Der diskrete Charme des Proletariats
Good bye Lenin! (Wolfgang Becker, D 2003)
Die schräge, irgendwie in den 70ern stehen gebliebene „Pop Art“ der DDR hat 12 Jahre nach ihrem Untergang Konjunktur. Wie „Sonnenallee“ spielt auch Wolfgang Beckers „Good bye Lenin!“ (das Drehbuch stammt von Bernd Lichtenberg, dessen Film „Déja-vu“ die Kulturelle Filmförderung S.-H. förderte) mit dem heute absurd anmutenden Alltag des Ex-Landes. Anders als in „Sonnenallee“ wird der diskrete Charme des Proletariats hier allerdings nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern seine auf die Spitze der Abstrusität getriebene Beschreibung gerät zu einer heimlichen Hommage an jene DDR-Bürger, die ihr Land liebten, weniger aus ideologischen, denn aus (zwischen-) menschlichen Gründen.
Christiane Kerner (Katrin Saß) hat die „Wende“ nach einem Herzinfarkt im Koma verschlafen. Als sie wieder aufwacht, ist von dem Staat, in dem sie sich als „Trainerin“ der Jungen Pioniere und von Eingaben an die örtliche Parteileitung machenden Bürgern betätigte, nichts mehr übrig. Wäre da nicht ihr Sohn Alex (Daniel Brühl). Weil die Ärzte der Mutter jegliche Aufregung verbaten, stellt er die vergangene Wirklichkeit für sie minutiös nach, vom Mobiliar des Krankenzimmers bis zu Hollandgurken, die er in die Gläser jener aus dem Spreewald abfüllt. Doch der Siegeszug des Coca-Cola-Kapitalismus im umgekrempelten Alltag bringt die Camouflage ins Wanken. Immer Groteskeres muss Alex erfinden, um die ehemalige Aktivistin im Glauben zu lassen, die DDR existiere noch. Mit einem Freund fälscht er Nachrichten der „Aktuellen Kamera“, die verlauten, es gebe eine Fluchtbewegung von enttäuschten „Wessis“ in den Osten, der nunmehr für sie seine Grenzen geöffnet habe. Ob die Mutter den absurden Schwindel glaubt oder ihn nur als liebevolle Lüge ihres besorgten Sohnes akzeptiert, bleibt offen, denn auch sie hat eine lügnerische Leiche im Keller …
Real existierendes Interieur – Daniel Brühl
„Good bye Lenin!“ ist ein weiterer Film auf der Berlinale, der mit dem Thema der Illusion spielt und dies mit deutlichem Selbstbezug auf die bewegten Bilder des Mediums. Anders als „Sonnenallee“, der vorgibt DDR-Wirklichkeit widerzuspiegeln, ermöglicht die Fiktion der Fiktion jenen ironischen Abstand, der die beschriebene und nicht mehr existente Wirklichkeit weder verklärt, noch als Aquarium von Exotischem zeigt. Vor allem Off-Kommentare des Erzählers tragen dazu bei: „Spaziergänge für grenzenloses Spazierengehen“ nennt er die Demonstrationen vom Oktober 1989, der im „schwarz-rot-goldenen“ Fahnenappell versinkende Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 kommt als „Planübererfüllung unserer Nationalmannschaft“ daher.
Für Alex ist das mütterliche Krankenzimmer „ein Ort der Stille, weit ab von der Hektik“ jener Tage und damit auch ein von ihm geschaffener Uterus, wo die Welt noch in Ordnung ist. So oft sie das „in Wirklichkeit“ nicht ist, rennen wir ins Kino. Und „Good bye Lenin!“ rettet uns – ganz nebenbei – auch diesen immer mehr vergehenden Ort des charmanten wie komödiantischen Selbstbetrugs. (jm)