Vorpremiere von „Tot in Lübeck“

Ein Film von Charlotte Marsau, Katharina Geinitz, gefördert von der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein

„Wir mochten uns.“ So einfach schildert die Filmemacherin Charlotte Marsau ihren Zugang zum schleswig-holsteinischen Generalstaatsanwalt Erhard Rex. Der gewährte ihr immerhin einen ganzen Vormittag seiner kostbaren Zeit für ein ausführliches Interview, das ihn am Ende nicht besonders gut aussehen lässt.

Rex, ein solcher Name verführt zu Vergleichen: folgsamer Kettenhund oder selbstherrlicher Monarch? Zumindest sein Büro im Gebäude des Oberlandesgerichts in Schleswig, vis á vis des Gottorfer Fürstenschlosses, hat königliche Dimensionen. Kultivierte Bürgerlichkeit und professionelle Eloquenz prägen den Auftritt des netten Mittvierzigers im karierten Sakko. Kaum etwas lässt erahnen, dass es im folgenden um Mord und Totschlag gehen wird, um Brandstiftung und verkohlte Leichen.

Der rund hundertminütige Film, den Charlotte Marsau und Franz Isfort, Regieassistent und Dramaturg, am 18. Januar im Saal der Lübecker Arbeiter-Wohlfahrt als Vorpremiere präsentierten, setzt im Jahr 2002 ein. Seine Vorgeschichte beginnt jedoch auf den Tag genau sieben Jahre vor dieser Premiere: Am 18. Januar 1996 in der Lübecker Neuen Hafenstrasse, als ein Asylbewerberheim in Flammen aufging und zehn Menschen den Tod fanden. 38 Bewohner des Hauses wurden zum Teil schwer verletzt.

Bereits zuvor hatten Heime und Häuser gebrannt: Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln. Lübeck mochte sich da nicht einreihen. Was tatsächlich geschah, ist bis heute in letzter Konsequenz kaum zu klären; was nicht geschehen sein durfte, stand allerdings schnell fest: Zwischen Backsteingotik und Buddenbrooks war kein Platz für braune Brandstifter. Mit dankbarer Erleichterung griff man den Satz auf, den ein Sanitäter in der Brandnacht aus dem Mund eines überlebenden Libanesen vernommen haben wollte: „Wir waren’s!“ Zwei zum Geständnis stilisierte Wörter, die Verunsicherung schufen und die Solidarisierung mit den Opfern untergruben. Ein Politikum von bundesweiter Bedeutung wurde reduziert zur „Streiterei unter Ausländern“.

Was folgte waren Verhaftungen, Verhöre, Verhandlungen. Der Libanese wurde zweimal freigesprochen, doch den Fluch dieser beiden Worte wurde er bis heute nicht los. Sein Name und sein Gesicht sind der Öffentlichkeit im Gedächtnis geblieben. Vier Deutsche aus Grevesmühlen dagegen kamen nahezu unbehelligt davon, obwohl sie in der Tatnacht mit Brandspuren an Kleidung und Haaren angetroffen wurden und ihre rechtsextreme Gesinnung kein Geheimnis war. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt, trotz zahlreicher Ungereimtheiten und haarsträubender Mängel in der Beweisaufnahme. Gabriele Heinecke, die Lübecker Anwältin des Libanesen legte dagegen Beschwerde ein und wollte ein neues Verfahren gegen die vier Grevesmühlener erzwingen. Ihr Antrag wurde abgelehnt durch jenen Generalstaatsanwalt Rex, der nun im Film offen Rede und Antwort steht.

„Tot in Lübeck“ ist kein Dokumentarfilm im klassischem Sinn, und Charlotte Marsau weist alle journalistischen Ambitionen weit von sich, auch wenn der Film viele Elemente einer investigativen Reportage aufnimmt. Es geht ihr nicht um die Aufklärung eines Verbrechens, sondern um die Denk- und Funktionsweise der Justiz, deren erklärtes Ziel Rechtsprechung und nicht Gerechtigkeit ist. Die meisten Protagonisten in dieser Dokumentation sind Juristen, berufsmäßige „talking heads“, was vom Publikum streckenweise Geduld und Sitzfleisch erfordert, denn es geht haarklein ins Detail. Die merkwürdigen Indizien reichen von einer unversehrten Klopapierrolle neben dem angeblichen Hauptbrandherd bis hin zu einer verkohlten Leiche ohne Ruß in der Lunge. „Das sind alles einzelne Mosaiksteinchen, von denen man nicht auf das Gesamtbild schließen darf“, warnt der Generalstaatsanwalt immer wieder. Doch genau das tut dieser Film mit lustvoller Hartnäckigkeit. Er reiht Detail an Detail, Indiz an Indiz, bis man sich als Zuschauer tatsächlich fragt, wie all das unter den Tisch fallen konnte, wie so viel Schlamperei möglich sein soll, ohne dass Vorsatz im Spiel ist.

