Vom Zauber des Unausgesprochenen
Till Franzens Kinodebüt „Die blaue Grenze“
„Die blaue Grenze“, Till Franzens Kino-Erstling, ist ein Film zwischen Tag und Traum. Schon in Franzens Kurzfilm „Die große Operation“ wurde deutlich, dass es ihm mehr um Stimmungen seiner eher kauzigen und außenseiterhaften Figuren und um das Ausloten ihrer Seelensphären geht als um das Erzählen äußerlich handlungsreicher Geschichten. Und so ist auch folgerichtig „Die blaue Grenze“ ein poetischer, träumerischer Film, der mit Bildern und Musik dem oft Unausgesprochenen seiner einsamen Menschen auf die Spur zu kommen versucht.
Der Titel beschreibt eine Trennlinie zwischen dem Hier und dem Jenseits, die durchlässig wird. Leise märchenhaft wird das Leben verändert, indem Surreales auf Reales trifft, Magisches und Irreales alles schließlich auf wundersame Weise zu fügen scheinen. Eine Reihe von Menschen steht in dieser Geschichte an einem Wendepunkt, vor einem Neubeginn. Alle müssen lernen, los zu lassen von ihrer Vergangenheit und Vertrauen zu fassen in ihre Mitmenschen. Da ist der junge Mann Momme (Antoine Monot jr.), der zu seinem Großvater nach Flensburg fährt, um ihm vom unerwarteten Tod seines Vaters zu benachrichtigen.
Antoine Monot jr. in „Die blaue Grenze“
Dort trifft er auf Lene (Beate Karoline Bille), eine junge Dänin, der er fast sprachlos gegenübersteht und in die er sich sofort verliebt. Geträumte Botschaften vom toten Vater, „erlauschte“ Wegweisungen scheinen beide zu einander zu führen. Auch in das einsames Leben des leutseligen Polizeikommissar Kommissar Poulsen (Dominique Horwitz), eines beziehungsarmen Schwadroneurs auf der ewig erfolglosen Suche nach Freundschaft, scheint ein überirdischer Fingerzeig einzugreifen und so den Weg zu seiner geheimnisvollen Nachbarin (Hanna Schygulla) zu weisen. Und schließlich: Mommes Großvater (Jost Siedhoff), der den Tod seiner Freu nie verkraftet hat und nun langsam begreift, dass nur ein Abschied einen neuen Anfang birgt.
Szene mit Dominique Horwitz und Hanna Schygulla
Der Film spielt im nordischen Fördegraublau einer schneelosen Winterlandschaft, die durch ihre unaufdringliche Schönheit verzaubern kann. Ebenso zurückgenommen agieren die Figuren, bei denen Blicke, Gesten, Ungesagtes mehr vermitteln als alle Worte, die zum Glück unausgesprochen bleiben. Neben den Bildern gestaltet oft auch die Musik das Geschehen. Der Score von Enis Rotthoff und die Lieder der Gruppe Lamchop färben mit ihrer hoffnungsvollen Melancholie das verträumt erzählte Geschehen. Die Szene, in der schon nach gut 30 Filmminuten endgültig klar wird, dass Momme und Lene, obwohl räumlich getrennt, innerlich zusammengehören, ist eine bezaubernd zurückhaltend und dennoch eindeutig komponierte Sequenz aus Bildern und Musik. Wie hier scheinen die Figuren häufig zu warten, in sich hineinzuhorchen. Dieses Innehalten, Vertrauen auf die Langsamkeit des Wichtigen unterscheidet den Film von vielen anderen aus der Gegenwart. Hinzu kommt ein lakonischer Humor und ein Gespür für skurrile Kauzigkeit, die amüsieren. Menschen wie aus den Filmen von Franzen wollten schon immer auf die Leinwand.
„Die blaue Grenze“, gefördert von der MSH, Filmstiftung NRW und BKM und unterstützt von der Kulturellen Filmförderung S.-H., wurde am 2. Juli beim Deutschen Filmkunstfest in Mannheim uraufgeführt und gewann dort den Publikumspreis. Am 21. und 28. August läuft der Film beim Int. Filmfest in Kopenhagen und am 24. September beim Filmfest Hamburg. (Helmut Schulzeck)