Ein Plädoyer für den kurzen Dokumentarfilm

„Short documentary“ als Spiel- und Erprobungsfeld für den Film-Nachwuchs

Wer heutzutage ein nicht ganz objektives Ranking für Spiel- und Dokumentarfilme in Europa aufstellt, kommt kaum am Norden des Kontinents vorbei. Sind die dänischen Spielfilmproduktionen der letzten Jahre, beflügelt durch das Label „Dogma 95“, auf internationalen Festivals und bei den Zuschauern sicher auf einem Spitzenplatz zu finden, so ist im Dokumentarfilm ein solcher Spitzenplatz den finnischen Produktionen nicht zu nehmen.

Wie ist ein solcher Erfolg zu erklären, der letzendlich nicht durch ein Label, sondern durch überzeugende, mitreißende Geschichten verursacht ist. Es kann wahrscheinlich nicht nur das Geld sein, trotz intensiver und frühzeitiger Förderung; es können aber auch nicht die kreativen Ressourcen allein sein bei Ländern mit jeweils einer vergleichbaren Population von zusammengenommen Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. Also muss es doch in den Strukturen, in der gesellschaftlichen und persönlichen Hinwendung zu Film und Medien Unterschiede oder deutlicher gesagt Vorteile geben.

Ein Unterschied lässt sich auch bei dieser oberflächlichen Betrachtung unserer Nachbarn sofort diagnostizieren: Die selbstverständliche Verknüpfung von kreativer Adaption neuer Inhalte, Formen und Technologien mit klassischer, arbeitsteiliger und effizienter Filmproduktion. Und daran geknüpft sind die ebenso wichtigen Vertriebswege.

Um im Dokumentarfilmbereich und beim Beispiel Finnlands zu bleiben: Es gibt dort die entsprechenden Kanäle und Sendeplätze im Fernsehen, Dokumentarfilmprojekte in internationalem Zusammenhang und Initiativen, die sich nicht nur an der kurzfristigen Verwertbarkeit der Produkte orientieren. Als konkretes Beispiel solch einer Initiative läuft auf dem 6. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide die Produktion „A Miner’s Tale“ aus Mozambique/Südafrika.

Was lässt sich aus der Betrachtung der Situation in Skandinavien einerseits und von erfolgreichen Produktionen hier im Lande andererseits ableiten? Eine wackelnde Kamera macht nicht schon einen erfolgreichen Film, weder im fiktionalen noch im dokumentarischen Bereich.

Verweilen wir – vor einem Plädoyer für den kurzen Dokumentarfilm – zunächst noch ein wenig bei zwei Kurzfilmen aus dem Programm von Augenweide: Die beiden Produktionen „Frag nicht nach Sonnenschein“ von Lena Jana Krajewski und „Chinesische Büstenhalter“ von Jan von der Bank sind Erstlingswerke, sind nicht an einer Filmhochschule entstanden, sind bescheiden mit Fördermitteln und Sponsorengeld finanziert und sind mit viel Beratung und Betreuung und großem persönlichen Einsatz aller Beteiligten realisiert worden. Bei Lena Jana Krajewski war das über ein Jahr intensive Arbeit mit Vorbereitung, Dreh und Postproduktion, ein schrittweiser Prozess von jeweils den abgeschlossenen Teil der Arbeit überprüfen und die nächsten Schritte vorbereiten und überprüfen und im Zweifel auch verwerfen und neue Wege gehen. Und dieser Weg beschreibt genau das, was weiter oben mit persönlicher Hinwendung beschrieben wurde.

Das heißt, der Kurzspielfilm ist neben seiner Eigenständigkeit als filmische Form auch ein Format zur Erprobung, zur Selbstausbildung auf hohem Niveau, zur Vorbereitung auf längere erzählerische Stoffe. Die Ergebnisse finden ihr Publikum auf Festivals wie dem Internationalen Kurzfilmfestival Anfang Juni in Hamburg, den Kurzfilmtagen im September in Flensburg oder beim Filmfest Schleswig-Holstein in Kiel. Allen Orten ist gemein das dort auch der wichtige Kontakt zwischen Autor/Regisseur und Publikum hergestellt wird um die eigene Arbeit besser einschätzen zu lernen. Eine Auswertung der Kurzfilme über das Fernsehen ist allerdings fast nur in den Sparten Arte und 3sat möglich.

Der Dokumentarfilm als die dem Realen verbundene filmische Form (ohne hier nur annähernd der komplexen und anhaltenden Diskussion zum Selbstverständnis der DokumentarfilmerInnen gerecht zu werden) findet dagegen – außer in Kommunalen Kinos – ohne das Fernsehen schwer sein Publikum. Im Gegensatz zum fiktionalen Film, der im Fernsehen mit mittleren und langen Formaten gut untergebracht ist, sind beim Dokumentarfilm entsprechend lange Sendeplätze bei den privaten TV-Anbietern gar nicht und bei ARD und ZDF nur wenige verfügbar. Daraus folgt hinsichtlich der Verwertungsmöglichkeiten – nicht zwingend, aber als Überlegung – die nachvollziehbare Bevorzugung der kürzeren und kurzen Formate, ohne allerdings den Anspruch des Autorenfilmers auf ein sorgältig und differenziert gestaltetes Werk aufzugeben. Als Beispiel läuft beim Filmfest eine Episode aus „Reeperbahn nebenan“ von Klaus Wildenhahn.

Es gibt also einen Markt für kurze Dokumentarfilme, auch wenn er noch geöffnet und verändert werden muss (siehe Finnland). Außerdem kommen die kurzen Formate durchaus den heutigen Sehgewohnheiten entgegen und können auch in fernsehtypischen Formen wie Serien („Reeperbahn nebenan“) mit oben zitiertem Anspruch unterhalten, aufrütteln oder begeistern (Grimme-Preis für „Der Tag, der in der Handtasche verschwand“ von Marion Kinz).

Des weiteren sind, besonders vor dem Hintergrund der starken Veränderungen in Produktionstechnik und Produktionskosten, kurze Dokumentarfilme ähnlich wie im Kurzfilm das Feld zur Erprobung der eigenen filmischen Ausdrucksformen.

Wenn weiter vorne vom Markt die Rede war, so ist damit nicht nur der Zwang zu immer stärkerer Ausrichtung von Inhalt und Form an den engen verwertungsorientierten Vorstellungen der Fernsehsender mit ihren globalen Rastern gemeint, sondern auch die Chance für unabhängige Produktionen ihr Publikum im nichtgewerblichen Markt, bei neugierigen, fragenden Zuschauern zu finden. (bgn)

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