Nordische Filmtage Lübeck 2003
Ein buntes musikalisches Bilderbuch
(Strangers in the Night – Die Bert Kaempfert Story, D 2003, 120 Min., Beta SP, Marc Boettcher)
Viele Dokumentarfilme auf dem diesjährigen Filmforum Schleswig-Holstein bedienten sich fleißig aus den Archiven. Der Zuschauer war beeindruckt durch die Materialflut, fragte sich doch, ob bisweilen weniger nicht mehr gewesen wäre.
Besonders in der zweistündigen Dokumentation „Strangers in the Night – Die Bert Kaempfert Story“ (gefördert u.a. von der MSH) von Marc Boettcher über den Komponisten, Orchesterleiter, Arrangeur und Produzenten Bert Kaempfert ersetzt die Materialfülle manchmal eine gebrochenere, reflektiertere Darstellung des Themas. Wenn dem Regisseur und Autor persönliche Informationen und direkte Bilddokumente auszugehen drohen, greift er in die reich bestückte Kiste mit bekannten historischen Aufnahmen und Informationen und wird dann sogar ein wenig „politisch“.
So sieht man Bilder von Hamburger Straßenszenen, dem Zeppelin, der Comedian Harmonists, Chaplin, Josephine Baker zu dem Kommentar, das die 20er Jahre von Innovationen und Amüsement geprägt gewesen seien, ohne zu erfahren, was das mit dem Leben des kleinen Herbert Kaempfert (geboren 1923) und seinen Eltern zu tun haben könnte, die doch in ganz einfachen und bescheidenen Verhältnissen lebten. Kaempferts Vater war Anstreicher, die Mutter Tochter eines Wurstfabrikanten. Oder es werden Filmschnipsel mit Martin Luther King, protestierenden Studenten, dem persischen Schah in Berlin, dem sterbenden Benno Ohnesorg, Twiggy und so weiter zu einem Kaempfert-Schlager montiert, gesungen von Caterina Valente. Man könnte meinen, dass dieses filmassoziative, quasi en passant präsentierte Erinnern an die Verhältnisse der 60 Jahre dem apolitischen Leben von Kaempfert entsprach. Diese Zeit bedeutete auch für ihn eine Zeitenwende, nämlich seinen erfolgreichen Durchbruch in den USA; er wird dort zum Starkomponisten.
Hört man den Namen Kaempfert, so fällt einem heute noch sofort „Strangers in the Night“ ein, mit dem Frank Sinatra einen seiner größten Hits landete. Dass aber der gebürtige Hamburger Dutzende von Schlagern komponierte, die weltweit bekannt und erfolgreich waren, wissen die meisten gar nicht. Ob Dean Martin, Shirley Bassey oder Ella Fitzgerald, alle sangen seine Kompositionen. Al Martino feierte mit „Spanish Eyes“ (ein Lied, das Kaempfert ursprünglich für Freddy geschrieben hatte) sein Comeback, Elvis Presley sang das von ihm arrangierte Volkslied „Muss i denn zum Städele hinaus“. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Kaempfert, einer der Begründer der Easy Listening Music, konnte sich erst als ein in Amerika zum Star Gewordener in Deutschland durchsetzen, wurde dann zu Beginn der Discowelle, die nicht sein „Ding“ war, von James Last überrundet und verstarb früh 1980, gerade als er ein Comeback startete.
Boettchers Verfilmung seines gleichnamigen Buches zeichnet das Auf und Ab der Karriere dieses Vollblutmusikers mit Hilfe von alten Kaempfert-Interviews, vielen Gesprächen mit Familienangehörigen, Freunden und Kollegen unterhaltsam nach. Aus diesen Erzählungen, den zahlreichen alten Film- und Fernsehaufnahmen und Kaempferts immer noch sehr eingängigen Musik entsteht ein buntes musikalisches Bilderbuch, das erstaunlich gut auch zwei Stunden lang unterhält.
(hsch)
Deutsche TV-Erstausstrahlung am Samstag, den 22. November 2003, 22 Uhr, auf N3.