Mediatage Nord 2002

Wer soll regulieren – Markt oder Staat?

Der 6. Workshop bei den Mediatagen Nord diskutierte die Herausforderungen an europäisches Medienrecht.

Wenn der Staat rundfunkt, über öffentlich-rechtliche Anstalten und somit noch immer mit dem Kulturauftrag, den Rundfunk und Fernsehen einst hatten, wittern Wirtschaftsliberale wie auch manche EU-Kommissare zu viel Kontrolle auf dem Medienmarkt. Im uralten Zwist zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern um Werbequoten und Jugendschutz zeigt sich jedoch eine vorsichtige Annäherung. Stichwort: „Selbstkontrolle“. Wo sich der Staat aus seiner Rundfunkhoheit mehr und mehr zurückzieht, setzt man auf den freiwilligen Verzicht der (privaten) Veranstalter auf allzu Jugendgefährdendes und auf das kritische Auge des Zuschauers, der bei zu viel Werbung einfach abschaltet.

Der Markt soll regulieren, nicht der Staat. Und am Schalthebel der Programm- und damit Marktvielfalt, so hoffte Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis in ihrem Eingangsreferat zum 6. Medienworkshop „Europäisches Medienrecht – quo vadis?“, sitzt letztlich der eigentliche Souverän, der mündige Bürger mit seiner Fernbedienung.

Medienkonvergenz schafft Tatsachen

Doch kann diese Form der Demokratisierung, eine sich über den Markt selbst regulierende Medienvielfalt, ein Modell für Europa sein? Der Gesetzgeber, in diesem Fall die EU-Kommission mit ihrer Fernseh-Richtlinie, die aktuell zur Neufassung ansteht, hinkt dem technischen Fortschritt hinterher. TV via Internet unterliegt nämlich im Gegensatz zum herkömmlichen Fernsehen kaum einer Regulierung. Paradox: Derselbe Inhalt, der über die Mattscheibe im Wohnzimmer nicht flimmert, weil er gemäß des neuen Jugendschutzstaatsvertrages als jugendgefährdend eingestuft wird, strömt gleichzeitig „ungefiltert“ via Web-TV auf den Computerbildschirm im Kinderzimmer – Ergebnis einer Medienrechtsprechung, die der Medienkonvergenz noch zu wenig Rechnung trägt. Heide Simonis plädiert daher für eine EU-Richtlinie, die Inhalte reguliert, statt der Verbreitungswege.

Nicht beim Jugendschutz, aber bei der Werbung scheiden sich die Geister zwischen „Regulierern“ und „Deregulierern“. Simonis hält ein „Festhalten an den starren Werbebestimmungen für nicht mehr zeitgemäß“. Die Freiheit der Werbung sei „für die Entwicklung der privaten Medienangebote ein wesentlicher Faktor“. Simonis will „so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich“ regulieren. Medienwirtschaftler hören derlei gern, gerade auch weil die als Modell gepriesene Selbstregulierung mehr auf ihren „Good Will“ abzielt, als ihnen wirkliche, rechtlich auch einklagbare Fesseln anzulegen.

Freier Markt oder die Freiheit gefährdende Machtballung?

Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, gab dagegen zu bedenken, dass der freie Markt nicht so frei sei, wie er scheine. Im Gegenteil beobachte man eine zunehmende Medienkonzentration. Karin Junker, Europaparlamentarierin (SPD), zeichnete dazu ein schon jetzt beängstigendes Bild einer „unsittlichen Machtballung“ in Berlusconis Italien. Kleine Produktionsfirmen, die den großen TV-Anbietern zuarbeiten, seien von denen völlig abhängig und verwertungsrechtlich geknebelt, ergänzte Ring. Deshalb setzt er sich für eine europäische „Produktionsquote“ ein. Die soll die kleinen Produzenten stärken und damit die Medienvielfalt, die „nicht identisch sei mit der Vielzahl der Kanäle“.

Das Stichwort „Quote“ ist indes ein „rotes Tuch“, wenn jene Medienwirtschaft, die nicht gerade als Kleinstfirma am Rande der Kostendeckung produziert, mit am Tisch sitzt. Das weiß auch der Medienwissenschaftler Wolfgang Schulz vom Hamburger Hans-Bredow-Institut. „Ohne Werbung läuft nichts, aber auch nicht ohne normative Grundlagen.“ Wie diese aussehen sollen, darüber hat die Diskussion im Europa der „vielfältigen Kulturen“ gerade erst begonnen, während neue Techniken längst Tatsachen schaffen. (jm)

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