JazzBaltica 2004: Dianne Reeves mit Trio und dem Schleswig-Holstein Chamber Orchestra

Stehende Ovationen für eine (Jazz-) Lady

Allgegenwärtig scheint bei der JazzBaltica die bohrende Frage, ob der Jazz, wenigstens der – was immer das sei – klassische, tot sei und nun einem stilistischen Ad libitum Platz mache. Bei Dianne Reeves wusste man in den 80ern noch nicht, ob man sie eher in die Schublade „Jazz“ oder doch lieber das Fach „Soul“ einordnen sollte. Mittlerweile gilt sie als eine der ganz großen zeitgenössischen Stimmen des Jazz und für das diesjährige JazzBaltica-Motto „Voices in Jazz“ konnte man sich keine bessere „Artist in Residence“ vorstellen. Dennoch: Dianne Reeves weiß immer noch Puristen zu irritieren – um sie gleichzeitig zu versöhnen.

Irritiert und versöhnt Jazzpuristen: Dianne Reeves (Foto: SHMF)

Zum Beispiel in trauter Eintracht mit dem Schleswig-Holstein Chamber Orchestra (SHCO) unter dem filmmusikalisch agierenden Notenstift und Taktstock von Vince Mendoza. Mendozas speziell für das Konzert mit Reeves am Festivalsamstag geschriebene Arrangements geben streichzarte Sinfonik vor. Auf diesem fliegenden Klangteppich aus Streichern in Wellenbewegung, mit filmmusikalischer Dramaturgie gespannten großen Bögen und Bläsern, die nur noch entfernt an den Sound einer Bigband erinnern, könnte man leicht die jazzige Bodenhaftung verlieren. Nicht allerdings Dianne Reeves. Ihre Stimmgewalt weißt den spätromantischen Duktus des Orchesters in die Schranken, selbst bei süßlichen Balladen wie Cat Stevens‘ „Morning Has Broken“. Wo Mendoza Zucker streut, ist Reeves‘ dunkel timbriertes Organ das Salz in der sinfonischen Ursuppe und setzt in den breit angelegten, aber doch recht eintönigen Flächen kammermusikalische Gipfel, die sie mit Grazie erstürmt.

Das SHCO hat es dabei nicht immer leicht, nicht zum bloßen Backgroundchor der raumgreifenden Sängerin herabzusinken. Schon beim Tête à tête mit Saxofonist Stefano Battista spielt dessen Quartett so boppig auf, gibt Referenzen eher Dizzy Gillespie als Gustav Mahler, dass die sanften Bewegungen des Orchesters in den Hintergrund gedrängt werden. (Man könnte das freilich auch als dezente Zurückhaltung des Klangmalers Mendoza deuten, der vielleicht nichts anderes will als nur Atmosphärisches zu kreieren.)

Gleichwohl: Dianne Reeves‘ Techtelmechtel mit einer so sanften Gangart des Jazz wird überboten von ihrem Auftritt einen Tag vorher zusammen mit ihrem Trio und Roy Hargrove als special guest. Wer hier die „Voice in Jazz“ sei, Reeves, die mit ihren Scats instrumentale Qualitäten entfaltet, oder das sanglich agierende Trio, bleibt glücklich unentschieden. Der Jazz braucht keine großen Orchester, sondern im Fall von Thelonious Monks „Reflecting Back Of My Life“ nur eine Stimme und ein Klavier. Peter Martins intimer Dialog mit der Diva zählt zu den Sternstunden der JazzBaltica 2004, denn weniger ist hier unbedingt mehr.

Vor allem, wenn man einen so poetischen Trompeter wie Roy Hargrove mit am Start hat. Im Gegensatz zu seinem Ruf als „Young Lion“ gibt sich Hargrove als Lyriker, der jeden einzelnen Ton formt, als sei die das Flügelhorn nur ein Instrument zur Verlängerung der menschlichen Stimme. Soul gibt hier dem Jazz die Hand und die Lady, der dafür die einzigen stehenden Ovationen dieser JazzBaltica erwachsen, ist ohne Zweifel eine Jazz-Lady. (gls)

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