8. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide

Frische Luft für den Dokumentarfilm

Über das DRANA (drama naturale oder das Naturschauspiel) – Bemerkungen zum Film „21.10.68. ca. 15 Uhr“ von Bernd Fiedler und Balz Raz

Was neuerdings besonders auffällt: Gerade teure Film- und Fernsehproduktionen stehen oft auf schwachen dramaturgischen Füßen. Und der „Human Touch“ fehlt. Statt auf die Straße oder in die Fabriken zu gehen, statt den Menschen bei der Arbeit und ihrer Freizeit persönlich zuzuschauen, haben die Autoren angefangen, voneinander abzuschreiben. Kein „Tatort“ z.B. zeigt zur Zeit auch nur annähernd glaubhaft die Arbeit der Kriminalpolizei in unserem Land. Was der Zuschauer stattdessen dort zu sehen bekommt, ist die langjährige Erfahrung der Filmleute mit dem Produzieren von Krimis. Wobei man seltsamerweise ganz deutlich eine Akademisierung des Milieus und der Handlungsstrukturen beobachten kann.

Das Resultat dieser Entwicklung ist weder besonders unterhaltend, noch möchte man als Privatmensch jemals etwas zu tun haben mit einer derart versponnenen und hilfsbedürftigen Polizei. Aber auch bei Pilcher-Filmen und anderen groß gefühlten Medienwerken zeigt sich eine dramaturgische Qualität, die von dünner Logik bis zu unfreiwilliger Komik reicht.

In der Programmproduktion führten eine gewisse Inzucht und der Mangel an frischer Luft im Lauf von Jahrzehnten zur Degeneration der einfachen kraftvollen Geschichte. Dagegen gibt es ein einfaches und wirksames Mittel: Sehen wir uns genau an, wie das Sonnenlicht durchs Fenster fällt, hören wir wach zu, wie die Meereswellen sich am Strand brechen! Beobachten wir aufmerksam den Dialog zwischen dem Autofahrer und der Politesse, die ihm gerade eine Anzeige wegen Falschparkens an die Windschutzscheibe heften will! Wie der Mann gestenstark und dialogreich versucht, die Frau von seiner Unschuld zu überzeugen, und sie dann trocken seine Argumente in den Rinnstein schiebt! Das ist DRANA. Oder eben DRAMA!

Sehr früh fiel mir auf, dass uninszenierte Alltagsvorgänge über eine beneidenswert gut funktionierende dichte Handlungsstruktur verfügen. Aufmerksam auf dieses Phänomen wurde ich zuerst durch Tonbandaufnahmen. Schon in den 50er Jahren ließ ich das Magnetophon bei Mahlzeiten, Geburtstagsfeiern und Teeniefesten stundenlang mitlaufen. Später beim mehrmaligen Abhören der Aufzeichnungen fiel mir dann auf, wie gut die Spannungsbögen funktionieren, wie die Pointen und Drehpunkte geradezu perfekt sitzen. Als ob ein unsichtbarer Regisseur seine kundige Hand im Spiel gehabt hat.

Der bei Augenweide gezeigte Film „21.10.68, ca. 15 Uhr“ ist nicht nur eine Welturaufführung sondern auch mein erster naturdramatischer Versuch mit dem Medium Tonfilm. Kamera und Mikrophon wurden auf ein willkürlich bestimmtes Ereignis gerichtet und eingeschaltet. Egal was dann passierte, die Aufzeichnung lief so lange, bis das Material in den Apparaten zu Ende war. Dabei erwartete ich nicht ein besonderes Geschehen, schon gar nicht so ein bewegendes Ereignis, wie es hier dann tatsächlich eintrat …

Was ich damals unter großen technischen und finanziellen Schwierigkeiten noch recht unzulänglich erforschte, lässt sich heute mit den digitalen Medien eleganter und effizienter ausführen. Jedem Redakteur, Autor oder Regisseur, der meint, es gibt keine guten neuen Stories mehr, empfehle ich einen experimentellen Videoausflug an die frische Luft zum kreativen Atemholen. Halt die Kamera drauf, und lass laufen! Das könnte der Beginn einer dramaturgischen Gesundung werden. Denn der Ursprung des Dramas liegt im DRANA! Also im Naturschauspiel, das abgekürzt auch heißt: Na, schau! (Bernd Fiedler)

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