Schwungkunst in Betonschalen

„Für den Schwung sind sie zuständig“ (D 2003, Margarete Fuchs)

Der „Teepott“ in Warnemünde, der Rettungsturm in Binz auf Rügen, das Planetarium in Wolfsburg – für in Spritzbeton gegossene schwungvolle Architekturlinien waren in der DDR die Statik-Akrobaten vom Ingenieur-Hochbau-Kombinat und dem VEB Spezialbetonbau Rügen zuständig. In den 60er und 70er Jahren wagten sie avantgardistische Tragwerke, die architektonische Schule machten und die Produkte der Betonwerker zu einem der Exportschlager des ersten und bisher einzigen sozialistischen Versuchs auf deutschem Boden.

Letzterer ist, wie man weiß, gescheitert, seine Beton-Bauten sind es nur partiell. Sie stehen wie eine Eins, selbst noch als Ruinen ausbleibender Re-Investoren. Die Dipl.-Ing.-Schwungkünstler der DDR, Ulrich Müther, Helmut Neudert und andere, können Beständigkeiten vorweisen, die auch 13 Jahre nach der „Einheit“ als unzerstörbare Monumente überdauern.

„Teepott“ in Warnemünde – einer von Müthers Bauten

Margarete Fuchs hat in ihrem Dokumentarfilm die Veteranen und Improvisationskünstler des Betonschalenbaus aufgesucht und porträtiert. Sie schreiten durch die verfallenden oder sporadisch reanimierten Bauten mit dem immer noch fachmännischen Blick, erkennen sich wieder in zittrigen Super-8- oder 16mm-Schwarzweiß-Streifen, wie sie auf Stahlgerüsten balancieren und in Verschalungsmeisterwerken der Gravitation trotzen, als sei die Überwindung gesellschaftlicher Schwerkraft nur eine Sache richtig organisierten Klassenkampfs.

Der Gravitation trotzen – Rettungsturm in Binz/Rügen

Die Verheißung des Sozialismus war, dass der gestaltende Mensch selbst dem Naturgesetz trotzen kann und die Ausbeutung als Konstituierendes der bürgerlichen Gesellschaft durch die schwungvolle Linie einer Betonschale von „nur sechs Zentimeter Dicke“ bildlich auszuhebeln weiß. Der Geschichtsoptimismus von Hegel und Marx goss sich in den Bauten jener Architektur-Avantgardisten gleichsam in denselben festen Beton, mit dem man die Mauer quer durch Berlin und Deutschland errichtete. Margarete Fuchs gelingt die symbolisch vieldeutige wie melancholisch-behutsame Skizze einer Vergangenheit, deren Aktualität in ihrer statisch perfekt ausgeklügelten Betonierung liegt.

Träume in Beton zu gießen, muss nicht Bunkermentalität bedeuten. Die Statiker von damals sind noch heute in Bewegung, als Gartenbauer oder Berichter von Schwierigkeiten, gegen Stasi-Engstirnigkeit ehedem auch den Westen wiederaufbauen zu dürfen. Der bestürzend zweckdienlichen Geradlinigkeit von Plattenbauten sollten die Schwungkünstler die Steilkurve entgegensetzen, die wie Zukunft und neue Gesellschaft aussieht – ein Illusionsunternehmen in Beton.

Dass die „sozialistischen Großeinheiten“ den Warnemünder „Teepott“ und das „Inselparadies“ in Baab auf Rügen so herrlich wie herrisch überdimensionierten, dass heutige Investoren entnervt abwinken, erscheint in Fuchs‘ Film als lässliche Sünde einer Geschichte, die vor ihrer Vollendung abgebrochen wurde. Ihre Gestalter sind mittlerweile Rentner mit weißhaarigem Reststolz auf vergangene Errungenschaften. „Ich wüsste nicht, dass wir mal ’ne Sache nicht gelöst hätten“, kolportiert Ulrich Müther im Rückblick den Balance-Akt des Bauens gegen Schwerkraft. Seine Kuppeln wölben sich noch immer. Verlassen zwar, aber so modern wie die Moderne sozialistischer Prägung nie war, bevor sie so explosionslos unterging wie ihre Bauten bombensichere Kunstwerke des schönen Schwebens sind. (jm)

„Für den Schwung sind sie zuständig“, D 2003, 58 Min., DigiBeta, Buch, Regie: Margarete Fuchs, Kamera: Andreas Faigle, Schnitt: Rudi Heinen, Co-Produktion: Busse & Halberschmidt Filmproduktion, Förderung: Kulturelle Filmförderung S.-H., Kulturelle Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern, Filmbüro NW. Bei „Augenweide“ am Sonntag, 25. Mai, 16 Uhr.

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