Wenn an der Küste die Klappe fällt …
Was tut sich am Drehort Kiel?
„Etwas trist, Wassernähe und konsequent schlechtes Wetter.“ Was Touristen frösteln lässt, fand Stefan Krohmer goldrichtig. Im Herbst 2000 drehte der Filmregisseur in Kiel und Umgebung für SAT.1 den Spielfilm „Ende der Saison“. „Ich finde es wunderbar hier“, äußerte sich damals Hauptdarstellerin Hannelore Elsner, und wie es scheint, teilen nicht nur Heimatverbundene diese Meinung.
Das Filmland Schleswig-Holstein wird „offenbar immer interessanter“, freute sich Ministerpräsidentin Heide Simonis auf der diesjährigen Berlinale, als 170 Filmschaffende und Branchenvertreter der Einladung des „Küstenvolks“ in die Landesvertretung folgten. Vom „Landarzt“ bis zu den „Manns“ von Heinrich Breloer, bis zu Detlef Bucks „Karniggels“, die Zahl der hierzulande (teil-) gedrehten Produktionen wächst.
Im Kieler Stadtbild ist ein Filmteam immer noch eine kleine Sensation, doch „die Menschen im Lande sind dem Film gegenüber aufgeschlossen und freundlich. Ganz im Gegensatz zu den Münchnern, die oft über die vielen Straßensperrungen klagen“, so der Kieler Regisseur Lars Büchel („4 Geschichten über 5 Tote“, „Jetzt oder nie“) in Berlin.
In Kiel sind jüngst viele TV- und Kinoproduktionen entstanden, die oft in hohem Maße von ortsansässigen Branchenkennern profitieren: „Die Leute wissen gar nicht, was es hier für schöne Ecken gibt. Dietrichsdorf ist das lebende Volkskundemuseum“, meint Kurzfilmer Jürgen Prediger, der auch von Wellingdorf, Alt-Ellerbek, dem Seefischmarkt und den „Studiomöglichkeiten“ auf dem Ex-Hagenuk-Gelände schwärmt.
Dieter Wedel nutzte die HDW-Kulisse als fiktive „Hanse-Werft“ für die „Affäre Semmeling“, Lars Beckers Verfilmung „Kanak Attack“ ehrt Kieler Originalschauplätze aus Feridun Zaimoglus Buch „Abschaum“. Der Kieler Filmemacher Gerald Koll ließ den Schauspieler Wolfgang Scheiner für „Unter Gauchos“ 1998 zum Laboer Ehrenmal wallfahren, drehte auf Gut Kaltenhof und am Wasserturm Ravensberg, in selbigem drehte auch der Kieler Regisseur Jan von der Bank seinen Kurzfilm „Chinesische Büstenhalter“.
Location-Scout Jan von der Bank vor dem Wasserturm am Kieler Ravensberg (Foto: abeh)
„Es ist reizvoll, in gewisser Weise auf den Look des Films Einfluss zu haben“, sagt der Drehbuchautor (u.a. „Küstenwache“), der bei der aktuellen Tatort-Produktion zudem als „Location-Scout“ (Drehort-Auskundschafter) fungierte. Das Tatort-Team sei „mit der festen Vorstellung, Kiel sei hässlich und langweilig“, angereist. „Das kann ich widerlegen“, sagte sich der seit 1987 in Kiel lebende Ex-Mainzer und hier diplomierte Architekt. Man war „so angetan, dass Drehbuchautor Orkun Erkerer sein Konzept umändern musste“, erzählt der 36jährige nicht ohne Stolz, denn er überzeugte mit vielen Kieler Motiven, die auch in seinem Kurzfilm vorkommen, wie Thiessenkai und Ostuferhafen.
„Außenmotive sind immer gefragt“, weiß Antje Reimer, Referentin der Schleswig-Holstein Film Commission (Lübeck), die seit 2002 über eine interaktive Motiv- und Adressdatenbank verfügt. Mit typisch nordischen Motiven ebenso wie so genannten „Look-a-likes“: Die Weite Falkensteins kann auch mal „Mittelmeer“ sein oder Friedrichstadt für einen Ausschnitt „Amsterdam“ herhalten. „Die Kommunen sind daran interessiert, die schönen Seiten zu vermarkten“, so Reimer. Doch nicht immer zählt die touristische Seite: „Für einen Filmemacher sind Rapsfelder im Mai, grüne Wiesen und Reetdachhäuser längst nicht immer das, was er sucht.“ Der brauche auch mal den „schmuddeligen Hinterhof oder die alte Autoverwertung“.
