Vielfalt statt Einfalt
Dokumentarfilm des Medienbüros Riecken über Minderheitenmedien in Deutschland
Fast wäre es bei der Premiere des Dokumentarfilms „Fiirsiien, radio, blees – Minderheitenmedien in Deutschland“ von Claas Riecken und Susanna Swoboda-Riecken (Medienbüro Riecken) zu einem Eklat gekommen. Als der Film am 27. Februar beim Biike-Empfang des Friesenrats in Leck gezeigt wurde, zeigten sich insbesondere die anwesenden NDR-Vertreter (u.a. die stellvertretende Landesrundfunkhausdirektorin Elke Haferburg) düpiert von der im Film geäußerten Kritik, dass der NDR seiner Verpflichtung, die Minderheiten in seinem Programm mit Beiträgen in ihrer Sprache angemessen zu berücksichtigen, bei weitem nicht ausreichend nachkommt.
Im Auftrag des „ferian för en nuurdfresk radio i.f.“ (ffnr) und mit finanzieller Unterstützung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) produzierte das Medienbüro Riecken einen 37-minütigen Dokumentarfilm, der das Thema Medien von und für Minderheiten nicht nur aus friesischer Sicht beleuchtet, sondern gerade im Vergleich der vier in Deutschland angestammten Minderheiten Sorben, Dänen, Friesen und deutsche Sinti und Roma umfassend darstellt, wie unterschiedlich diese in den Leit-Medien Hörfunk, Fernsehen und Zeitungen vertreten sind.
Da sind die Dänen, die „einen Staat im Rücken“ haben und mit der Tageszeitung „Flensborg Avis“ einen starken Medienpartner. Doch Chefredakteur Bjarne Lønborg konstatiert im Interview: „Deutsche Medien beschäftigen sich nur sporadisch mit Minderheiten“. Da helfen auch die täglich 90 Sekunden Nachrichten auf Dänisch im Privatsender R.SH nur wenig. Die dänische Minderheit werde zwar berücksichtigt, resümiert Claas Riecken über die Berichterstattung des NDR, „aber eben auf Deutsch über Dänisch“. Während NDR-Hörfunk-Heimatredaktion-Chef Ernst Christ ins Mikrofon diktiert: „Dass es eine dänische Minderheit gibt, bildet sich in unserem Programm ständig ab.“
Was „ständig“ wirklich heißt, beweist indes der MDR mit seinen Hörfunk- und TV-Programmen auf Sorbisch. Die Sorben genießen bundesweit vorbildliche Medienpräsenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Drei Stunden auf Sorbisch sendet täglich der MDR-Hörfunk, inklusive eines wöhchentlich zwei-stündigen Jugendprogramms aus dem Funkhaus Bautzen und einmal im Monat das sorbische TV-Magazin „Wuhladko“. Selbst für die kleine Minderheit der Nieder-Sorben in Brandenburg produziert der RBB einmal monatlich ein TV-Magazin namens „Luzyca“.
In Schleswig-Holstein sieht das anders aus, zumindest für die Friesen. Während Sinti und Roma noch uneins darüber sind, ob sie medienpräsent sein wollen – zu tief sitzt das Trauma der Verfolgung während des Nazi-Regimes und der Landesvorsitzende der Sinti und Roma, Matthäus Anton, konstatiert, dass „wenn wir der Mehrheitsbevölkerung irgendetwas von uns gegeben haben, wurde das immer zu unserem Negativen ausgelegt“ -, streben 50.000 bekennende, aber nur 10.000 auch die Sprache sprechende Friesen nach mehr Medienpräsenz. Abgesehen vom Medienbüro Riecken, das seinen Film konsequent auf Friesisch mit deutschen Untertiteln kommentiert, ist da beim NDR nur noch Elin Hinrichsen, freie Mitarbeiterin, die wöchentlich drei Minuten für den NDR-Hörfunk auf Friesisch produziert. Der Film zeigt ihre Arbeit in der nordfriesischen Provinz.
Wo also die Sorben gut in den Medien vertreten sind, die Dänen passabel und die Sinti und Roma andere Wege suchen, sind die Friesen trotz Minderheiten-Charta der EU, die auch Deutschland 1999 unterschrieb, unterrepräsentiert. Doch der NDR will „keine festen Minderheitenprogramme“. Peter Dresewski, Chef des NDR-Fernsehens in Schleswig-Holstein: „Unser Konzept ist: Keine Nischen, keine Ghettos, sondern zu aktuellen Anlässen berichten.“ Dass dabei meist folkloristische Berichterstattung „in Trachten“ herauskommt, ärgert die Friesen und ihre wenigen Medienpartner. Prof Dr. Stefan Oeter, Völkerrechtler an der Hamburger Uni und Spezialist für Minderheitenfragen, sieht im NDR „ein besonders irritierendes Beispiel“ für Nicht-Beachtung der gesetzlich festgeschriebenen Minderheitenförderung. Wenn in Schleswig-Holstein drei der vier anerkannten Minderheiten in Deutschland siedeln, sei es umso unverständlicher, dass der NDR „seiner Verantwortung nicht nur nicht gerecht wird, sondern sich sogar weigert, sie zur Kenntnis zu nehmen“. Das Medienbüro Riecken dokumentiert in seinem Film diese harte Kritik und fragte beim NDR nach. Peter Dresewski lakonisch zu Oeters Kritik: „Dann hat er unser Programm nicht gesehen.“
Das Fass ist aufgemacht und die Kontroverse in vollem Gange. Dass die Filmemacher sich mit ihrer – journalistisch durchaus unabhängig nur dargestellten – Kritik keine Freunde beim NDR machten, versteht sich von selbst aus der Arroganz der Medienmacht, die der NDR im Film selbst präsentiert. Bleibt zu hoffen, dass sich Beiträge zur Minderheiten-Präsenz in den Medien wie dieser auf anderem Wege als über den „großen Bruder“ NDR durchsetzen. Das erste Minderheiten-Filmfestival in Flensburg Ende August, bei dem auch Claas Riecken als Vortragender auftritt und „Fiirsiien, radio, blees – Minderheitenmedien in Deutschland“ am 26. August auch zu sehen ist, könnte dazu ein gangbarer Weg sein, die Vielfalt der Kulturen gegen die Einfalt unter anderem des NDR zu fördern. (jm)
„Fiirsiien, radio, blees – Minderheitenmedien in Deutschland“, D 2005, 37 Min., DV, Buch/Regie: Claas Riecken und Susanna Swoboda-Riecken (Medienbüro Riecken). Der Film kann auf VHS beim Medienbüro Riecken (Heideweg 2, 22929 Rausdorf, Tel. 04154-9891-00, Fax 04154-9891-01, E-Mail: Claas_Riecken@gmx.de, www.medien-riecken.de) oder beim ffnr (www.ffnr.de) bestellt werden.