September-Highlights im Kieler KoKi
Kino himmelwärts – filmische Reisen in die Wolken
Vom sanft wallenden Samtvorhang wird überblendet auf den blauschwarzen Himmel, dann gleitet der Kamerablick über das strahlende Azur hinunter auf den weißen Gartenzaun mit den gelben Tulpen davor. So beginnt David Lynchs „Blue Velvet“: Bevor sich die eigentliche Handlung in Gang setzt und die Abgründe in der Kleinstadt Lumberton entworfen sind, wird der Erzählung das Bild von Himmel und Erde vorausgeschickt – ein Bild wie ein Nachhall des absoluten Urbeginns, der dieser Geschichte und allen Geschichten vorausgeht. So ist der Himmel zwar Teil unserer täglichen Erfahrungswelt, bleibt doch aber unnahbarer Horizont, beschrieben von trivialen Alltagsmythen und religiösen Sinnsystemen, aufgeladen mit Vorstellungen über ein Jenseits von Zeit und Raum. Und er repräsentiert die zeitlose Natur mit ihren unvorstellbaren Gewalten, die den irdischen Verhältnissen den Maßstab diktieren.
Das KoKi erkundet in einer kleinen Reihe filmische Entwürfe des Himmels zwischen geografischem Ort und Nirvana. Wir erhalten Einblicke in die Welt gestrenger Engel („Die Entdeckung des Himmels“), vergnügungsüchtiger Götter („Amphitryon“) und begleiten Erdbewohner nach ihrem Ableben in die himmlischen Gefilde („Liliom, Ein Münchner im Himmel“). Als sinnreicher Assoziationshintergrund fungieren die Bilder des Himmels in der autobiografischen Doku „Wolken“ und in dem Essay „Don’t Imagine“. Und in „Steamboat Bill jr.“ hat Buster Keaton gegen einen der gewaltigsten Stürme der Filmgeschichte anzukämpfen.
Wolken
(Marion Hänsel, Belgien/D 2001, 76 Min.)
Solange sie denken kann, ist Marion Hänsel von Wolken fasziniert. Während ihrer zahlreichen Reisen hat sie sie beobachtet, fotografiert und immer wieder gefilmt. Aus diesem Material entstand ein Film über Wolken, mit keiner anderen Absicht, als dem Zuschauer Raum für seine Träume zu lassen. Der Film wird durch Briefe von Marion Hänsel an ihren Sohn rhythmisch gegliedert. Diese Briefe wurden geschrieben von Beginn der Schwangerschaft bis zur langsamen Ablösung des erwachsen werdenden Sohnes; zärtliche Briefe der Mutter an ihren Sohn, mal schmerzlich, mal voller Freude. „Tag für Tag präsentiert uns der Himmel, die ‚größte Leinwand der Welt‘, ein faszinierendes Schauspiel mit unendlichen Varianten. Was sich da über mir abspielt, berührt mich in meinem tiefsten Inneren.“ (Marion Hänsel)
1. u. 2.9., 19 Uhr; 3.9., 20.30 Uhr
Liliom
(Fritz Lang, F 1933/34, 120 Min., OmU, mit Charles Boyer, Madeleine Ozeray)
Auch im Jenseits gibt es Kino: mit einem Film im Film im Himmel wollen die Engel Tunichtgut Liliom die Augen für seine Untaten öffnen. Der charmante, leichtlebige Jahrmarktsausrufer hatte die stille Julie verführt, mit ihrem Kind sitzenlassen und sich nach einem missglückten Raubüberfall umgebracht. Nach 16 Jahren Fegefeuer soll er noch einmal auf die Erde zurück, um endlich etwas Gutes zu tun … Die aufwändige, ambitionierte Produktion entstand nach Langs überstürzter Ausreise aus Hitlerdeutschland in Paris und blieb für viele Jahre seine letzte Arbeit in Europa.
7.9., 20.30 Uhr
Die Entdeckung des Himmels
(Jeroen Krabbé, NL 2001, 132 Min., mit Stephen Fry, Greg Wise, Neil Newbon)
Gott zürnt mit den Menschen, sein Vertrag mit der Menschheit soll gelöst werden. Ein junger, ambitionierter Engel soll die Rückgabe von Moses‘ Gesetzestafeln arrangieren und inszeniert eine komplizierte Liebesintrige auf der Erde … Die Verfilmung von Harry Mulischs monumentalem Roman schildert den Himmel als finstere Raumfolge endlos sich fortsetzender Gewölbe, Brücken und Verliese. Pate für die Entwürfe standen die Carceri-Radierungen Giovanni Battista Piranesis, deren paradoxe und unbaubare Geometrien im Computer erzeugt wurden.
14.9., 20.30 Uhr
Don’t Imagine
(Michael Carstens, D 2003, 30 Min., mit Susanne Kopp, Nina Hecklau, Thomas Klees, Arnold Stadler, Sven Sonne, Tim Owe Kuhlmann u.a., gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.)