Der Vorteil Schleswig-Holsteins: „Wir haben unverbrauchte Drehorte.“ Und: Die Zusammenarbeit mit Ansprechpartnern bei Behörden sowie die Genehmigungen verläuft „unkompliziert“. Wichtig ist allerdings die gründliche Datenbankpflege und Nachrecherche. Bevor Stefan Krohmer für „Ende der Saison“ die alte Gießerei in Dietrichsdorf als Motiv „Kulturzentrum“ wählte, wollte er in der Alten Meierei drehen. Wegen des Lärms am Theodor-Heuss-Ring wich man auf das Musico-Gebäude an der Hörn aus. Doch zu Drehbeginn war es bereits abgerissen. „Ein klassisches Locationproblem“, erklärt Lorenz Müller von der Filmwerkstatt Schleswig-Holstein. „Man kann nie davon ausgehen, dass ein Gebäude, das man als Filmmotiv entdeckt hat, im nächsten Jahr noch zugänglich ist oder überhaupt noch steht.“ Als Scout müsse man „mindestens zwei bis drei Motive zur Wahl stellen, manchmal aber auch fünf bis sechs nachrecherchieren“, erklärt Jan von der Bank, oft seien Motive aber auch festgeschrieben: „Zum Schiffsausrüster Thiessen gibt es keine Alternative.“
Doch für ein gefaktes Kulturzentrum kommt keine Münchner Produktionsfirma nach Kiel. „Die meisten Anfragen kommen von Hamburger Firmen, die eh im Norden drehen“, so Antje Reimer. Ihre neueste Entdeckung für die Lübecker Datenbank: die Kieler Bunker, die dank des Kieler Liegenschaftsamtsleiters Hans Mehrens für zivile Nutzungen zur Verfügung stehen.
Und wo ist ein Team stationiert? Stefan Krohmer suchte für seinen Dreh ein Produktionsbüro mit mindestens sieben Räumen, 200 Quadratmeter, Stellplätze für zwei Licht- und einen Kostüm-LKW. „Das schüttelt man in der Kieler Innenstadt nicht so aus dem Ärmel“, sagt Lorenz Müller, der die Filmwerkstatt neben der Leihgabe technischer Geräte auch als „Tipp- und Infogeber“ bezeichnet. Schließlich sei man im Gewerbegebiet am Grasweg „großräumig untergekommen“. Und zentral, denn für die Berliner Crew seien Anfahrtstrecken von 20 bis 30 Kilometern an der Tagesordnung.
Noch schwieriger ist die Recherche von Innenmotiven. Drehte Rosa von Praunheim seine Kieler „Bettwurst“ 1971 in der Wohnung seiner Tante und Hauptdarstellerin Lucie Kryn, musste von der Bank eine „real bewohnte Wohnung“ für den Kommissar bei hauptsächlich Freunden suchen. Seit die „Hörzu“ ihren Lesern mal verriet: „So wird Ihr Wohnzimmer zum Drehort“, stünden die Telefone zwar nicht still, berichtet Film-Commission-Referentin Antje Reimer, die auch in Sachen Motiv-Vertrag, Miete und Versicherungsschutz berät. Der Bedarf an repräsentativen Büros wie „Anwaltszimmern“ oder imposanten Foyers scheint jedoch weit größer zu sein. Dass sich kaum jemand eine Vorstellung vom Aufwand bei Privatmotiven mache, bestätigt von der Bank: „Es kann schon mal passieren, dass ein Haus umgestrichen wird oder Schrankwände abgebaut werden, weil genau da die Kamera stehen muss.“ Aber natürlich werde alles wieder in den Urzustand gebracht. Bei der Tatort-Recherche sagten 90% der angefragten Institutionen und Privatleute die gewünschten Drehorte zu. Und fast alle kommentierten die Sache mit demselben Satz: „Und ich spiel‘ dann die Leiche.“ (Almut Behl)
Infos: Schleswig-Holstein Film Commission: Tel.: 0451-7907665, www.shfc.de.