47. Nordische Filmtage Lübeck

Auf den Spuren eines Sonderlings

„Was übrig bleibt“ (Justus Pasternak, D 2005)

Der 31-jährige ehemalige Kieler und nun Wahl-Hamburger Justus Pasternak begibt sich in „Was übrig bleibt“ auf eine Spurensuche der besonderen Art. Mit handgeführter DV-Kamera begleitet er den 35-jährigen Phillip Hirschfeld auf den väterlichen Gutshof Knoop in der Nähe von Kiel. Der jüngste Sohn des Gutsbesitzers kehrt nach längerer Zeit an der Ort seiner Jugend zurück um gemeinsam mit Pasternak einem Phantom nachzuspüren. Um den Landarbeiter Otto Drechsler, der vor Jahren nach einem Wohnungsbrand und Selbstmordversuch plötzlich und spurlos vom Gut verschwand, ranken sich mittlerweile Legenden, Gerüchte und Halbwahrheiten. Beim Zirkus soll er gewesen sein, in Bautzen habe er wegen Spionageverdachtes gesessen. Aus den Erinnerungen der Befragten ergibt sich das schemenhafte Bild eines schwer zugänglichen, vereinsamten Außenseiters und Sonderlings. Von der differenzierten Erinnerung an einen Gestrandeten über kräftige Anekdoten bis hin zur quasi posthum und vor laufender Kamera wiederholten Drohung reichen die Reaktionen der interviewten Landarbeiter und Bewohner des Gutes. Pasternaks Recherchen in der Umgebung lassen vermuten, dass Drechsler bereits verstorben ist. Um so überraschender kommt die Nachricht, dass Drechsler in einem Seniornwohnheim lebt. Es kommt zur Begegnung mit dem „Mythos“.

Begegnung mit einem „Mythos“: „Was übrig bleibt“ (Foto: NFL)

„Was übrig bleibt“ ist nicht nur der Versuch der Rekonstrunktion eines Menschen aus der kollektiven Erinnerung. Der Film ist auch ein multiples Portrait des „Originals“ Otto Drechslers, der Gemeinschaft Gut Knoop und des „verlorenen Sohnes“ Phillip Hirschfeld. Die Schwerpunkte verschieben sich im Film, was in der Arbeitsweise Pasternaks begründet liegen mag. Die Dreharbeiten waren lose über mehrere Jahre verteilt, dem Unerwarteten, wie dem Auftauchen Drechslers, wurde Raum gewährt. Das trägt zur Lebendigkeit des Films bei, der von seinen Protagonisten getragen wird.

Hirschfeld, aber auch Pasternak, sind auf dem Gut aufgewachsen und haben ein Vertrauensverhältnis zu den dort lebenden Menschen, das auf gemeinsamem Erlebnissen beruht. Daher wird meist „Klartext“ geredet. Wenn sich die Distanz zwischen Befrager und Befragten nach den ersten Schnäpsen vollends auflöst, schrammen die Interviews gelengentlich scharf an der Selbstentblößung entlang. Das macht natürlich auch einen Teil des Unterhaltungswertes von „Was übrig bleibt“ aus, es lenkt jedoch vom Sujet ab. (dakro)

 

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