Fading – Media-Installation von Natascha Bindzus und Holger Trülzsch

La mémoire de l’oublie – die digitale Spur eines Ereignisses ist das Ereignis in der Erinnerung des Vergessens.

Nach der angekündigten Audio/Video-Performance „Fading“ im letzten Jahr präsentiert die Stadtgalerie Kiel nun die Media-Installation „Fading – and it fades, fades, fades“ der Architektin Natascha Bindzus und des in Paris und New York arbeitenden international bekannten Fotografen Holger Trülzsch im Raum zwischen Stadt und Kunst. Die Ausstellung ist vom 1. November 2003 bis zum 4. Januar 2004 zu sehen. Sie wird eröffnet am 31. Oktober, 19 Uhr. Es sprechen: Wolfgang Zeigerer (stellv. Leiter der Stadtgalerie), Bernd-Günther Nahm (Geschäftsführer der Kulturellen Filmförderung S.-H., die die Arbeit unterstützt hat) und Prof. Dr. Gerd Klamandt (Architekt und Soziologe, Hamburg, Vortrag: „Fading – zur Erinnerung des Vergessens“).

La ville n’existe pas – die Stadt gibt es nicht – und höret, so werdet ihr sehen – irgendwo zwischen Rap/Hip Hop und Rave/Techno liegt das Bild des kommenden Stadtraums verschüttet – fading – hier und jetzt immer wieder zwischen Welt und Allerwelt wird das Dokument zur Wahrheit als zeitübergreifende Nachricht der Wirklichkeit des Ereignisses als Ereignis – and vice versa.

Replik und Nachklang: Fading/April 2002: Die letzte Szene zerspringt in den Raum:

Im Zentrum der im letzten Jahr angekündigten Ausstellung sind die Audio/Videomontagen der zweiteiligen Performances in contum’aciam (11. April 2002) zu sehen:

Das Prinzip der Montage in den Raum übersetzend werden die Aufnahmen „Die Wunde Heine“ und „musike liebt techne“ an den Stirnseiten im Inneren einer ephemer vermessenen Bauholzkonstruktion großflächig projiziert. Im baulich zusammengezogenen Zentrum dieser Gegenüberstellung loopt auf zwei gegenläufig montierten Monitoren der fotografische Video-Bildzyklus „Une autre Marseillaise – La Psychotopographie d’une Ville“ – verschobene Mitte eines hektischen Bildzyklus – „Kaskaden von Bildern“ – historischer Brennpunkt, der das Ende des auslaufenden 20. Jahrhunderts und den Pradigmenwechsel der Kunst, Architektur und Technik reflektiert.

In der Konsequenz der Montage markiert der Projektionsraum das Zentrum des Außenraumes: Auf der Schwelle zwischen alltäglichem Stadtraum und dem Ausstellungsraum der Kunst wird der Besucher in doppelter Richtung geführt: entlang der gegebenen Raumesrichtungen erwartet ihn die Konstruktion einer mobilen Bauholz-Konstruktion, die mit ihrer rudimentären Struktur die Verschalung einer noch zu denkenden Architektur bedeutet, äußere Hülle eines Projektionsraumes – unübersehbare Reflexion zur architektonisch-skulpturalen Strukturierung einer raumlosen Architektur – hier und jetzt und morgen in einer anderen Gegenwart. Der funktional-ästhetische Zweck in druckimprägniertem Grün entscheidet die Form, die Form ordnet den verbleibenden Raum einer sich selbst entfremdeten, zweckentleerten Architektur: dem Äußeren liegt das Innen, dem Inneren das Außen prägend zu Grunde – insideout: am Ort zwischen alltäglicher Geschäftigkeit der Stadt und dem außerirdischen Standpunkt der Kunst wendet sich der hermetische Kunstraum zum öffentlichen Stadtraum der zurückliegenden Res Publika, wendet sich der städtische Raum mit seinen scheinbar unendlich überlagerten Tönen ohne Herkunftsort im lärmenden Stillstand von Ritualen der Raum- und Bewegungsbrüche in den notwendigen Anachronismus der Kunst und ihrer musealen Geschäftsräume … insideout – what are sanctions to ego are role expectations to alter and vice versa. Immer entlang einer situationistischen Spur – hier und jetzt: Spur eines futurum exactum, einer filmischen Gegenwart, die immer wieder „gerade eben gewesen sein wird“ – fading – die Sprache der Montage:

