25 Jahre Dokumentarfilmschaffen – ein unaufhaltsamer Fortschritt
Ein Redemanuskript von Hans Albrecht Lusznat zum 25-jährigen Bestehen der ag dok
Uns jammert in Deutschland. Überall. Jetzt. Hier und immer mehr.
Als man mich um einen Rückblick auf 25 Jahre dokumentarischer Kamera- und Filmarbeit bat, musste ich mir erst Mut andenken. Zu sehr drücken verantwortungslose Diskussionen, Miesmacher und Schwarzseher aufs Gemüt. Es muss endlich Schluss sein mit dem Kulturpessimismus, Schluss mit der ewigen Rücksicht auf die guten, alten Zeiten. Vor dem Stillstand hilft nur der Fortschritt. Und so rufe ich allen Kollegen mit Nachdruck zu: Jammert nicht! Schaut vorwärts!
Die Hardware-Hersteller haben uns in den letzten 25 Jahren ohne viel Aufsehen eine Technik in die Hand gegeben, die durch hochintegrative Schaltkreise den technischen Druck von unseren Schultern nimmt und uns mehr Freiraum für die kreative Bildgestaltung lässt. Das Filmemachen ist sprichwörtlich ein Kinderspiel geworden. Jetzt ist es an uns, flexibler und schneller mit den Inhalten umzugehen. Und so rufe ich euch zu: Kollegen, filmt schneller!
In unserer Arbeitsweise haben wir Barrieren eingerissen und die Distanz zwischen den Gefilmten und den Filmenden ist zusammengeschmolzen. Wir sind der Wirklichkeit auf den Fersen und der Abstand verringert sich von Jahr zu Jahr. Dafür haben wir immer dynamischere Formen des dokumentarischen Fernsehens entwickelt. Aus spröden kantigen Formen sind griffige und windschnittige Formate entstanden wie beispielsweise die Dokusoaps – ja mit Seife, da flutscht es halt. Und ganz Sportler rufe ich euch zu: wir werden den Wettlauf mit der Wirklichkeit gewinnen! Wagt es, noch wirklicher zu werden!
In den letzten 25 Jahren haben wir gesellschaftspolitisch das erreicht, was die Nach-68 in den 70ern für unseren Kompetenzbereich so vehement gefordert haben: Wir haben uns selbst überflüssig gemacht! Kommunikation ist nicht mehr die Sache von einigen Professionellen derweil die Mehrheit passiv vor der Glotze sitzt. Das Bürgerfernsehen und die Demokratisierung der Medienlandschaft ist Wirklichkeit geworden. Das Fernsehen ist Dank der neuen Telekommunikationstechniken jetzt auf dem Weg interaktiv zu werden. Zuschauer rufen an, in solchen Massen, wie wir es uns vor Jahren nicht hätten träumen lassen. Es gibt Sender, die sich ganz auf den Dialog mit dem Zuschauer eingestellt haben und aus den Massenmedien ist eine Massenbewegung geworden. Und wir Dokumentaristen sind mittendrin, nicht länger außen vor. Und so rufe ich allen Kollegen frohgemut zu: Wir sind das Fernsehvolk – macht etwas draus!
Endlich ist es uns auch gelungen, die visuellen Lücken unserer Vergangenheit zu stopfen. Überall da, wo es kein Filmmaterial oder nicht genügend Archivmaterial gibt, können wir jetzt problemlos Abhilfe schaffen. Nach ersten kläglichen Versuchen mit der Nachinszenierung historischer Begebenheiten – diese, aus falsch verstandener Medientransparenz noch formal deutlich abgegrenzt, meist auffällig in schwarz-schwarz weiß abgesetzt – haben wir heute in dieser Kunst ein extrem hohes Niveau erreicht, nicht zuletzt durch die technische Perfektion vieler unserer Kollegen. Beim Betrachten der Ergebnisse möchte man nicht nur begeistert rufen: „Wie echt!“, nein es geht darüber hinaus: „Mehr als echt!“ Durch die Symbiose von Spielfilm und dem Wissen, wie es wirklich war, entstehen kraftvolle Bilder aus allen Epochen der Geschichte und für unsere Kinder können wir ein Geschichtsbild formen, das die Akteure von einst vor Neid erblassen ließe. Und so rufe ich euch wissend zu: Lasst Vergangenes mit fantasievollen Bildern Wirklichkeit werden, die Menschen im grauen Alltag haben sich das verdient!
Dann ziehen wir doch mal Bilanz der letzten 25 Jahre und schauen auf die Haben-Seite unseres Wirtschaftens:
Stabilität: Alles wird teurer: Wir Kameraleute haben in Bezug auf die Honorare eine ungeheuere Stabilität bewiesen. Unsere Leistungen haben sich in den letzten 25 Jahren kaum verteuert und es gibt nicht wenig Kollegen, denen es durch eiserne Einsparungen gelungen ist, die Tagessätze unter das Niveau von 1980 zu drücken. So können wir wesentlich zur weiteren Dynamisierung unseres Wirtschaftszweiges beitragen.
Produktivität: Die Produktivität hat sich in den letzen 25 Jahren um gut 300% gesteigert. Eine kümmerliche Tagesausbeute von fünf Sendeminuten gehört schon lange der Vergangenheit an. Zwei Tage zur Erwirtschaftung von 30 Programmminuten ist ein gutes Maß, bei dem die Kollegen vernünftig ausgelastet sind und sich nicht über Leerlaufzeiten beklagen müssen. Hoffnungsvoll stimmen uns Versuche, 90 Minuten Sendelängen sozusagen im „Livebetrieb“ herzustellen.
Kontinuität: Der Nachwuchs ist das Kapital unserer Zukunft, und wir haben immer eine qualifiziert hochwertig Ausbildung für den Beruf des Kameramanns gefordert. Gott sei Dank hat das föderalistische Bildungssystem diese Forderung als einen Kernpunkt zur Forcierung und Entwicklung der Medienindustrie erkannt und in den letzen 25 Jahren hat fast jedes Bundesland gut ausgestattete Bildungseinrichtungen ins Leben gerufen. Der Nachwuchs sprudelt und kein Kollege muss sich mehr unnötig Gedanken machen, wer einmal seinen Arbeitsplatz übernimmt; er hat sogar die Wahl unter vielen qualifiziert Ausgebildeten. Der Beruf des Kameramanns und Dokumentaristen ist durch die gemeinsamen Bildungsanstrengungen so lebendig wie nie zuvor.
Kreativität: Das Arsenal unserer kreativen Ausdrucksmöglichkeiten ist in den letzen Jahren mit vielfältigen neuen Formen gut gefüllt worden. Wir haben uns geradezu befreit von den Fesseln einer dogmatischen Sichtweise, die unseren Blick auf das Dokumentarische verantwortungslos verengt hat. Heute können wir endlich alles machen, was früher als „unprofessionell“ verpönt war. Und so rufen ich allen Kollegen fröhlich zu: Erlaubt ist alles! – Nutzt eure Chancen!
(Hans Albrecht Lusznat)