Die Drei von der Klangstelle

Filmpreis in Gold für schleswig-holsteinisches Filmkomponisten-Trio

Diese Schleswig-Holsteiner schafften es nie: Nicht die Kieler Bernhard Minetti, Oskar Kolle und Lotti Huber, nicht der Schleswiger Christian Redl. Aber diese drei: Max Berghaus, Dirk Reichardt und Stefan Hansen. Am 18. Juni erhalten sie in Berlin den Deutschen Filmpreis in Gold für die Filmmusik von „Erbsen auf halb sechs“.

Grund genug für einen Smoking. Noch kuscheln die drei Herren sehr fotogen und leger im Strandkorb, aber gleich werden sie der Etikette gemäß Smokings anpassen. Sie sind zwar keine Raucher, sondern Musiker, wollen aber nicht mit den Türstehern des Tempodroms über Etikette diskutieren. Auch nicht mit Jessica Schwarz und Ulrich Wickert, die sie auf die Bühne bitten werden, um eine „Lola“ entgegen zu nehmen, jene schlanke, Band umwundene Art-déco-Statue, Symbol für den am höchsten dotierten Preis, den die deutsche Filmförderung zu vergeben hat. 2,8 Millionen Euro werden in diesem Jahr insgesamt ausgeschüttet, eine beeindruckende Summe, auch wenn davon für die drei Filmkomponisten aus Schleswig-Holstein nur 10.000 Euro übrig bleiben, teilbar durch drei (abzüglich der Smoking-Kosten).

Dass ein Deutscher Filmpreis nach Schleswig-Holstein reiste, ist elf Jahre her. Der Grund war die Komödie „Wir können auch anders“ von Detlev Buck, dem Bad Segeberger, der in diesem Jahr für die beste Nebenrolle nominiert ist, aber längst Berlin näher ist als seiner Heimat. „Wir können auch anders“ wurde 1993 auch für die Musik des Husumers Detlev Petersen ausgezeichnet. Und dessen Arrangeur wiederum war Stefan Hansen, ein stiller Blonder. Er wirkt wortkarg, aber wirkungsvoll – auch jetzt wieder bei „Erbsen auf halb sechs“. Zwischenzeitlich besorgte der Mann aus Flensburg Arrangements für Kinofilme („Männerpension“) oder Sänger wie Dieter Bohlen oder Howard Carpendale. Wer so ein breites Spektrum hat, ist anpassungsfähig. Diesmal konnte er es brauchen. Denn bei seinen Co-Komponisten handelte es sich um Schulkameraden.

Insofern beginnt die Geschichte dieses Deutschen Filmpreises in Gold vor 20 Jahren in der Aula des Ellerbeker Hans-Geiger-Gymnasiums. Dort spielten Max Berghaus und Dirk Reichardt Mozartsonaten. Dann begleiteten sie – Max als Stehgeiger, Dirk am Piano – einen Mitschüler, der „dünn wie ein Strich in der Landschaft“ (Reichardt), der durch Kaffeehäuser scharwenzelte, einen Löwen gab oder Beckett rezitierte. Der Strich hieß Lars Büchel, dem es Reichardt sehr bald sehr übel nahm, statt zu schauspielern lieber Regie zu führen – zuletzt bei „Erbsen auf halb sechs“. Schon die Jugendlichen lockte der Film. Max und Lars zog es zu den Filmfestspielen nach Cannes, wo sie so ungebeten wie unbekümmert campierten, von der Gendarmerie aufgegriffen und wortlos in fernem Wald ausgesetzt wurden. Solche Jugenderlebnisse schmieden und prägen, schweben als leises Echo auch über der musikalischen Zusammenarbeit, als die Jungspünde zu Profis gereift waren, und sich im Sommer drei reife Herren jenseits der Mittdreißig zum ersten Mal zusammen taten, um für Büchels kauzige Bankräuberei „Jetzt oder Nie“ eine Musik zu ersinnen. Jetzt sind sie noch ein Stück weiter verwachsen, und mit ihnen die musikalische Dramaturgie, in der sie moderne Klänge und klassisch-orchestrale Linien zusammenführen, gewürzt mit einem hörbaren Hauch Osteuropa. „Was in ‚Jetzt oder Nie‘ hübsche verstreute Wiesenblumen waren, wurde in ‚Erbsen auf halb sechs‘ zu einer Musik aus einem Guss“, bebildert es Reichardt.

Was am 18. Juni im Tempodrom zu hören sein wird, wenn die drei Männer in Schale je eine Lola umschließen, ist das Intro von „Erbsen auf halb sechs“: sphärisch entrückter Knabengesang, den ein melancholisches Akkordeon ausdehnt, bis dazu ein fast galoppierender Rhythmus klöppelt. Eine sehnende Spannung legt sich hier über Bilder einer Schwimmhalle, in der eine junge Frau zum Sprung ansetzt. Die Frau aber ist blind, ihr Sprung in die Tiefe ein stiller Triumph – und die Musik dessen zärtliches Hohelied.