Im projizierten Augenblick betritt der Besucher den Projektionsraum durch Türen zu beiden Seiten der Projektionsfläche als Teil des Filmes selbst:

In contum’aciam: Projektion und Spektakel – dem anderen (in uns) eine Szene machen:

„Fading – musike liebt techne – La Ville n’existe pas – die Stadt gibt es nicht“, 2002 Natascha Bindzus, Performance zum Film, 36 Minuten, 2001

Ein Versuch über den alltäglich gewordenen Stadtraum: entlang der situationistischen Spur […] von der Psychotopografie zur Stadt soll der (an) gehörig sanktionierte Gedächtnisraum geöffnet – eine Technik der Frage für den gegenwärtig öffentlich klinge(l)nden Hörraum der Stadt entwickelt werden. Der alltäglich geschäftige Taumel der Bilder hat die physische Präsenz des Menschen ergriffen – Töne ohne Herkunftsort bestimmen die unendliche Szene des öffentlichen Raumes, die nur der unerwartet Dazwischentretende – schattenhaft zerspringend – unterbrechen kann: hinhörend, immer wieder anrufend – der entwendete Schatten im Bild – Zeitriss in die Leere der Tiefe in Film und Welt. Wenn uns „Hören und Sehen vergeht“, hört der Leib – orientiert sich in der Gegenwart des Raumes – er-hört die Situation, die der Fernsinn des Auges abschätzen/abtasten muss … horchsam nach hinten – schätzbar nach vorne … Wie sieht die Fassade des städtischen Hörraums hier und jetzt aus?

Das historische Bild – den anderen (in uns) in Szene setzen:

„Fading – une autre Marseillaise – La Psychotopographie d’une ville“, Holger Trülzsch, Marseille 1984-86, 40 Minuten.

La memoire de l’oublie – Die fotografische Vermessung der städtischen Distanzverschiebungen zwischen „Haustür und Straße“ – Versuch über ein späteres Herumtreiben entlang der situationistischen Spur (Debord und Wolmann) im Rhythmus von Marseille: nicht nur der (narrative) Raum der Begierde und der genüsslichen Verlorenheit eines ausschweifenden Paranoikers/Flaneurs sind im Kalkül einer behaglichen Utilität verschwunden – der Raum der Stadt selbst ist zum Fluchtraum eines unentwegten Verschwindens gestaltet und in der Ökonomie einer allmächtigen medialen Nutzbarkeit aufgelöst.

Szene – dem anderen (in uns) zur Feier:

„Fading – Die Wunde Heine“ – musikalische Anhörung/Lesung, 36 Minuten,2002 – Natascha Bindzus, Holger Trülzsch mit Burghilt von Studnitz (Sopran) und Cameron Tanner (Piano)

Das Buch der Lieder und die ablesbare Reflexion der Gegenwart – janusgesichtig im Spiegel des jeweiligen Nächsten, innerhalb der Projektion des Raumes, aus dem wir alle sind:

Dichter […] bekannt – […] was soll das […] – ein Märchen aus alten Zeiten – Heines Versuch der Heimkehr nach Deutschland – ein Wintermärchen – unerwartet sanktionierte Lyrik mit latentem Warencharakter und – nennt man die schlimmsten Schmerzen – die gleichzeitige Entfremdung des hoffnungslos liebenden Dichters – bekannt im deutschen Land – sind längst Gleichnis der Heimatlosigkeit aller geworden – seine Wunde blutet noch immer in die sprachlose Szene der Stadt.

and it fades, fades, fades …: Innehalten – die letzte Szene im Raum installieren – zwischen historischer und demoskopischer Frage – dem anderen (in uns) zur Bleibe:

Der Besucher, der den Projektionsraum (mit dem veränderten Ich) wieder verlässt, betritt den Raum der wiederholten Montage des Bildes: Wiederholung und Stillstellung als filmisches Mittel in der architektonisch-künstlerischer Übersetzung:

