4. Flensburger Kurzfilmtage 2003
Sich vernetzen, um Seilschaften aufzubrechen
Beim Forum Kurzfilm diskutierten im Rahmen der Flensburger Kurzfilmtage Produzenten, Förderer und Filmemacher die Chancen eines Mediums, das es nicht leicht hat.
„Wer ist der General bei der Filmproduktion?“ wollte Moderator Jan Henne de Deijn, Geschäftsführer der Hamburg Media School, von den auf dem Podium Versammelten im 2. Forum Kurzfilm (gefördert von der MSH), das unter dem etwas kryptischen Motto „Selbstverwirklichung und Militarismus beim Film, eine Berufswelt und ihre Tücken“ stand, wissen. Eine eher rhetorische Frage, denn einen Film, selbst einen kurzen, macht man nicht allein. Filme entstehen im Team und in Netzwerken zwischen Produzenten, Förderern, Autoren und Regisseuren. In den Maschen dieses Netzes freilich kommt es zuweilen zu Verwicklungen und gordischen Knoten. Die sind in der deutschen Filmproduktions- und Förderlandschaft weniger persönlich-künstlerisch als vielmehr strukturell begründet.
Allmächtige Sender
Einflussnahmen auf Buch und Regie gibt es nicht nur von Seiten des Produzenten, der als Wirtschaftsunternehmer das entstehende Produkt letztlich verkaufen muss. Auch die Auftrag gebenden Sender und ihre Redaktionen machen besonders im Dokumentarfilmbereich – um es vorsichtig zu formulieren – sehr deutlich, wie das gewünschte Produkt auszusehen hat. Von einer Partnerschaft zwischen Redaktion auf der einen Seite und Produzent, Autor und Regisseur auf der anderen kann man nur selten sprechen. Wer als freier Produzent oder Autor ein Projekt an die Sender heranträgt, stößt meist auf ein ganz anderes Netzwerk: das fest gezurrter Seilschaften. Von einer „riesigen Chinesischen Mauer um die Sender“ sprach in diesem Zusammenhang der Produzent Leopold Hoesch (broadview.tv, Köln). „Die Redaktionstür geht nur von innen auf“, entsprechend rar machten sich die Sender bei Koproduktionen, die Regel sei die Auftragsproduktion. Mit der Folge, dass die Sender auch die volle Rechteverwertung an sich binden, ein Hemmschuh für freie Produzenten. Hoesch schwebt gegen diese Praxis ein anderes Modell vor: „Gebt uns die Gelder, die ihr im Budget zur Verfügung habt“, forderte er von den Sendern, „den Rest sammeln wir uns bei den Filmförderungen zusammen. Aber dafür behalten wir auch Rechte“, etwa die für die Selbstvermarktung im Ausland. „Der Verbleib der Rechte beim Produzenten ist absolut wesentlich“, so Hoesch, der z.B. mit der Auslandsverwertung der Dokumentation „Das Wunder von Bern“ sehr erfolgreich war.
„Förder-Moden“ und „Rucksack-Filmemacher“
Auch die Filmförderer auf dem Podium übten Kritik. „Es entstehen Förder-Moden, die durch die Republik geistern“, konstatierte MSH-Geschäftsführer Roland Schmidt. Solche „Moden“ sprächen sich unter den Produzenten schnell herum, die dann „bestimmte Projekte gar nicht mehr einreichen, weil sie nicht in diese Moden passen“, oder andersherum Projekte passgenau auf die Vorlieben der Fördergremien zuschneiden. „Es gibt ‚Förderfilme‘, die nur gemacht werden, damit Fördermittel abfließen“, so Schmidts ernüchternde Erfahrung.
Bernd-Günther Nahm, Geschäftsführer der Kulturellen Filmförderung S.-H., sah noch eine andere Problemlage: „Hier in Schleswig-Holstein sind wir kleiner, wir haben kaum freie Produzenten, sondern eher den ‚Rucksack-Produzenten‘, den Filmemacher, der sein eigener Produzent und zudem noch Autor ist.“ Daher sei die Aufgabe der Filmförderer in einem (film-) strukturschwachen Land wie Schleswig-Holstein vor allem eine technisch unterstützende und beratende. Chancen bestünden in stärkerer Vernetzung „kleiner“ Filmförderungen, sagte Nahm, und verwies auf den jüngst begründeten Verbund zwischen den kulturellen Filmförderern in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen (wir berichteten).
