54. Internationale Filmfestspiele Berlin

GroßstadtindianerInnen

Charlotte (Ulrike von Ribbeck, D 2003), Der Typ (Patrick Tauss, D 2003)

Schräge Typen sind die Lieblinge des deutschen Kinos, zumindest, wenn es Low Budget und Arthouse ist. Diesen Eindruck vermittelte bei der Berlinale 2004 – sieht man mal ab vom ähnlich mit „Schrägem“ befassten Goldener-Bär-Gewinner „Gegen die Wand“ oder dem durchgefallenen Wettbewerbsbeitrag „Die Nacht singt ihre Lieder“ – vor allem die Reihe „Perspektive Deutsches Kino“. Wo die Dokumentation „Flammend Herz“ in Sachen Großstadtindianertum bereits vorgelegt hatte, stehen auch Kurzfilme wie Ulrike von Ribbecks „Charlotte“ oder Patrick Tauss‘ „Der Typ“, letzterer von der Jury des Preises „Dialogue en Perspective“ des französischen TV- Senders TV5 mit einer lobenden Erwähnung versehen, nicht nach.

Charlotte (bezaubernd schmallippig: Geno Lechner) war lange in den USA und kehrt jetzt nach Berlin zurück, mit leeren Händen, die leer bleiben, bis auf fünf Dollar, die sie in der Wechselstube am Bahnhof Zoo in Euro ummünzt. Davon lässt sich schwer leben und so vagabundiert sie als melancholische Schnorrerin durch die alten schickeriahaften Freundeskreise Berlins. Ohne großen Erfolg. Ein Satin-Sommerkleid kann sie sich schließlich leisten, weil ein alter Freund für den Erinnerungs-Fick bezahlt. Aber all das lässt sie nicht heimisch werden in der alten Heimat. Charlotte ist eine Ruhelose, eine selbst gewählte Existenzform, die doch ihre ganz realistischen Geldarmutsseiten zeigt. Ulrike von Ribbeck zeichnet diese Wanderschaft, die vielfach wie Flüchtlingstum anmutet – Flucht vor dem Wohlstand zurück direkt in den Wohlstand, der keiner der Seele ist – mit lakonisch semidokumentarischen Bildern. „Charlotte“ ist ein Porträt einer Generation, die niemals im bürgerlichen Leben ankommen wollte, sich aber jetzt vor die Tatsache gestellt sieht, nirgendwo mehr anzukommen. Was bleibt da? Verzweiflung nicht, einfach nur Überleben.

Großstadtindianerin: Geno Lechner in „Charlotte“

Nicht anders geht es Fabo (Stipe Erceg) in Patrick Tauss‘ „Der Typ“. Er mäandert, er säuft und weiß an der Bar die Bardame wie im Krankenhaus die Krankenschwester (beide sind für ihn mütterliche Zuhörerinnen) mit flotten Sprüchen zu betören. Doch was bleibt? Die Erkenntnis, ein Verlorener zu sein. Mit den fixen Pferdestärken des Bürgersteig-Movies erzählt Tauss diese Nicht-Geschichte eines Großstadtindianers, der weder im Reservat noch sonstwo ein Zuhause findet. Allenfalls bei sich selbst und nur im Suff zugänglichem Bildungsschotter à la Shakespeare-Sonett, aber auch da herrscht provisorische Einöde. Wer wo hin will, unklar wohin, muss erstmal aufbrechen. Dies erscheint als Botschaft, auch wenn Fabo dabei von einem Krankenwagen angefahren und ins Krankenhaus befördert wird. Um sich in die Krankenschwester seines Nicht-Vertrauens zu verlieben oder später Bad Boys von der Straße auf die Autositze zu pinkeln.

Verletzt und zärtlich: Bernadette Heerwagen undStipe Erceg in „Der Typ“

Das Dasein ist schwierig in diesen Zeiten, weil es so sehr da, aber doch so wenig hier ist. Das teilen uns diese Filme mit, auf amüsante, zuweilen bärbeißige Art. Kino, das Freude macht am Leiden in den finsteren Zeiten des Großstadtindianer-Seins. (jm)

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