Bildstörung des Mythos
Kai Zimmers „Electronic Portraits / Digitally mastered (EP/DM)“ im Künstlerhaus Lauenburg
Sind Bilder wahr, kann man Bildern trauen? Im Zeitalter der Digitalisierung ist man geneigt, diese Frage mit Nein zu beantworten, denn Bildverarbeitungsprogramme wie „Photoshop“ ermöglichen eine fast grenzenlose Manipulation, ohne dass man diese den Produkten ansehen kann. Aber schon vor der Digitalisierung der Bilder war obige Frage nicht leicht zu beantworten. Das klassische Tafelbild ist einerseits ein Abbild. Aber andererseits bedient es sich zum Beispiel der Perspektive, um Räumlichkeit vorzutäuschen, und ist somit auch ein Zeichen, das nicht identisch ist mit dem Abgebildeten.
In den bisher 15 Jahren seines künstlerischen Schaffens erzeugte Kai Zimmer (die Filmwerkstatt S.-H. unterstützte zuletzt die Produktion seines Kurzfilms „Transitions“) immer wieder Bilder, die das bloße Abbilden in Frage stellen. Um das Zweifelhafte der Bilder aus Film und Fernsehen aufzudecken, arbeitet Zimmer mit „Bildstörungen“. Das erste Ende eines belichteten Films wird normalerweise weggeschnitten. Auch die Aufnahmen, die eine Videokamera im Moment des Einschaltens produziert, sind normalerweise unbrauchbar. Aber Zimmer wählt gerade diese „zerschossenen“ Bilder aus, erzeugt sie mutwillig. Schon im Zyklus MINUTES IN AMERICA verfremdete er Filmszenen, indem er sie mit der „fehlerhaft“ arbeitenden Kamera abfilmte. Streifen zucken durch das Videobild, es bricht zusammen und entsteht wieder in seiner zeiligen Struktur. „Wie eine Schicht aus Milch- oder Riffelglas“ legt Zimmer „die Fehler des Systems“ Bilderfassung über die Bilder, um ihnen die Maske des Abgebildeten herunter zu reißen.
Ebenso bewusst wie diese Verfremdungstechnik wählt Zimmer aber auch die Bildinhalte aus, die er durch die (Zer-) Störungsmaschinerie der Elektronik jagt. Es sind mythisch aufgeladene Bilder. In TWO MINUTES IN AMERICA ist es eine klassische Westernszene, in CAMEO CASES sind es Ausschnitte aus Hitchcock-Filmen, in denen der Meister selbst ins Bild trat. Und auch bei den „Electronic Portraits / Digitally mastered – EP/DM“ begegnen uns, fast unkenntlich hinter dem Schleier aus Störungen, Hollywood-Ikonen, die drei „Psychopathen“-Darsteller, Perkins, Mitchum und Fröbe.
EP/DM #10 (Mitchum)
Wie in einem Filmstreifen montiert Zimmer jeweils sechs Momentaufnahmen aus einem „Film“, den er durch das An- und Ausschalten der Videokamera produziert hat. Wenn das Bild wackelt und zuckt, spielt der Zufall eine Rolle. Die Sequenzen lassen sich nicht reproduzieren. Geringe Temperaturschwankungen der Kamera zum Beispiel erzeugen ganz unterschiedliche „An- und Abschalt-Bilder“. Der Künstler greift in das Zufällige insofern ein, als er aus dem Material (25 Bilder pro Sekunde) jeweils sechs „Stills“ auswählt.
Aus dem Film wird dabei Fotografie, durch die Rahmung und Hängung entsteht zudem wieder ein klassisches Tafelbild. Wichtig ist für Zimmer bei dieser Transformation des „gestörten“ Bildes in ein digitales „Gemälde“, dass die abgebildeten Personen bereits tot sind. Von ihnen existieren überhaupt nur noch Bilder. Die Konterfeis der Filmstars zeigen Ikonen, gleichen beinahe Heiligenbildern. Insofern sind diese Bilder zweifelhaft, sie bilden nur scheinbar Realität ab, eigentlich verkörpern sie einen Mythos.
Kai Zimmers Verfremdung solcher Bilder durch ihre Zerstörung „entstellt“ das Mythische zur „Kenntlichkeit“. Einerseits den mythischen Bildinhalt, andererseits aber auch den Mythos den das Bild als solches entwirft, nämlich dass es vorspiegelt, identisch mit dem Abgebildeten zu sein. (jm)
Kai Zimmer: „15jähriges Dienstjubiläum“. Künstlerhaus Lauenburg (Elbstr. 54, 21481 Lauenburg), 21. März (Vernissage: 19 Uhr) bis 6. April. Öffnungszeiten: Do-Sa 15-18 Uhr, So 12-15 Uhr (und nach Vereinbarung unter Tel. 0179-1465516).