55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005

Gelungene Genre-Variation

„Kakushi Ken – Oni no Tsume / Hidden Blade“ (Yoji Yamada, JAP 2004)

Als Yoji Yamada nach der Premiere seines Wettbewerbsbeitrages „Kakushi Ken – Oni No Tsume“, „Das geheime Schwert“, auf die Bühne des Berlinale Palastes tritt, ist er allein wie der Samurai, dessen Geschichte er uns gerade gezeigt hat. Der Regisseur ist japanisch-schlicht, aber modisch gekleidet, trägt schwarze Hornbrille und eine schwungvolle Künstlerfrisur. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der 1931 geborene Yamada uns gerade seinen 78. (!) Film und seinen zweiten Wettbewerbsbeitrag nach „Samurai im Zwielicht“ vor zwei Jahren präsentierte. Seine zwischen 1969 und 1996 inszenierte und 48 Folgen umfassende Filmserie um den Gauner Tora-san gehört zu den erfolgreichsten Sequels der Filmgeschichte. Yamada hat also nicht nur ein Stück japanische Filmgeschichte geschrieben, seine Lebensspanne ist auch lang genug um zu wissen, was politische und gesellschaftliche Veränderungen, mögen sie auch langsam vor sich gehen, für ein Individuum bedeuten können.

Regisseur Yoji Yamada

Japan Mitte des 19. Jahrhunderts: Das Kaiserhaus orientiert sich zunehmend gen Westen, das alte Kastensystem verliert zunehmend an Bedeutung. Das trifft auch die Samurai, die um ihre gesellschaftliche Stellung fürchten und sich den neuen Anforderungen anpassen müssen. Samurai Munezo lebt bescheiden in einer kleinen Stadt mit Mutter und Schwester und der Haushälterin Kie. Der Haushalt löst sich nach der Heirat der Schwester und dem Tod der Mutter auf, die Haushälterin heiratet einen Sohn aus gutem Hause. Munezo muss sich mit anderen Samurai einer Artillerieausbildung unterziehen und lernen, dass moderne Waffen viel effektiver töten als Samurai. Jahre später erfährt er, dass die erkrankte Kie von ihrer herrischen Stiefmutter zu Tode gepflegt wird, und befreit sie mit der Autorität seines Standes aus ihrer Heirat. Dankbar kümmert sich Kie um ihren neuen Herrn, bis der auf Druck seiner Vorgesetzten gezwungen ist, sie wieder des Hauses zu verweisen. Als er auch noch den Auftrag erhält, einen alten Kameraden zu töten, der als Rebell gegen den örtlichen Shogun auf der Flucht ist, fängt seine Loyalität an zu bröckeln.

Der Einbruch der Moderne in eine tradierte Gesellschaft lässt sich hervorragend in Filmgenres verdeutlichen, deren historischer Kontext exakt eingegrenzt ist und deren Welt einem festen Kodex unterliegt: dem Western beispielsweise oder eben dem Samurai-Film. Die beiden Genres liegen eng beieinander und haben sich gelegentlich auch gegenseitig befruchtet, man denke an die Liebe Kurosawas zu (Ford-) Western und die konsequenterweise daraus resultierende Western-Adaption seiner „Sieben Samurai“. Im vorletzten Jahr brachte die Hollywood-Produktion „Der letzte Samurai“ beide Genres in einem Film zusammen und ließ einen Offizier der US-Armee an der Seite eines zwar kaisertreuen, aber sich der Moderne verweigernden Shoguns kämpfen.

Thematisch zwar verwandt, beschreitet Yamada formal und dramaturgisch jedoch einen völlig entgegengesetzten Weg. Er verzichtet auf den Spannungsbogen mit vorhersehbarer finaler Konfrontation und erzählt stattdessen eine Reihe von einschneidenden Veränderungen im Leben eines Mannes, die letztendlich zum radikalen Bruch mit den herrschenden Gesetzen und zum Beginn eines neuen Lebensabschnittes führen. Als roter Faden zieht sich die langsam wachsende Liebesbeziehung zu Kie durch den Film, bei deren Beschreibung Yamada aber fast jedes Sentiment vermeidet. Die romantische Schlussszenen konterkariert er durch den naiven Humor der Liebenden. Humor benutzt der Regisseur auch, um sattsam bekannte Genre-Szenarien auf überraschende Weise zu präsentieren. Das beinahe aussichtslose Unterfangen einer „Weiterbildung“ der Samurai an modernen Geschützen und das Üben des geordneten Marschierens werden in kleinen Vignetten von Situationskomik und Slapstickeinlagen zelebriert.

In der Konsequenz legt Yamada auch den Zweikampf der alten Kameraden nicht als emotionalen oder visuellen Höhepunkt an. Das Schwertduell macht nur deutlich, dass die Samurai immer noch an ihren Kodex glauben, während sie von den Machthabern skrupellos benutzt werden.

Samurai ohne Spektakel: „Hidden Blade“ (Fotos: Berlinale)

Yamada verzichtet auf jegliches Spektakel formaler Art, seine Kamera scheint unspektakulär, die Farbgebung ist sehr zurückhaltend. Dieser Samurai-Film verwundert zunächst, weil er die Erwartungen in das Genre enttäuscht. Mit mancher Legende wird nebenbei aufgeräumt: Munezo, obwohl seit Jahren als Samurai im Dienst des Kaisers, hat noch nie einen Menschen im Zweikampf getötet. Die Figuren gewinnen durch das Auslassen von Klischees an Authentizität und Yamada braucht am Ende keine blutige Schlacht ganzer Heerscharen, um das innere Ringen seines Helden um seine Integrität in einer sich verändernden Welt zu zeigen. Die wiederholte Ignoranz der Mächtigen gegenüber dem selbst propagierten Ehrenkodex veranlasst Munezo zur Abkehr von seinem Shogun und zu einem elegant ausgeführten Racheakt, in dem das Geheimnis des titelgebenden geheimen Schwertes gelüftet wird. Mit „Hidden Blade“ bereichert Yamada das Genre, indem er Figuren und Thema mehr Platz einräumt als vordergründigen Schauwerten. (dakro)

 

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