7. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide
„Dinge zusammenbringen, die nicht zusammen gehören“
„u-boating“ (D 2002, Corinna Hohn)
„Ich habe nie einen Durchbruch erlebt, außer vom U-Boot in den 1. Stock.“ Helium Pokorny (so der – doch wohl – Künstlername eines leidenschaftlichen Bastlers aus Bayern) ruft „Wahrschau! Mann auf Brücke?“ und fast meint man sich in Wolfgang Petersens Buchheim-Verfilmung „Das Boot“ versetzt. Doch Pokornys südwester-geschmückter Kopf streckt sich unter einem Küchentisch ans Tageslicht. In den Keller darunter hat Pokorny die originalgetreue Nachbildung der Inneneinrichtung eines deutschen U-Boots aus dem 2. Weltkrieg eingebaut, wo er und seine Freunde in ebenso originalgetreuen wie operettensoldatenhaften Uniformen „u-booten“ wie kleine Jungs auf dem Abenteuerspielplatz.
Wahrschau! Durchbruch aus dem U-Boot in den Küchenboden – Helium Pokorny
Corinna Hohn porträtiert in ihrem Dokumentarfilm den spleenigen Hobbybastler, der nicht nur ein U-Boot im Keller hat, sondern auch im Garten ein haushohes Modell des Bugs der Titanic nebst einer – nebenbei in den Kamerablick geratenden – Nachbildung von Schloss Schwanstein, ja, der sogar Nachbarn mit seiner Nachbauwut anstiften konnte – einige Häuser weiter findet sich ein Western Saloon und das Dorf in der bayrischen Provinz plant bereits die gemeinsame Errichtung eines „Leuchtturms in Blau-Weiß“.
Dass Kameramann Frank Mai konsequent die Schärfentiefe auf das hintergründige Interieur solch „sinn- und zweckloser Bauten“ (Pokorny) richtet und den Porträtierten im Vordergrund der Unschärferelation des Dokumentarischen überlässt, ist mehr als ein Spleen des Szenenbilds. Soll uns das andeuten, dass das Abstruse modellbauernschlauer Neigung in den unscharfen Tiefen der Seele lauert? „Ich bin Seefahrer im Herzen, Visionär“, gibt Pokorny, die bayrische Landratte, zu Protokoll, „ein Seefahrer mit wahnsinnig viel Sehnsucht“. Nicht zuletzt durch so abgefahren abgelauschte O-Töne entrückt die Doku in eine Sphäre des Surrealen. Kann man da dem dokumentarischen Gestus noch Glauben schenken?
Während die Kellerkinder und U-Boot-Freunde schon brainstormen, ob nicht auch ein „unterirdischer Zeppelin“ ein dankbares Modellbauprojekt wäre, während Pokorny mit Südwester und Nachtsichtbrille durch ein Wiesenfeld watet, möchte man mutmaßen, dass diese Doku womöglich ein wohlinszenierter Fake ist, eine Camouflage, die das Dokument dadaesk ad absurdum führt.
Dass es derlei gibt, zeigt nämlich bei Augenweide Helmut Schulzecks „Doku-Fake“ „www.betreuteLoecher.de“. Lochforscherin Maria Debora Wolf ist darin so echt absurd, dass das Augenweide-Publikum dies zum großen Teil für bare Münze nimmt und der Filmemacher und seine Darstellerin/Porträtierte diesem Gerücht konsterniert beredte Nahrung geben.
Zwischen Humor und Realität sind die Grenzen fließend, wenn der Humor gut ist. „u-boating“ folgt einem ähnlichen Gesetz vom Zerfließen der dokumentierten Realität in die Fiktion, die die unterirdischen U-Boot-Bauten des Pokorny wie die Lochbetreuungen der Wolf unbedingt real erscheinen lassen.
Ein Reflex auf die Frage nach den Wirkungen der Wirklichkeit, die doch nur inszenierter Schein ist, die „Dinge zusammenbringt, die nicht zusammengehören“ (Pokorny), sind beide Filme. Und der Betrachter verharrt äußerst amüsiert in der undefiniert löchrigen Fuge zwischen Dokument und Fiktion. (jm)
„u-boating“, D 2002, 35 mm, 14 Min., Buch, Regie: Corinna Hohn, Kamera: Frank Mai, Darsteller/Porträtierte: Helium Pokorny, Christoph Schiegerl, Horst Leierer und Konrad Hadler, Produktion: Katharina Jakobs, Filmakademie Baden-Württemberg.
„www.betreuteLoecher.de“, D 2002, MiniDV/BetaSP, 14 Min., Buch: Helmut Schulzeck, Maria-Debora Wolf, Regie, Kamera, Musik, Produktion: Helmut Schulzeck, Schnitt: Frank Fiedler, gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.