Bildercollagen, ein Spielfilmstrang und filmische Essays führen durch einen Text, eine Partitur, geschrieben von Arnold Stadler. „Don’t Imagine“ heißt der Film und erzählt von der Sehnsucht nach dem Himmel in einer säkularisierten Welt und der Angst, diese Sehnsucht zu verlieren. Der Text, ursprünglich in fünf Akte aufgeteilt, wurde von Michael Carstens in eine Bilderreise übertragen. Zu der Partitur von Arnold Stadler wandern die Darsteller zusammen mit dem Schriftsteller in einer sehnsuchtslosen Welt. Die Kamera wechselt von einer unantastbaren Warte des Spielfilmblickes in eine mitverschuldete Situation und muss wie die Protagonisten nach Lösungen suchen. Flüchtige Ruhepunkte bieten allenfalls der Ein-Personen-Chor, der sich als kleiner Spiegel unserer Gesellschaft verstehen will, und der Blick gen Himmel.
20.9., 20 Uhr, Premiere, Michael Carstens und Arnold Stadler sind anwesend.
Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück
(Reinhold Schünzel, D 1935, 105 Min.; Kamera: Fritz Arno Wagner, Werner Bohne, mit Willy Fritsch, Käthe Gold, Paul Kemp, Fita Benkhoff, Adele Sandrock)
Die schöne Alkmene harrt sehnsüchtig auf ihren in der Ferne kämpfenden Mann, den thebanischen Hauptmann Amphitryon. Da kann der notorische Zeus nicht widerstehen: in Gestalt des Kriegers schummelt er sich fast in ihre Arme, aber erst vereitelt seine Liebe zum Wein, dann ein Schnupfen olympischen Ausmaßes die Eroberung. Als der echte Amphitryon zurückkehrt, muss Göttergattin Juno das entstandene Chaos klären. Das elegant-ironische Filmmusical mit einem bejahrten, glatzköpfig-korpulenten Obergott, der so gar nicht seinen vom Volk verehrten Standbildern gleicht, barg ein erhebliches antiautoritäres Potential und zog zudem mit überdimensionalen Bauten und pompösen Masseninszenierungen das Imponiergehabe der neuen faschistischen Machthaber „durch den süßesten Kakao.“
21.9., 20.30 Uhr
Steamboat Bill jr.
(Charles F. Reisner, USA 1928, 74 Min., mit Buster Keaton, Ernest Torrence, Marion Byron. Am Klavier: Werner Loll)
Der handfeste Mississippi-Kapitän Bill ruft seinen Sohn, den er noch nie gesehen hat, zu Hilfe in der Auseinandersetzung mit seinem ärgsten Konkurrenten. Aber mit dem städtisch-verweichlichten Hänfling, der dann auftaucht, hat er nicht gerechnet. Und Junior verliebt sich auch noch in die Tochter des Widersachers. Ein gewaltiger Zyklon wirbelt alle Verhältnisse durcheinander, zerstört die alten, überholten Bindungen und gibt ihm die Chance sich zu beweisen. Im Kampf mit dem Naturereignis inszeniert Keaton einige seiner spektakulärsten Szenen.
28.9., 20.30 Uhr
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Tot in Lübeck
Im Rahmen der Interkulturellen Wochen zeigt das KoKi am 16.9, 20.30 Uhr (unter Anwesenheit der Filmemacherinnen) sowie am 17.9., 18.30 Uhr den beim Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide von der Jury lobend erwähnten Dokumentarfilm „Tot in Lübeck“ (gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.) von Charlotte Marsau und Katharina Geinitz. Die Filmemacherinnen unternehmen darin den filmischen Versuch, eine Affäre zu rekonstruieren, die unaufgeklärt zu den Akten gelegt wurde: die Brandstiftung in einem Asylantenheim in Lübeck im Jahre 1986, bei der zehn Personen zu Tode kamen. Parallel zur dialektischen Konfrontation zwischen den Sichtweisen des Staatsanwalts, einer Anwältin und eines Straßensängers zeigt der Film die Zerstörung des Gebäudes und die Beseitigung des Corpus delicti. Mit ihren Recherchen kommen die Filmemacherinnen einer stattlichen Anzahl von Rechtsverdrehungen auf die Spur. „Ihr als Moritat angelegter Film (…) verdichtet sich zu einer beklemmenden Realsatire, die man wohl in den meisten Ländern der Welt für möglich gehalten hätte, sicher aber nicht in unserer Marzipanhochburg.“ (Hans Messias, Nyon)
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Faites vos jeux
Am 25. und 26.9., jeweils 19 Uhr, zeigt das KoKi nocheinmal „Faites vos jeux“, die jüngste Filmcollage der Kieler Filmgruppe Chaos (gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.). Ein „überdimensionaler Videoclip“, entstanden mit Found Footage aus Film- und Fernsehgeschichte, rasant-witzig-subversiv zusammengeschnitten, das Filmmaterial mit Skalpell und Chemikalien nachbearbeitet, die Musik aufs Bild komponiert. Filmgruppe Chaos (Kiel), AKAS (Alles könnte anders sein, Bremen) und Copyright Violation Squad haben – mittels Internet – eine eigenwillige Form von weltumspannender Produktionsform für ihr furioses, kritisches und zugleich unterhaltsames Experiment entwickelt.