Vom Unendlichen der Sehnsucht

Kai Zimmer schneidet in der Kieler Filmwerkstatt seinen Experimentalfilm „Blaue Blumen“.

„Mit einem Traume beginnt die Geschichte und endet mit einem Traume“, schrieb Ricarda Huch über den Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Friedrich von Hardenberg alias Novalis. Der Ex-Kieler, jetzt Berliner Video-Künstler Kai Zimmer stellt dieses Zitat seinem „Liebesfilm ohne Darsteller“ namens „Blaue Blumen“ voran, den er zur Zeit in der Filmwerkstatt der Kulturellen Filmförderung S.-H., die das Projekt auch förderte, schneidet.

Novalis‘ Roman, namentlich der Liebesdialog darin bildete den Ausgangspunkt für Zimmers Film, ohne dass dieser eine Verfilmung des Romans wäre. Denn da liegen noch Berge von Video-Kassetten neben dem Schneidetisch, „Found Footage“ aus Liebes- und Abenteuerfilmen nebst rund 35 Stunden Naturaufnahmen, die Zimmer an der Nordsee, der Mosel, im Harz, in Schleswig-Holstein und in Brandenburg gedreht hat. Wie macht man aus so unterschiedlichem Material einen Film? So fragmentarisch wie Zimmer Novalis‘ Opus empfindet: „Bei Novalis kann alles mit allem kommunizieren, Bäume, Tiere, Menschen.“ So verschränken sich die Ebenen auch in „Blaue Blumen“, besonders die von Ton und Bild. Der Filmkritiker Siegfried Kracauer berichtet von einem betrunkenen Stummfilmpianisten, der einfach drauf los spielte und dabei nicht auf die Leinwand sah. Für Zimmer ist das eine Art Anleitung für eine ironische Kollisionsmontage von Bild und Ton. Unter stille Naturbilder, „stets in flächig wirkender Großaufnahme, nie in Totalen, nie gezoomt, nie geschwenkt“, montiert er gefundenes Material aus den Soundtracks der Traumfabrik, kitschige Liebesgeständnisse und markig heldenhafte Fanfaren.

Doch aus solcher Ironie der „verbildlichten Musik“ wird mit den eingesprengten Zitaten aus Novalis‘ Roman bald Ernst. Sowohl im Roman wie in dessen Hollywood-Varianten und in den Naturszenen ruht etwas, wofür die „Blaue Blume“ als Symbol steht: unerfüllbare Sehnsucht. Die ist gut 200 Jahre nach Novalis mehrzählig. Aus der Blauen Blume werden die Blauen Blumen, „die Vervielfältigung der Glück suchenden Lebenswege in der Gegenwart“. Und eine unendliche Geschichte, denn schon die Romantik hatte den horror vacui vor der Erfüllung der Sehnsucht, die unendlich sein muss um als romantisches Gefühl bestehen zu können.

Knospen blauer Blumen – Still aus Kai Zimmers Film

Vor dem spätsommerlich offenen Fenster des Schnittraums unter dem Dach der Pumpe glüht romantisch der Efeu im Gegenlicht, während Zimmer Nebellandschaften, sehnsüchtig sich umfassende Statuen im Park von Sanssouci, einsam sich ballende Wolken, noch einsamer stehende Stämme in dunkelgrünen Wäldern, Vögel und Rehe zwischen solchen und natürlich die Blumen, die alle ganz bewusst nicht blau sind, am Computer montiert. Später wird er alles projizieren und nochmals abfilmen, um die Bilder „noch flächiger“, unwirklicher erscheinen zu lassen. Ein Bild-Ton-Traum in „20 bis 30 Minuten“, so ungewöhnlich lang für einen Experimentalfilm, dass Zimmer passend zur Unendlichkeit der romantischen Sehnsucht „unendliche Kombinationsmöglichkeiten von Bildauswahl und Montage“ sieht. Das muss so sein, damit auch die Sehnsucht des Filmemachers sich perpetuiert, um „endlich und unendlich verschränkt in Traum und Wirklichkeit“ ein Ideal zu erreichen, das in seiner Unerreichbarkeit besteht. (jm)

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