Schleswig-Holstein Musikfestival 2005:
Muttersprache Musik
Das Suzuki Murakami Kinderorchester bewies in der Plöner Nikolaikirche den Erfolg musikalischer Früherziehung.
Der „Gong“ vom Klavier, zu dem sich die 26 Streicher zwischen vier und 22 Jahren artig verneigen, um in der Plöner Nikolaikirche den fast immer brandenden Applaus entgegenzunehmen, wirkt ein wenig so, wie man es vielleicht erwartet: Die Suzuki-Methode als mechanische Fließbandproduktion von Wunderkindern? Doch das musikpädagogische Konzept, das der japanische Geiger Shinichi Suzuki Anfang der 60er Jahre entwickelte, und das nach ihm benannte Kinderorchester, mit dem sein Nachfolger Yutaka Murakami nun alljährlich auf Europa-Tournee und somit auch beim SHMF zu Gast ist, beweisen das ganze Gegenteil von Dressur und Drill.
Suzuki, Sohn eines Geigenbauers, der erst mit 17 Jahren das Geigenspiel durch reines Nachahmen erlernte und später in Berlin studierte, entdeckte, dass selbst Kinder im Alter von nur drei Jahren einen natürlichen Draht zur Musik haben. So zwanglos, wie sie ihre Muttersprache annehmen, erlernen sie auch das Geigenspiel, wenn man es ihnen nur so kontinuierlich vormacht wie die Sprache. Dazu bedarf es keiner Notenkenntnis, Suzuki ging viel mehr davon aus, dass so wie jeder Mensch seiner Muttersprache ohne Schrift mächtig wird, er auch von Natur aus musikalisch ist.
Dass das nicht nur idealistische Theorie ist, sondern Musik eine Art universell muttersprachliche Praxis, kann man unmittelbar hören, wenn das Kinderensemble seine 3/4-Geigen zu Vivaldis „Konzert a-moll, op. 3, Nr. 6“ in erstaunlich reinem, präzise intoniertem Klang erstrahlen lässt. Selbst wenn man den Niedlichkeits-Bonus der kleinen Japaner in Kimonos mal beiseite lässt, ist das mehr als beachtlich. Und weil es dazu keine Noten braucht, wenn die Kinder-Geigen unisono singen, begleitet vom Klavier als dezentem Continuo, kann Dirigent Murakami sich auf sparsamste Gesten beschränken. Selbst Rhythmus, Dynamik und Agogik ergeben sich „muttersprachlich“ natürlich.
Freilich, wo Takumi Morooka sich an Bachs „Cello-Suite C-Dur, BWV 1009“ wagt, hört man auch die Beschränkungen, die Kindheit noch birgt. Mancher Doppelgriff geht da in die Binsen. Doch was hier beeindruckt, ist die Unbekümmertheit gegenüber Meisterwerken. Gerade sie bringt die Musik aus den Olympen wieder zurück zum Menschen. Dessen Ergriffenheit klingt selbst durch ab und an mal schräge Töne. Wenn Tae Shionoiri Bartóks „Rumänische Volkstänze“ auf die Tasten bringt oder Asami Morooka Fritz Kreislers „Tambourin chinoise, op. 3“ auf die Saiten, belegt Suzukis Methode indes, dass auch unbedingte Virtuosität in der Natur des Menschen liegen kann.
Aber das ist nicht ihr Hauptanliegen. Völkerverständigung via Muttersprache Musik will sie nicht minder. Dass die gelingt, zeigen die zauberhaften Streicherarrangements zu deutschen und japanischen Volksliedern genauso wie das begeisterte Mitsingen des stehende Ovationen bietenden Publikums, wenn das Orchester zum Schluss das Volkslied „Alle Vögel sind schon da“ aus den kindlichen Geigen trillert. (jm)