47. Nordische Filmtage Lübeck
Ganz großes Kino en miniature
Eindrücke der Kurzfilmnacht des Filmforums Schleswig-Holstein
Natürlich ist der Titel von Torben Iversens Kurzfilm-Essay (selbst-) ironisch gemeint: „Ganz großes Kino“ (15 Min., DV, D 2005) ist es ja genau nicht, wenn man in den kleinen Alltag einer Fritten-Verkäuferin eines Imbiss‘ am Hamburger Hafen schaut. Und doch erwies sich in der Kurzfilmnacht des Filmforums Schleswig-Holstein das Kino en miniature zwar nicht immer aber doch manchmal als Königsdisziplin des Filmemachens. Wie in der literarischen Gattung Lyrik lebt nämlich auch der Kurzfilm von der verdichteten Idee, von oft überraschenden Pointen und konzentrierten Zuspitzungen – und erfreut sich wohl gerade deshalb beim Festivalpublikum so großer Beliebtheit – das Kino 1 in der Lübecker Stadthalle war wie jedes Jahr trotz später Stunde ausverkauft.
Zurück zum „Ganz großen Kino“, das sich bei Torben Iversen in ganz bewusst „falschen“ Einstellungen manifestiert. Seine Kamera schaut gewissermaßen intim weg. Wenn Jule Haas, die wirkliche Imbissverkäuferin, im Off vom Fernweh spricht, das sich bei ihr ob der Hafenlandschaft einstellt, zeigt die Kamera nur einen mikroskopischen Ausschnitt dieses „Nabels der Welt“: eine metallene Ecke der Friteuse. Was wirklich „filmreif“ wäre, nämlich wenn Jule mit den Brötchenresten vom Vortag die Möwen füttern würde, erfahren wir nur auf der Tonebene, vor die Linse lässt Iversen solches „Postkarten-Motiv“ auf keinen Fall kommen. „Dass man wüsste, es gäbe eine Chance das zu drehen“, wie es zwei „Filmologen“ im letzten der sechs Miniakte des Films quasi selbstreflexiv erörtern, muss nicht nur, sondern soll auch reichen. Ein Film im Konjunktivischen, erfrischend „unfilmisch“ und damit eine einleuchtende Belichtung des Mediums Film selbst.
Intimes Wegschauen in „Ganz großes Kino“ (alle Fotos: NFL)
Ähnlich selbstreferentiell hinterfragt Angelika Waniek in „Tauchen“ (6 Min., Beta SP, D 2004) das Medium. Waniek filmt sich, wie sie für sich und den Zuschauer Kindheitserinnerungen memoriert. Die kindliche Sicht auf die Welt ist dabei ebenso abstrus, wie sie die Welt als fragwürdige entlarvt. Welchen Sinn zum Beispiel soll es haben, 40 Sekunden lang die Luft anzuhalten? Welchen Sinn hat überhaupt das Tauchen? In der freien Assoziation der Erinnerungen entwirft sich eine surreale Gegenwelt, etwa in den „Vorbereitungen, falls man mal auf der Flucht ist“: den „Notfallkoffer“ immer gepackt – aber nur „als Zeichen“. Solche Geschichten wirken ebenso grotesk wie hintersinnig, geht es doch auch hier immer wieder um die Sinnhaftigkeit und quasi automatische Sinnstiftung des Mediums. Minimale Mittel, ganz große Wirkung – die Jury verlieh dafür den ComLine-Preis für den besten Kurzfilm im Filmforum. In ihrer Begründung heißt es: „In diesem absichtslosen Erzählen lockt sie die Zuschauer sekundenschnell in eigene Erinnerungsräume. Authentisch, einfach und direkt führt die Autorin damit das Medium Film zurück auf seine größte Stärke: Das Erzählen.“
Vom (Un-) Sinn des „Tauchen“: Angelika Waniek
Zwischen Traum und anderen Wirklichkeiten bewegt sich auch „Flight“ (10 Min., 16 mm, D 2005) von Thomas Wangsmo. Ein Mann auf den Spuren seiner selbstmörderischen Frau. In einem Bed & Breakfast Hotel irgendwo in England findet er Antworten auf so große Fragen wie nach dem Sinn des Lebens (oder Nicht-Lebens). Obwohl durch Schwarz-Weiß-Sequenzen als „Traum“ oder Erinnerung signalisiert, bleiben die unterschiedlichen aber umso verschachtelteren Ebenen dabei allerdings recht undurchsichtig – dies nicht als Absicht, sondern Folge mangelhafter Dramaturgie. Film nicht verstanden, aber das liegt ja manchmal nur am Rezipienten.
Nicht immer durchsichtige Sinnsuche: „Flight“
Gegenüber so viel Experiment wirkt „Pille“ (9 Min., DV, D 2005) von Rolf Schwarz, der im Filmforum 2004 und auch beim 9. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide 2005 mit der Dokumentation „Filetstück“ über die Lübecker „Alternative“ vertreten war, geradezu klassisch erzählt. Ein Mann wirft eine Pille ein und im Rausch vermengen sich Wirkliches und Befürchtetes. Ist in der Nachbarwohnung ein Mord geschehen? Nein, die Schreie stammten von einem Schauspielschüler, der recht lautstark probt. Überraschende Wendung: Der Mörder ist doch immer der Nachbar. Eine Miniatur, die in ihrer Verwinkelung dennoch geradlinig erzählt ist – vielleicht ein wenig zu geradlinig schwarz-weiß gezeichnet.
Der Mörder ist immer der Nachbar: „Pille“
Weiß auf Schwarz tummeln und verwinden sich die Kreidestriche in Michael Zamjatnins zweitem Abenteuer seiner animierten Heldin Krickel. „Krickels Abenteuer: Tiere in Not“ (6 Min., 35 mm, D 2005) lässt eine Fliege fast im Wasser ertrinken und eine Katze sich auf einen Baum versteigen. Krickel hilft – und gerät dabei selbst in Not. Ein hübsches Filmchen, das den Zeichentrick, begleitet von einer Musik des bekannten Stummfilmpianisten Werner Loll, aufs Wesentliche reduziert. Aber dabei in aller Bewegtheit der Bilder auch stehen bleibt.
Krickel in Not
In gleicher Zeichentechnik präsentiert sich Kenan Darwichs animiertes Musikvideo „Do the Bambi“ (2 Min., DV, D 2005) zum gleichnamigen Titel der Band Stereo Total. Entstanden ist der Film als Semesterarbeit an der Kieler Muthesius Kunsthochschule zum Thema „Zoom und Perspektive“, wirkt aber dennoch ganz unakademisch und tränkt den ins Fantastische aufgelösten Raum mit psychedelischen Avancen. Auch dies ganz großes Kino en miniature eingedampft.
Psychedelisch perspektiviert: „Do the Bambi“
Eine vielfältig anregende Kurzfilmnacht also wiedermal im Filmforum Schleswig-Holstein. Woran man in Lübeck allerdings noch durchaus arbeiten kann, ist die Moderation. Die muss nicht derart unvorbereitet die Katalogtexte nachbeten und bloße Verlegenheitsfragen an die Filmemacher stellen. Gerade bei den experimentellen Filmen hätte man sich etwas mehr diskursiven Hintergrund gewünscht. (jm)