraxis der offiziellen Filminstitutionen, schickten uns eine Einladung und das Goethe-Institut hielt das alles für unterstützenswert, erklärte aber im gleichen Atemzug, sein Jahresbudget sei überschritten und eine finanzielle Unterstützung nicht mehr möglich. Es war dann schon fast ein Wunder, dass das Kulturamt der Stadt Kiel und German Films, die Exportorganisation des Deutschen Films, mit dem Sponsorn der nicht gerade billigen Flugtickets doch noch zwei NoBudget-Filmern die Reise nach Bombay ermöglichten.
Im Landeanflug wurden wir über Lautsprecherdurchsage darüber Informiert, dass man uns aufgrund eines neuen Gesetzes desinfizieren müsse und ein Taschentuch vor die Nase zu halten sei, wenn die Stewardessen sprayend sich durch die Gänge bewegen. Als sich die Türen des angenehm temperierten Fliegers öffneten, schlug uns nicht nur Hitze entgegen, sondern auch ein Geruch, der dem Schwelbrand in einem Chemiewerk entstammen könnte. Wir wirkten in dem mitternächtlichen Gedränge wohl etwas verloren, als wir die Schauspielerin, in deren Bungalow wir in Bombay eine Heimstätte finden sollten, telefonisch nicht erreichen konnten. So gerieten wir an einen Security-Mann, der sich sein knappes Gehalt aufbesserte, indem er uns in ein überteuertes Hotel lotste. Unser Einwand, wir könnten doch vorher per Taxi bei der Schauspielerin vorbeischauen, wurde mit dem Argument „Das kann ich nicht verantworten, ihr werdet dort ausgeraubt!“ schnell entkräftet.
Auch in „Bollywood“ die Kamera immer dabei: Karsten Weber
Gleichzeitig mit uns ist Bill Gates in Bombay eingetroffen. Die Stadt boomt. Die Medien vermeldeten den zweithöchsten Börsengewinn in der indischen Geschichte. Bei unübersehbarer Bautätigkeit erstrecken sich die Slums weiter als das Auge reicht. Bettler bestimmen auch das Bild in eher touristischen Gegenden. In der teuersten indischen Stadt nähern sich einige Preise denen bei uns, während Schuhputzer ihre Dienste für 10 Cent anbieten. Wir waren mit vielen Horrormeldungen über die uns unbekannte Großstadt ausgestattet, müssen im Nachhinein jedoch zugeben, dass es sich angesichts der sozialen Bedingungen um einen ungewöhnlich freundlichen und friedlichen Ort handelt.
Nicht nur Bill Gates kam nach Bombay, auch ein Filmheld aus good old Europe
Im Goethe-Institut versuchten wir zumindest im Ansatz etwas von dem Flair unserer Veranstaltungen mit Plakaten und dem Aufbau einer Super8-Installationen zu verbreiten, was in dem schicken klimatisierten Saal nur mäßig gelang. Ein sehr offizieller Charakter der Veranstaltung ergab sich auch daraus, dass Aditya Seth, der Vorsitzende des indischen Dokumentarfilmverbands, die Einleitungsrede zu unserem Programm hielt. Das Publikum setzte sich (mit Ausnahme einiger Deutscher) aus Leuten aus der Filmbranche zusammen.
„Kino-Kids“
Wir hatten ein Programm mit einem Rückblick auf 30 Jahre Schmalfilm-NoBudget-Szene zusammengestellt, um einen Einblick in die Geschichte einer filmischen Subkultur zu zeigen, die es in vergleichbarer Form in Indien nicht gab. Das Interesse war so groß, dass man nicht die angekündigte Diskussion am Ende des Programms abwartete und uns nach jedem Film mit Fragen löcherte. „Why underground?“ war die Frage eines Werbefilmers. Eine ältere Hindufrau in grünem Sari zeigte mehr Interesse an der politischen Ausrichtung einiger Filme und deutscher Protestbewegungen. Die ökologisch motivierten Proteste wurden nickend anerkannt und nach Filmbildern von Demonstrationen gegen einen aggressiven US-Imperialismus ging ein zustimmendes Raunen durch die Reihen. Als wir aber das Experimentalvideo „Yacikaa“ zeigten, in dem ein indischer Werbeclip digital verfremdet wurde, diskutierte man aufgeregt, welche Werbung wohl die ursprüngliche Vorlage war. Die Kuratorin des bedeutendsten Indischen Experimentalfilmfestivals EXPERIMENTA buchte den Clip vom Fleck weg für ihr Festival. In einem 3. Welt-Land war es aber immer wieder Grund für weitere Fragen, wie man ohne ökonomische Interessen über so viele Jahre Filme produzieren und Veranstaltungen organisieren kann. Man zeigte aber großes Interesse, als wir vorschlugen nicht nur mit einem aktuellen deutschen Programm wieder zu kommen, sondern auch für Indische Kurzfilme ein Forum in Germany zu schaffen.
Film-Undergorund-Kontakte über kontinentale und kulturelle Grenzen hinweg
Aber inzwischen gibt es auch in Indien Ansätze einer sich selbst unabhängig organisierenden Digitalvideo-Szene. Man lud uns ein zu einer Veranstaltung ins Mocha Café, zur wohl aufregendsten indischen Off-Film-Veranstaltungsreihe. Als wir etwas zu spät dort ankamen, gab es längst keine Sitzplätze mehr. Dort lernten wir einiges über den indischen Filmgeschmack. Das eher junge intellektuelle Publikum beklatschte die Erlebnisse eines Rikschafahrers und lachte über die tiefschwarzhumorige britische Satire auf Guantanamo, aber wirklich gerührt war man erst bei einem Sozialdrama, in dem ein armer Hindujunge auf dem Schulhof eine „Indien sucht den Superstar“-Veranstaltung organisiert, um das Geld für eine ärztliche Behandlung eines Moslemjungen zusammen zu bekommen. Da war es schwer die Tränen der Rührung zu unterdrücken. Indien ohne Kitsch ist einfach undenkbar.
Ohne Kitsch nicht denkbar: Bollywood
Wir versuchten gleich vor Ort unsere Kontakte zu vertiefen. Der international mit Preisen ausgezeichnete Werbefilmer Vivek Kamak lud uns zu sich zum Essen ein. Seine vornehm spartanisch eingerichtete Wohnung hatte nur einen Wandschmuck: zwei Wandteller, der eine zeigte die Holtenauer Hochbrücke, der andere das Laboer Ehrenmal. Mitbringsel des Schwiegervaters, der den Bau indischer Fregatten auf HDW überwachte. Und dann trommelten wir alle Leute zu einem Meeting zusammen, die Interesse an einem wechselseitigen Filmaustausch haben. Dieses Interesse war so groß, dass es wohl schon so gut wie feststeht, dass wir im kommenden Herbst ein indisches Filmprogramm durch’s Land schicken. Auch der Bericht der Hindustan Times über unseren Besuch vermeldete schon in der Überschrift den geplanten filmischen Austausch. (Karsten Weber)