Schattenspiel der Antastbarkeit
Gerald Grote und Claus Oppermann drehten den berührenden Kurzfilm „Blindschatten“ mit minimalen Mitteln.
Tastende Hände, langsame Annäherung, schließlich die Umarmung, das Verschmelzen der Körper. Ein anrührender Pas de deux des menschlichen Kontakts, der Liebe flackert da über die Bildschirme des Schnittplatzes in der Filmwerkstatt der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein hoch unter dem Dach der Kieler Pumpe.
Gerald Grote (rechts) und Claus Oppermann beim Schnitt in der Filmwerkstatt (Foto: jm)
„Das wird der erotischste Film des Jahres“, sagt Gerald Grote, Kieler Autor, Multitalent und Filmregisseur seit seinem Debüt „Tödliche Roman(z)e“, einer Literaturverfilmung von 40 Romanen in neun Minuten, die bisher 32 Festivalteilnahmen mit siebenfacher Preiskrönung und ein Prädikat „besonders wertvoll“ der Filmbewertungsstelle auf ihrem Erfolgskonto verbuchen kann. Auf solchen Lorbeeren, auch denen obigen selbst gewährten Vorschusses, ruht sich Grote indes nicht aus. „Blindschatten“ heißt sein gemeinsam mit Kameramann, Cutter, Co-Produzent und Co-Regisseur Claus Oppermann und einem 13-köpfigen Team in nur einem Drehtag realisiertes neuestes Projekt. Anlass: der Wettbewerb „Blind Spot“ des Hamburger Vereins „Dialog im Dunkeln“, Thema: Wie sieht ein Blinder die Welt?
„Liebe macht blind“, fiel dem Wortspieler Grote dazu sofort ein, nebst der Idee, die Kontaktaufnahme zweier Menschen – „sie lernen sich wie Blinde nur durch Berührung kennen“ – als Schattenspiel zu inszenieren, nicht auf der Leinwand, sondern dahinter. Grotes Drehbuch passt auf eine DIN-A4-Seite: „Ihre Hände flüstern, beide fühlen sich ergriffen“, schon das liest sich wie ein zärtliches Poem. Nicht anders die filmische Umsetzung: Ein halbtransparentes Tuch auf ein Gestell gespannt, darauf zur Musik von Chris Evans Ironside der sanfte Tanz der Körper von Tina Slabon und Stefan Späti, Ensemblemitglieder des Kieler Balletts, gefilmt von unten durch die „Leinwand“ als auf einander zu Wogen der Schatten.
Tina Slabon und Stefan Späti beim Dreh …
… und im Gegenlicht (Fotos: Helmut Neumann)
Grote wäre nicht Grote, wenn er diesen schon im Rohschnitt als außergewöhnliches Filmkunstwerk erkennbaren Vier-Minüter nicht auch noch als „No Budget“ mit nur 14 Tagen Vorbereitung produziert hätte. Ballettchef Mario Schröder und seine Eleven waren ebenso wie die Berliner Firma trickWilk, die den digital gedrehten Film zum Selbstkostenpreis auf 35 mm belichten wird, sofort von dem Projekt begeistert. Ganz zu schweigen vom Team, das nicht nur seine Arbeitskraft spendete, sondern beim Dreh in nur acht Takes kurz vor Weihnachten in der Pumpe auch spontanen Szenenapplaus.
Enstanden ist der wohl emotionalste Kurzfilm des ausgehenden Jahres. „Man glaubt nur etwas zu sehen“, sagt Grote, der mit seinen minimalistischen Bildern „die Fantasie für den einfachsten Vorgang der Welt, die Emotionen zweier Menschen“, anregen will. Die weckt er bei allen Beteiligten nicht zuletzt durch die berückende Kraft seiner Idee, dass Sehen nicht das Wichtigste im Film ist, sondern Fühlen. Und das ist im buchstäblichen Sinne berührend. (jm)