55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005
Wahnsinn und Genie
„The Devil and Daniel Johnston“ (Jeff Feuerzeig, USA 2004)
Vier Jahre Arbeit hat Jeff Feuerzeig in seine Dokumentation über die Songwriter-Legende Daniel Johnston investiert. Einen Großteil dieser Zeit verbrachte er damit, die unglaubliche Menge an originalem Archivmaterial zu sichten und zu katalogisieren. „Daniel Johnstons Leben ist wahrscheinlich das best-doukumentierte überhaupt“, vermutet der Regisseur nach der Vorstellung des Films auf der Berlinale, „John Lennons eingeschlossen.“ Aus tausenden von Audio-Tapes, Super-8-Filmen und Zeichnungen von Daniel Johnston selbst sowie Fotos, Videos und Interviews mit Johnstons Weggefährten montiert Feuerzeig ein faszinierendes Kaleidoskop eines Getriebenen, eines genialischen, aber manisch-depressiven Künstlers, der Zeit seines Lebens ein Underdog blieb.
Daniel Johnston (Szenenfoto: Berlinale)
Feuerzeig erzählt die Lebensgeschichte des heutigen Mittvierzigers chronologisch, beginnend mit dem Aufwachsen im konservativ-fundamentalistisch geprägten West Virginia bei den religiösen Eltern. „I believe in God and I believe in the Devil. There certainly is a Devil and he knows my name“, zitiert Feuerzeig Daniel Johnston. Die immerwährende Angst vor dem Bösen ist eine Triebfeder im Schaffen Johnstons. Bald entdeckt Johnston seine Muse, eine Lichtgestalt vielleicht als Gegenpol zum Bösen in der Johnston-Welt. In zahllosen Super-8-Filmen und auf Audio-Tape hält er seine Mitschülerin Lory fest. Alle seine traurigen Liebeslieder drehen sich um Lory und mithin um eine Liebe, die sich nie erfüllen wird.
Zeichnungen und Super-8-Filme sind seine ersten künstlerischen Gehversuche, bevor sich Johnston dem Komponieren zuwendet. Wenn Johnston sich und seine Mutter in den frühen Filmen spielt, deutet sich sowohl die Krankheit als auch der Versuch der Selbstheilung an: Kunst als Therapie gegen eine beginnende Schizophrenie. Aber auch als Versuch, wahrgenommen zu werden.
Johnstons Bilder (hier „Excuse Me“) sind in Galerien in den USA und Europa ausgestellt (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Stress Records, www.museumoflove.com)
Johnston nimmt seine Songs auf kleinen tragbaren Kassetten-Rekordern auf, zeichnet die Cover selbst und verschenkt sie. Da er keine Möglichkeit hat, die Tapes zu kopieren, spielt er seine Songs für jede Kassette neu ein, er produziert nur Unikate und Hunderte von Versionen seiner Songs. Fortwährend dokumentiert Johnston aber auch für ihn bedeutende Alltagssituationen, beispielsweise einen Streit mit seiner Mutter: auf dem Tape ist zu hören, wie Mrs. Johnston angesichts Daniels manischer Aktivitäten ihrem Sohn hilflos vorwirft, er führe kein gottgefälliges Leben. Zu spät werden die Eltern erkennen, wie krank ihr Sohn tatsächlich ist.
Als Künstler Erfolg zu haben wird für Johnston so wichtig, dass er sein Zuhause und die Kent State University verlässt, um sich zeitweise einem reisenden Jahrmarkt anzuschließen. Er strandet schließlich in Austin und findet Anschluss an die lokale Musikszene. Sein erster Manager kümmert sich aufopferungsvoll um den Vertrieb von Johnstons Musik. Bis heute kopiert er die Original-Tapes und Cover Art. Anfang der 80er Jahre etablierte sich MTV in der amerikanischen Fernsehwelt, Cutting Edge war eine neue Sendung, die unbekannte Bands vorstellte. Johnston stelle sich bei einer Aufzeichnung für Cutting Edge einfach auf die Bühne und spielte los, MTV strahlte aus: Die Geburtsstunde eines Low-Fi-Gottes.
Jahre später wird er mit Sonic Youth in New York rumhängen und mit Moe Tucker Aufnahmen machen. Kurt Kobain wird ein T-Shirt mit seinem Namen tragen und ihn als besten Songwriter bezeichnen. Er bekommt schließlich eine Plattenvertrag angeboten, der Deal wird allerdings in der geschlossenen Anstalt, in die sich Johnston nach einem nervösen Zusammenbruch selbst eingewiesen hat, abgeschlossen. Die Platte floppt.
Daniel Johnston Anfang der 90er Jahre kurz vor seinem Nervenzusammenbruch (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Stress Records, www.museumoflove.com)
Heute lebt Johnston wieder bei seinen Eltern, die sich um ihn kümmern. Ihre größte Sorge ist, was aus ihm wird, wenn sie einmal nicht für ihn da sind. Er spielt mit einer lokalen Garagenband, gibt seltene, aber umjubelte Konzerte und stellt seine Zeichnungen aus.
Feuerzeig gewann mit „The Devil and Daniel Johnston“ den Sundance Regiepreis. Sein Film ist nicht nur die Nachzeichnung des Lebenswegs eines von seinen eigenen Dämonen gequälten Künstlers, sie ist auch eine Liebeserklärung an eine Underground-Legende und eine Fallstudie der oft zitierten Persönlichkeit zwischen Genie und Wahnsinn. Johnstons Genialität transportiert sich insbesondere durch die Musik, die den ganzen Film durchzieht. Der Film zeigt aber auch die sehr konkrete Problematik, mit einem psychisch-kranken Menschen als Freund oder verantwortlicher Elternteil umzugehen.
Als ob das noch nicht genug wäre, zieht Feuerzeig durch die liebevolle und akribische Art der Montage auf Bild und Tonebene eine Parallele zur Arbeitsweise von Johnston und macht seinen Film zu einem Teil des Gesamtkunstwerkes Daniel Johnston.
P.S.: Gerade ist eine CD-Compilation mit Coverversionen von Musikern wie Tom Waits, Beck u.a. und den entsprechenden Johnston-Originalen auf den Markt gekommen. Die Einnahmen kommen Daniel Jonhston zu Gute. Titel: The Late Great Daniel Johnston. Original-Kassetten, Zeichnungen und T-Shirts vertreibt Johnstons treuer Manager unter dem Stress Record Label über www.museumoflove.com. Check it out! (dakro)
Das Museum of Love vertreibt Johnston Originale (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Stress Records, www.museumoflove.com)