Das Anhalten der letzten Szene zur Orientierung im Raum – zwischen Welt und Allerwelt – im Schleier der Stadt: zwischen Geschichte des Menschen in seinen Formen, der Wahrnehmung und ihren Bildern zur demoskopischen Unterbrechung eines in Zeichen gesetzten Kalküls des Verschwindens des Subjekts, reduziert zur Lebendmaterie im Flachraum einer medialen Verwertung:

Vor der Außenwand des Ausstellungsraumes, eine Lichtwand mit den großen Fenstertoren in den Betriebshof rotiert die Geschichte des menschlichen Bildes im geordneten Postkartenformat in der montierten Quadratur des Kreises in folienbespannten Lattenrahmen 4 m x 2,50 m x 2,50 m: hermeneutischer Zirkel von Schrift und Bild – kommerzialisierte Gestik, Posen und Romantik einer mittelständischen Repräsentation – Postkarten als Träger zeitbedürftiger Botschaften aus einer Gesellschaft, die gerade anfing die Schnelligkeit der Technik in ihre Verhaltensregeln aufzunehmen – das Mitteilungsbedürfnis als Anlass zur Erfindung einer neuen Epoche und ihrer Methoden, Mittel und Wege. Die massenhafte Reproduzierbarkeit des fotografischen Bildes geht einher mit dem Einsetzen einer machtvollen Entwicklung von Tourismus, Presse und Technik und damit vor allem der Kriegsmaschinerie und nationalistischer Propaganda. Langsam verblassen diese Bilder einer noch menschlichen Dauer unter dem vergehenden Schleier einer silbrigen Oxydation in die Nähe einer Ferne des kollektiven Erinnerns – Die Innenwand des Ausstellungsraumes gegenüber auf der imaginären Spiegelachse des realen Raumes erscheint verhangen in Bilderfolien im Mediaformat 1:33, 3 m x 3 m x 4 m: im spiegelbildlichem Verlauf der montierten Bilderrotation in 4-facher Vergrößerung – Bild und Text der demoskopischen Frage im Verlauf ihrer jungen Geschichte: Zeichen und Objekte tabellarisch typisierter menschlicher Objekte in zugewiesenen standardisierten Verhaltensmustern und den dazugehörigen möblierten Orten, mit entsprechenden Zahnpasten, Schokoriegeln und der passenden politischen Meinung; Unterwäsche, Fruchtsaftsorte oder Ausländerbefragung, Hämorrhoidialeinlagen, Automarken, Wahlprognosen etc – Anleitungen zum vereinheitlichten Lebensraum in kommerzialisierungsfähigen Varianten sozialer und ökonomischer Zugehörigkeiten – der Konsument eingegrenzt und abgezirkelt als verbrauchendes, verzehrendes Objekt – das Statistische zum Politikum geworden, Fragebogen impliziter Antwort.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichartigen montiert im Spiel der Könige im Wechsel mit der historischen fotografischen Aufnahme von Mensch und Stadt – zwischen Welt und Allerwelt – z.B. zwischen Kiel heute und Marseille vor zwanzig Jahren – im Zentrum immer die Lücke, Einblick in das Bild im Hier und Jetzt, Aussicht auf das Kommende, Ahnung des Gewesenen – Erinnerung des Vergessens – and it fades, fades, fades.

Hinter den Vorhängen zur statischen Erhebung erscheint so die ausschnittartige Ansicht eines Zeitungsarchivs: abgedeckt und unzugänglich die verbliebene Form der Informationsvermittlung – Presse-Archiv eines 30-jährigen Kunst-produzierenden Lebens innerhalb gesammelter Artikel des jeweiligen Zeitgeschehens: kostbare Relikte zum kulturellen Gedächtnis – erfasst von der Furie des Verschwindens, überlagert von der Geschichtslosigkeit kurzatmiger Medienmarktstrategien: the media was the message: das Ereignis als Ereignis wird unter der Folie strategischer Zeiterwartungen verschleiert geblieben sein – moderne Ordnung im Spiegel der Stadt, die es nicht gegeben haben wird – immer wieder unterbrochen vom Ausblick auf das Noch-nicht-Erwartete – das Kommende – Schattenbild des Schattenbildes – fading – and it fades, fades, fades.

(Natascha Bindzus, Holger Trülzsch)

Zur Performance „Fading“ im April 2002

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