46. Nordische Filmtage Lübeck: Filmforum Schleswig-Holstein
Rhythmische Bilder im Gleichschritt
„Hitlers Hitparade“ (D 2003, Oliver Axer, Susanne Benze)
Filmballette im swingenden Rhythmus, synchron die Arme schwingende „Jungmädel“-Scharen, Soldaten und Parteitagsdelegationen im Gleichschritt … Oliver Axers und Susanne Benzes „Komposition aus Bild und Ton“ der Nazizeit benutzt durchgehend das Stilmitel der Kollisionsmontage, um ein Zeitbild einer (Un-) Kultur zu zeichnen, die mörderischen Gleichschritt mit den idyllischen Revuen der Realitätsverdrängung verknüpfte, oft unter dem Banner der Propaganda.
„Hitlers Hitparade“ ist auf der Tonebene eine Kompilation von „Hits“ aus den 30er und 40er Jahren. „Eingedeutschte“ Swingnummern kommen darin ebenso vor wie säuselnde Schlager wie „Ich brauche keine Millionen“. Gerade in letzteren kassiberte sich aber auch oft ein Zeitgeist, der seine Verwerfungen durchaus wahrnahm, besonders gegen Ende des Krieges, als die Nazi-Propaganda Film und Rundfunk mehr und mehr als Botschafter von Durchhalteparolen benutzte und sich darin umgekehrt die Ängste und Nöte der Konsumenten solcher „Unterhaltungsindustrie“ als melancholischer Blues-Unterton manifestierten.
Der Film ist nicht eigentlich ein Dokumentarfilm, eher eine essayistische Collage, die kaum Position bezieht, sondern das Lesen der Bilder und Töne dem Zuschauer überlässt. Wo die Unterschiede und Ähnlichkeiten von steppenden Tänzerinnenheeren und marschierenden Soldatenstiefeln liegen, muss jeder für sich entscheiden. Der Film liefert dafür sozusagen nur das Rohmaterial und hofft darauf, dass dies für sich spricht. Was es nicht immer tut, denn das Verdrängungs- und Ruhigstellungspotenzial der Schlager, die die Taten der Schläger mit dem Schmelz des Vergessens kandieren, funktioniert eben auch heute noch. So wirken Bilder von ermordeten Insassen des eben befreiten KZ Buchenwald, durch das die amerikanischen Befreier die Bewohner Weimars führten, um ihnen den Schrecken und ihre Mittäterschaft durch Schweigen handgreiflich vor Augen zu führen, seltsam entrückt, wenn man sie mit dem Swing der 40er untermalt. Klar, das soll die Gegensätze zeigen, dennoch wirkt es fast wie unfreiwilliger Hohn.
Ähnlich problematisch scheinen Montagen wie die des Couplets „Du gehst durch all meine Träume“ mit Aufnahmen des „Führers“ im romantischen Ambiente des Obersalzbergs. Dass Adolf Hitlers charismatische Anziehungskraft Massen hypnotisierte, bis hin zu fast religiöser Verehrung des Massenmörders, ist bekannt. Aber kann man sie so verständlich machen? Zumal einem jüngeren Publikum, für das die Nazizeit und ihre Kulturindustrie nur noch Historie ist, ohne Verbindung zur daraus erwachsenden Verantwortung heute?
Um den Bilderbogen richtig zu deuten, daraus die Erkenntnis zu ziehen, dass Hoch- wie Alltagskultur häufig nicht aufklärt, sondern verschleiert, bedarf es eines Hintergrundwissens, das die Filmcollage nicht liefert, und damit ungewollt eher das verlängert, was sie zu kritisieren versucht. (jm)