Basisarbeit in der „Grundschule des Films“
Einhelligkeit zwischen Produzenten und Filmförderern, wenn es um gemeinsame Interessenvertretung (letztlich auch für die Autoren, Regisseure und ihre innovativen freien Projekte) gegenüber den Verwertern, meist Sendern, geht, zeichnete sich so auf dem Podium ab. Gleichwohl scheint aber dies nur eine Zweckgemeinschaft zu sein. Leopold Hoesch und auch Nina Bohlmann (Produzentin bei magnolia Film, Hamburg) haben auch mit den Förderern so ihre Probleme. Hoesch schoss scharf: „Förderer sind nie im finanziellen Risiko, das trägt allein der Produzent.“ Bohlmann erläuterte am Beispiel des von ihr produzierten Debüts „Supersex“ die Schwierigkeiten „Erstlinge gefördert zu bekommen“. Roland Schmidt widersprach: „Erstlinge fördern wir gern. Das Risiko ist für uns insofern gering, als wir, wenn’s schief geht, immerhin sagen können, wir haben den Nachwuchs unterstützt.“ Bernd-Günther Nahm pflichtete bei, dass gerade die kulturelle, also nicht vorrangig auf den wirtschaftlichen Erfolg zielende Filmförderung „wirkliche Basisarbeit“ sei. „Wir sind sozusagen die Grundschule des Films, Gymnasium machen andere.“ Entsprechend sei der regionale Charakter kultureller Filmförderung hoch zu bewerten, denn „nur wir kennen hier die speziellen Probleme und Strukturen“.
Leopold Hoesch hingegen begegnet in den Filmförderern vor allem eine „verwaltungsaufwändige Struktur“, die er „am liebsten streichen“ würde, jedenfalls teilweise. Der kulturelle Teil der Filmförderung sei in regionalen Händen gut aufgehoben, aber den wirtschaftlichen solle man zentralisieren, „um große Teile der derzeit 8 Mrd. Euro, die nach USA abfließen, im Lande zu behalten“. Als Modell dafür sah er eine „Vereinfachung gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen“. So sollten „junge Produktionsunternehmen fünf Jahre lang keine Lohnnebenkosten zahlen müssen“. Roland Schmidt widersprach: Gerade im Medienbereich sei der Anteil von lediglich auf Honorarbasis arbeitenden Freien und Kurzzeitbeschäftigten hoch, entsprechend niedrig fielen Lohnnebenkosten in der Branche ins Gewicht. Im übrigen sei der „Traum vom Zurückholen der US-Milliarden“ nur über Protektionismus zu haben.
Kurzfilm als Brücke zum Langfilm?
Das Knirschen im System bekommt – so oder so – besonders der Kurzfilm zu spüren. Für ihn existieren, abgesehen von Dokumentationen für das Fernsehen, kaum Verwertungsketten. Nina Bohlmann schätzte Kurzfilme als „schwerst verkäuflich“ ein. „Um die Handschrift eines jungen Filmemachers zu erkennen, lesen wir lieber das Buch zu einem Langfilm, als dass wir einen Kurzfilm als Visitenkarte anschauen.“ Dennoch könne sie sie sich die Funktion von Kurzfilmen vorstellen wie in der französischen Filmwirtschaft: „Eine Episode eines Langfilms als Kurzfilm auskoppeln und auch als solchen produzieren um zu sehen, ob der Langfilm trägt.“
„Natürliche Feinde“ des Autors
Und wo bleiben in diesem Räderwerk aus Produktion und Förderung die Ideengeber, Autor und Regisseur? Auch sie ziehen nicht immer am selben Strang. Das berichtete Peter Zingler, freier und für seinen „Tatort“ „Kinderspiel“ 1993 mit dem Grimme-Preis ausgezeichneter Drehbuchautor. „Der Regisseur ist der natürliche Feind des Autors“, weiß Zingler aus bitterer Erfahrung. Bildreich erzählte er von Einflussnahmen der Regie auf seine Bücher. „Man fühlt sich als Autor vergewaltigt.“ Dass z.B. „Goodbye Lenin“ „ein Film von Wolfgang Becker“ genannt werde, sei eine Ohrfeige für den Autor, der nur irgendwo in den Credits auftauche. Nicht selten hatte sich Zingler, der in seine Bücher stets „eine Rolle für mich selbst“ schreibt, „um am Set sehen zu können, wie der Regisseur arbeitet“, gewünscht, der Produzent würde „den Regisseur einfach rausschmeißen“. Doch solche Konfliktlinien sind allenfalls Nebenfronten. „Das Buch, wenn es fertig ist, nimmt eine neue Form an, nämlich einen Film“, gab Nina Bohlmann zu Bedenken und da konnte auch Zingler letztlich zustimmen. „Klingt gut“, freute sich sein urgesteiniges Autorenherz, als Leopold Hoesch auch aus Produktionsgründen „einen starken Mann oder Frau am Set“ forderte, „entweder Autor oder Regisseur oder Produzent“.
Nach einer praxisorientierten Diskussion blieb auf dem Podium des 2. Forums Kurzfilm dennoch für eine Frage der Vorhang offen: Wie können sich Produzenten, Förderer – besonders die kulturellen – Autoren und Regisseure noch besser miteinander verbinden, um gegen die Seilschaften in Gremien und Sendern eigene Netze zu knüpfen, gerade auch für ebenso innovative wie in der Filmwirtschaft zu Unrecht „unterbelichtete“ Genres wie den Kurzfilm. Dass der ein offenes, interessiertes und sogar begieriges Publikum findet, zeigten nicht zuletzt die langen Schlangen vor der Kasse des Kinos „51 Stufen“, das bei den Flensburger Kurzfilmtagen der „kleinen“, aber doch filmkünstlerisch ganz großen Form ein Forum gab. (jm)