Wie ersinnen drei Männer zusammen eine Musik? „Es ging oft um einzelne Noten“, erinnert Berghaus. Aber wie überzeugt man fremde Bäuche von einer Note? „Das ist das Geheimnis“, entzieht sich Berghaus, der eigentlich erklären können müsste, zumal er seit 15 Jahren Büchel die Filmmusiken schreibt, seit „Iglu der Kapiten“, als Berghaus im Kieler Sechseckbau am Klavier saß, während vor ihm Büchel die Stoppuhr hielt. Aber Berghaus, dem Realschullehrer aus Fresendorf, ist manches unerklärlich – zum Beispiel, wenn er morgens in der Musikstunde das Tamburin schlägt, nachdem er nächtens noch in der Glamourwelt des Films im Blitzlicht stand. Wie also streitet man um den richtigen Ton? Dirk Reichardt spricht von „Kompromissen“, und man nimmt ihm, Typ lockerer Sonnyboy, den Pragmatiker ab. Es sind seine Studios, wo Strandkörbe stehen und aus nebligen Ideen handfeste CDs gebrannt werden. Seine Firmen produzieren Spezereien, die wie aufputschende Naschriegel klingen: „basic cuts“, „image cuts“, „fun cuts“. Dabei sind es hoch dosierte Ton-Kapseln, Jingles, mit denen sich Radiosender bundesweit unüberhörbar machen, unter anderem „deltara-dioh“ oder „erress-haa“. Voll gemalte Jahrespläne verraten ein vitales Geschäftsleben. Reichardts gläserner Bau überragt das kleine Bönningstedt, das mit Heimtier-Abhollager und leerstehenden Resthöfen im Hamburger Speckgürtel schlummert. So jemand denkt lösungsorientiert.

Wie formt sich im „Kompromiss“ eine solche berührende Musik? Vielleicht, indem ein vierter dazu kommt, der einen Koffer voller CDs aufklappt und die Köpfe seiner Komponisten mit Bildern füttert: von irrlichternden Liebenden im Rapsfeld oder einer sterbenden Mutter am rot beflaggten Strand. Dieser Mann, Regisseur Lars Büchel, ist „oft anstrengend aber auch oft anregend“ (Reichardt). Er kann nicht komponieren, aber zieht eine Grimasse, wenn ihm ein Ton nicht passt. 50 Studiotage haben die Musiker und ihr Regisseur miteinander gesucht, um Akkorde gefeilscht, Tonlagen gestritten, empört das computer-bestückte Zimmer verlassen, wieder betreten, 120 Kompositionen gebaut, Skizzen zunächst, so genannte Layouts, auf das Hochziehen der Büchelschen Augenbraue gehofft, oft vergeblich, das meiste verworfen. „Manchmal legt man mit einem Layout sein Herz zu Füßen, und jemand anders tritt es so beiläufig aus wie eine Zigarette – das ist dann hart“, sagt Stefan Hansen. Und sagt auch: „Da muss man durch.“ Das eint. Sogar zum Smoking-Kauf brechen sie gemeinsam auf, trommeln zuvor noch für den Fotografen eine lustige Melodie vor einer aufblasbaren Palmen-Attrappe, obwohl sie dringend aufbrechen müssen – jetzt oder nie.

Aufbruchstimmung herrscht, Abenteuerlust. Es sind keine vergeistigten Genies, die da Anfang Oktober 2003 im Flieger nach Warschau sitzen und sich mit zerknüllten Zeitungen bombardieren, als seien sie auf Klassenausflug. Der nächste Streich: ein 40köpfiges Orchester wird mit schweren Streichereinheiten die ausgedruckten Noten in jene wuchtige Wirklichkeit überführen, von der das fidele Trio in Bönningstedt kaum zu träumen wagte.

Der nächste Traum beginnt jetzt. Die schlanke „Lola“ könnte das kleine Standbein Filmmusik zum Sockel gemeinsamer Zukunftspläne wachsen lassen. Man wolle ja nicht Hans Zimmer, dem oscar-gekrönten Hollywood-Komponisten aus Deutschland nacheifern, nein, „aber man wird doch träumen dürfen“, beharrt Dirk Reichardt. Dazu ist nicht viel Zeit. Schon haben die Drei von der Klangstelle einen neuen, alten Kunden: Til Schweiger, Produzent von „Jetzt oder Nie“. Soeben komponieren sie Musik für Schweigers neuen Kinofilm. Anders als vor vier Jahren, als sie Schweiger ihre Melodien übers Handy auf die Mailbox spielen mussten, weil der in Kanada mit Sylvester Stallone an „Drivers“ arbeitete. Diesmal will Schweiger in seinem Haus schneiden, nur fünfzehn Autominuten nah bei Bönningstedt. Wer wird diesmal als erster den Raum verlassen? Antwort: alle drei gleichzeitig. Und zwar jetzt, zum Herrenausstatter. Es ist spät geworden. Einen Smoking lässt man nicht warten. (Gerald Koll)

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