Zwischen den textlastigen Passagen findet der Film schlüssige Bilder: „Stadt im Licht“ heißt die Groß-Installation, die seit 2001 den Lübecker Winterhimmel erleuchtet, finanziert von Kirchen und Kaufmannschaft. Grüne Laserstrahlen verbinden die berühmten sieben Kirchtürme mit dem Burgtor und dem Holstentor. Eine eingängige und doppeldeutige Metapher: Es geht darum, eine gerade Linie von A nach B zu ziehen und eins und eins zusammenzuzählen. Doch dabei ergeben sich immer mehr Überschneidungen, ein Liniengewirr bis hin zum reinen Filz.

Charlotte Marsau möchte den Film nicht als Dokumentation sondern als künstlerische „Eulenspiegelei“ verstanden wissen. Diesen respektlos-naiven Ansatz teilt sie mit Filmen wie „Bowling for Columbine“ von Michael Moore, der sogar einem Highschool-Massaker noch unterhaltsame Seiten abgewinnen kann, ohne die Opfer zu verraten. Doch „Tot in Lübeck“ ist weit entfernt von Moores rotzfrechem Witz und seinem temporeichen Rhythmus. „Die Zumutung ist gewollt“, kommentiert Charlotte Marsau die spröde Machart ihres Films. „Das Publikum darf gerne auch Aggressionen entwickeln.“

Das könnte durchaus passieren, denn leider vertraut der Film nicht einfach auf das Potential seines Materials, sondern leistet sich einen Kabarettisten alter Schule als Kommentator. „Die Lübecker Moritat“ ist ein Programm, das Dietrich Kittner eigens zum Lübecker Brandanschlag geschrieben hat. Man sieht ihn beim Live-Auftritt und auch direkt in die Kamera agieren. Der Wortwitz, mit dem er das Geschehen kommentiert, ist keineswegs platt oder einfallslos, doch der deklamierende Brustton, mit dem er seine Pointen herausschleudert, beginnt schnell zu nerven. Moritat hin, Eulenspiegel her: Wer diese Form des öffentlich-rechtlichen Betroffenheits-Kabaretts nicht mag, wird es schwer haben mit dem Film.

So wie sich „Tot in Lübeck“ inhaltlich dem Infotainment verweigert, so kultiviert er auch auf der technischen Ebene eine Schlichtheit, die im Zeitalter der digitalen Bildgewitter geradezu archaisch anmutet. „Mein persönliches Requiem für die 16mm-Technik“ nennt Charlotte Marsau diesen Schwarz-Weiß-Film, der klassisch am Steenbeck von Katharina Geinitz und ihr montiert wurde. Die „ambulante Kamera“, die im Abspann erwähnt wird, ist eine federwerkgetriebene Bolex, mit der sich die Filmemacherin schon im Himalaya herumtrieb oder sich vor die Füße von Heide Simonis warf, wenn es sein musste. Hohe Materialpreise, bescheidene Tonqualität und mangelnde Abspielmöglichkeiten erleichtern dennoch den Wechsel zu digitalen Videoformaten. Für die Kamerastudenten der Potsdamer Filmhochschule Konrad Wolff, die zum Großteil für die Bildgestaltung verantwortlich zeichnen, war es vielleicht eine der letzten Gelegenheiten in dieser Technik dokumentarisch zu arbeiten.

Ganz zu Beginn des Films hört man eine gesprochene Einleitung von Hansi Jochmann, der deutschen Synchronstimme von FBI-Agentin „Clarice Starling“ alias Jodie Foster. Das ist kein schlechter Einstieg, denn ob man den Film nun mag oder nicht – er wird mit Sicherheit dazu beitragen, dass die Lämmer nicht einfach zum Schweigen gebracht werden.

„Tot in Lübeck“ ist eingereicht beim Schweizer Dokumentarfilmfestival „Visions du réel“ in Nyon und beim Dokumentarfilmfest München. Nach den Wünschen der Filmemacherinnen soll die offizielle Schleswig-Holstein-Premiere im Rahmen des Filmfests Augenweide (23.-25.5.) in Kiel stattfinden. (Lorenz Müller)

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