55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005

Abenteuer in Wes-World

„The Life Aquatic with Steve Zissou / Die Tiefseetaucher“ (Wes Anderson, USA 2004)

Mit „The Life Aquatic“ hat Wes Anderson einen weiteres großartiges, tragi-komisches Familiendrama inszeniert. Vom ersten Bild an ist man in Wes-World, wie Anjelica Huston die Welt des Ausnahme-Regisseurs auf der Pressekonferenz nannte. Die Premiere des neuen Films von Steve Zissou, Ozeanograf und Dokumentarfilmer, wird vor dem Premierepublikum eines Filmfestivals vorgestellt. Eine Doppelung, die auf der Berlinale, auf der Anderson bereits vor drei Jahren mit „The Royal Tennenbaums“ im Wettbewerb vertreten war, natürlich für besondere Erheiterung sorgt. Mit dem ersten Teil seines neuen Dokumentarfilms „Hunt For The Jaguar Shark“ ist auch schon der Einstieg in eine Odyssee geschafft, die die Crew in haarsträubende Abenteuer über und unter Wasser führen wird und Steve Zissou, wie es sich für die Reise des Helden gehört, zu sich selbst.

Steve Zissou (Bill Murray) führt ein international besetztes Team von Meereswissenschaftlern an, das, finanziert durch Sponsorengelder, die Weltmeere nach neuen Spezies durchsucht und diese Suche auf Zelluloid bannt. Schnell wird klar, dass Zissous Filme mehr von ihm als von den Meeresbewohnern handeln, denn als in Teil Eins seines neuen Films sein langjähriger Mitstreiter von besagtem Jaguar-Hai gefressen wird, ist Zissou nach dem Auftauchen zunächst einmal besorgt, ob die Kamera läuft. Als die Sponsorengelder aufgrund des schwindenden Erfolges der Zissou-Abenteuerfilme ausbleiben und Zissous Frau (Anjelica Huston) ihre Unterstützung versagt, trifft es sich gut, dass der vermeintlich uneheliche Sohn Ned (Owen Wilson) auftaucht und mit seinem Erbe die „Expedition Jaguar-Hai“ finanziert. Cate Blanchet als schwangere, attraktive Journalistin macht Vater und Sohn zu Rivalen und auch Klaus (Willem Dafoe), das deutsche Teammitglied, ist eifersüchtig auf den neuen Sohn seines Mentors. Steve hingegen kennt nur ein Ziel: den Hai zu finden und Rache für den Tod seines Partners zu nehmen.

Unterwegs in „Wes-World“

Cate Blanchet, Wes Anderson und Angelica Huston (v.l.) auf dem roten Teppich (Fotos: Berlinale)

Andersons Geschichten und die Welt, in der sie spielen, scheinen mit jedem Film weiter von der Realität entfernt, auch wenn sie, in diesem Fall an Andersons Kindheits-Held Jacques Cousteau angelehnt, sich an tatsächlichen Charakteren orientieren. Während sein Erstling „Bottle Rocket“ noch an „realen“ Schauplätzen spielte, war „Rushmore“ schon eine Überhöhung der Highschool, die Anderson tatsächlich besuchte. Ein Vorhang öffnete sich vor jedem neuen Kapitel des Films und verwies so auf die erzählte Welt. In „The Life Aquatic“ nun sind es die Sets, gebaut in Cinecitta, und die entzückenden Meeresbewohner in Animationssequenzen, die uns zeigen, dass wir uns in einer außergewöhnlichen Fantasiewelt bewegen, in Wes-World eben. Wahrscheinlich haben die Tennenbaums die Zissou-Filme gesehen. Ob Anderson noch eine Abstraktionsebene höher klettert? Vielleicht nicht im Realfilm, aber ein Animationsfilm nach seinem Skript unter der Regie von Henry Seller ist in Vorbereitung.

Anderson greift auch in seinem neuen Film die Themen Freundschaft und Familie auf. Bill Murray ist ein ebenso selbstbezogener Familienpatriarch wie Gene Hackman als „Royal Tennenbaum“, durchschaubar in seiner Eitelkeit, aber sympathisch in seiner Verletzlichkeit. Anderson schildert die Konflikte und Glücksmomente innerhalb der Zissou-Familie und kann sicher sein, dass jeder Zuschauer ein Stück der eigenen Familiengeschichte wiederentdeckt.

Auch Anderson arbeitet gerne mit seiner „Familie“, viele Mitglider seines Ensembles sind schon bei „Rushmore“ an Bord gewesen, auch Kameramann Robert D. Yeoman.

Dass Steve Zissou sein „Team Zissou“ zusammenhalten kann, ist sein größter Verdienst. Seine größte Belohnung wird es sein, wieder mit der „Belafonte“ und ihrer Besatzung in See zu stechen. Wie gerne wäre man dabei oder würde doch zumindest Steve Zissous Abenteuer auf Film verfolgen können. Der einzige Trost wird wohl Wes Andersons nächster Film sein. (dakro)

 

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