54. Internationale Filmfestspiele Berlin
Der politische Film light
Country of my Skull (John Boorman, GB 2003) Beautiful Country (Hans Petter Moland, NOR/USA 2003)
Die südafrikanischen Wahrheitskommissionen sind ein in der Geschichte wohl einmaliger Versuch einer unmöglich erscheinenden Aufarbeitung eines Unrechtsregimes. Täter und Opfer der jahzehntelang mit staatlicher Gewalt aufrecht erhaltenen Apartheid wurden vor den Wahrheitskommisionen einander gegenübersgestellt. Berichte von grausamen Morden und Folterungen, in der überwiegenden Anzahl von den staatlichen Behörden verübt, wurden vor der Kommission ausgebreitet. Das Ziel war die Offenlegung der Verbrechen, als Basis für eine Versöhnung. Truth and Reconcilation. Täter wurden nach umfassenden Geständnissen amnestiert, solange sie nachweisen konnten, dass sie aus politischen Motiven und auf Weisung gehandelt haben.
John Boormann, seit Mitte der 60er Jahre Regisseur, hat in seiner Vita einige Klassiker in ganz unterschiedlichen Genres zu verzeichnen. Darunter „Point Blank“, „Deliverance“, „Excalibur“, zuletzt „The General“ und „The Tailor of Panama“. Seine Wurzeln liegen jedoch im Dokumentarfilm bei der BBC. Jetzt legte er mit „Country of my Skull“ einen politischen Film vor, der sich von seiner Konzeption her an ein großes Publikum richtet. Der Film beginnt mit Bildern von gewalttätigen Unruhen in den Townships. Das Fernseh-Originalmaterial wurde jedoch auf der Tonebene „inszeniert“, einzelne Schläge auf Demonstranten um ihre Wirkung auf den Zuschauer hin akustisch verstärkt. Damit liefert der Film schon in der ersten Minute ein Bild für das Erzählen seiner Geschichte. Die Anhörungen in den Wahrheitskommissionen nach dem Ende des Apartheid-Regimes werden quasi dokumentarisch inszeniert, verstärkt werden sollen sie durch die Geschichte der weißen, südafrikanischen Schriftstellerin und Radioreporterin Ana Malan (Juliette Binoche) und des afro-amerikanischen Journalisten Langston Whitfield (Samuel L. Jackson), der für die Washington Post über die Anhörungen berichten.
Unmögliche Versöhnung: Sam Ngakane, Juliette Binoche; Samuel L. Jackson in „Country of my Skull“
Der Versuch, politische Vorgänge parallel auf gesellschaftlicher und individueller Ebene darzustellen, ist allerdings gründlich missglückt. Vermutlich sollte die Konstellation amerikanische Journalist/weiße Südafrikanerin als Identifikationsangebot das Thema für den europäischen und amerikanischen Zuschauer goutierbarer machen. Doch der holperigen Liebesgeschichte zwischen den beiden wird ein zu großer Raum, eine zu große Bedeutung zugemessen. Und sie zündet nicht. Auch funktioniert die Übertragung von „Truth and Reconcilation“ auf die Beziehungsebene der Protagonisten nicht und wirkt an den Haaren herbeigezogen. Das Drehbuch traut dem Zuschauer keinerlei Transfer-Leistung zu, alles wird ausgesprochen und bleibt deshalb plakativ, berührt nicht wirklich. Schade, denn das Potential für eine dramatischere Rahmenhandlung ist in der Figurenkonstellation vorhanden, wird aber verschenkt: Anas Bruder gehörte zu den Folterern, der schwarz-afrikanische Vorarbeiter auf der elterlichen Farm wird auch vor der Wahrheitskommission aussagen.
Auch Hans Petter Molands „Beautiful Country“ will Geschichte und politische Zustände über die Schilderung eines individuellen Schicksals erfahrbar machen. Moland untersucht die Spätfolgen des Jahre langen kriegerischen Konfliktes zwischen Vietnam und den USA anhand eines Aspektes, der die Schwierigkeiten einer Versöhnung zwischen beiden Nationen verdeutlicht: Die Kinder der amerikanischen GIs und ihrer vietnamesischen Geliebten sind in ihrer Heimat Außenseiter. Der junge Vietnamese Binh ist eines dieser Kinder, aufgewachsen auf dem Land bei Pflegeeltern. In Ho-Chi-Minh-Stadt findet er seine Mutter, die als Dienerin bei einer neureichen Familie arbeitet. Sie erzählt von dem Vater, der damals plötzlich verschwand, einem Texaner mit großen Füßen. Ein Unfall mit Todesfolge zwingt Binh und seinen kleinen Halbbruder zur Flucht aus Vietnam, die Mutter bleibt zurück.
Flüchtlinge: Damien Nguyen und Bai Ling in „Beautiful Country“
Es beginnt eine Odysse im Flüchtlingsboot über das südchinesische Meer und Malaysia bis in die USA, denn Binh versucht tatsächlich seinen Vater zu finden. Im malayischen Gefangenenlager verschafft die junge Chinesin Ling den Brüdern eine Überfahrt nach Amerika. Der Film verweigert seinem Helden jedoch ein einfaches Happy End, der Bruder stirbt auf dem Seelenverkäufer, der sie ins gelobte freie Land Amerika bringen soll. Ling entscheidet sich gegen Binh und für einen amerikanischen Freier, der ihr ein sorgenfreies Leben bieten kann.
Moland konzentriert sich ganz auf das Schicksal seines Helden, erzählt die Suche nach dem Vater in kraftvollen, epischen Bildern. Man meint den Einfluss von Produzent Terence Mallick zu spüren. Anders als in „Country of my Skull“ wird wenig ausgesprochen, die Geschichte erzählt die gesellschaftlichen Zustände. Moland findet dafür Bilder, die anrühren. Auf dem Flüchtlingsschiff verwetten die verdurstenden Immigranten ihr letztes Wasser. Gewinner ist der, der die meisten Begriffe aus der amerikanischen Populärkultur aufzählen kann. Wenn die Flüchtlinge in Amerika ankommen, landen sie in derselben Leibeigenschaft oder Prostitution wie zuvor in ihrer Heimat oder im Gefangenenlager. Auf dem Weg nach Texas trifft Binh auf einen Bus mit versehrten Kriegsveteranen des Vietnamkrieges. Ohne Resentiments laden sie den jungen Vietnamesen zum Mitfahren ein.
Beide Filme schildern den Versuch einer Versöhnung, die unmöglich erscheint. Beide Filme bedienen sich der Möglichkeiten des großen Kinos, um ihr Publikum zu überzeugen, sich auf ein politisches Thema einzulassen. Während „Country of my Skull“ jedoch nur in den Szenen der Wahrheitskommissionen berührt, überzeugt „Beautiful Country“ mit einer konsistenten Geschichte, die Figuren wirken glaubwürdig. Zudem scheut er nicht das Risiko, einen jungen Vietnamesen als Identifikationsfigur auch für das amerikanische Publikum anzubieten. Mutig. (Daniel Krönke)