47. Nordische Filmtage Lübeck

Warum der Blues nicht ankommt

„Red and Blues“ (Susanna Salonen, D 2005)

Wittenberg an der Elbe. Ein Paar auf der Suche nach einem kleinen Club. Der herunter gekommene Backstageraum. Die Sterilität des Hotels. Im Off ein Blues: „Take me home again, my Alabama Train“. Koffer und Gitarren schleppen. Und immer wieder der Weg, die Straße, Sinnbild fürs nicht Ankommen.

Den 71-jährigen Bluessänger und -gitarristen Louisana Red aka Iverson Minter und seine Frau und ständige Begleiterin auf den Konzertreisen Dora setzt Susanna Salonen am Beginn ihres Dokumentarfilms „Red and Blues“ so in Szene. Geboren in Alabama, früh verwaist, die Mutter starb wenige Tage nach der Geburt, der Vater wurde 1933 vom Klu Klux Klan ermordet, ist Red ein Heimatloser, ein Blueser seit dem 16. Lebensjahr und in seiner Südstaatenheimat praktisch unbekannt. In Europa, besonders Deutschland, wo er seit 22 Jahren in Hannover lebt, feiert er hingegen kleine Erfolge. „Ich hab’s noch nicht geschafft, aber eines Tages werde ich es schaffen“, sagt Red. Da ist er unermüdlich. Denn er hat den Blues.

Salonen begleitet ihn mit intimer Kamera von Konzert zu Konzert und bei einer Reise zurück zu seinen Wurzeln, in die USA, nach Mississipi, nach Chicago, wo er in den 50ern seine erste Platte aufnahm, und nach Louisiana, wo er als 10-jähriger auf den Baumwollfeldern schuften musste. Dabei ist nicht zuletzt ein Roadmovie eines Ruhelosen entstanden, eines Mannes, der nicht ankommt, weil es im Blues immer um Reisen ohne Ankunft, um Sehnsucht, um den Möglichkeitssinn geht. Und ein feinfühliges Porträt eines Künstlers, der genau solche Heimatlosigkeit, als Prophet im eigenen Lande missachtet, in der Fremde als Rufer in der Wüste anerkannt, für seine Kunst braucht. „Du kannst dich nicht selbst betrügen, sonst kriegt dein Schicksal Schlaglöcher“, sagt Red in die Kamera, die ihn in einen der vielen schmuddeligen Backstageräume begleitet.

Das „Exil“ in Deutschland ist nicht wirklich frei gewählt. Hier kann Red ein bisschen Geld verdienen, aber er fühlt sich als von seiner Heimat Verstoßener („Solange ich nicht so berühmt wie Chuck Berry bin, wird meine Musik in den USA nicht anerkannt“). Ihr hat er deshalb den Rücken gekehrt. Seit seiner Übersiedlung nach Deutschland, wo er auch seine aus Ghana stammende zweite Frau Dora, die gute Seele an seiner Seite („Musiker sind wie Kinder. Bei dem Blues-Blabla höre ich weg, denn ich kenne seine guten Seiten“), kennen lernte, war er nie wieder in den USA. Wenn er jetzt zurückkehrt, ist er auch dort ein Fremder. Bezaubernd schlicht fängt Salonen das Wiedersehen mit seinem Sohn Robert, sie haben sich 30 Jahre nicht gesehen, mit der Kamera ein. Ratlosigkeit nach so vielen Jahren, zwei Fremde begegnen sich, reden über Roberts Mutter Ealease, die früh verstarb, einer der vielen Brüche in Reds Leben, die gleichzeitig seinen Blues beflügelten.

Eine gewichtige Biografie, ein schweres Leben, dem man nur mit Blues begegnen kann. Red im Gitarrenladen, da blüht er auf, denn „die Gitarre spricht zu mir“, da wird der Oldie wieder zum Kind. Und seine Frau schüttelt gütig den Kopf. Salonen protokolliert gerade diese kleinen menschlichen Gesten geradezu seismografisch. Und wieder geht’s auf die Straße, zum Wheatland Festival. Da lauscht man Red zwar nur mit geteilter Aufmerksamkeit, aber zurück in der Petruskirche in Berlin-Lichterfelde ist der Beifall umso größer. Doch noch angekommen? Am Ende zeigt Salonen nichts als die Straße, die Autobahn, auf der man reisen muss, solange wie bei Blues an sich und Louisiana Red im Speziellen das Ankommen einfach nicht zur Kunst passen kann, weil der Weg das Ziel ist. (jm)

„Red and Blues“. D 2005, 66 Min., Beta SP. Regie/Buch/Kamera: Susanna Salonen. Schnitt: Natali Barrey. Musik: Iverson Minter (Louisiana Red). Produzent: Gunter Hanfgarn. Gefördert von Nordmedia. Premiere am 4.11., 13.45 Uhr im Filmforum S.-H. bei den 47. Nordischen Filmtagen Lübeck.

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