Privates als Symptom seiner Zeit
Premiere: „Auf demselben Planeten“ von Katrin Eißing
Anlässlich der Einweihungsfeier des neuen Domizils der Filmwerkstatt Schleswig-Holstein in der Kieler Pumpe am 18.11. zeigte die Kulturelle Filmförderung S.-H. e.V. in Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Kino Katrin-Charlotte Eißings Dokumentarfilm „Auf demselben Planeten“ (gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.), der am 2. Dezember auch in der ZDF-Reihe „Kleines Fernsehspiel“ zu sehen war.
Am Anfang des Films sieht man ein kleines Mädchen mit einem Glasscherbenstück hantieren und hindurchschauen, dann unruhige Super-8-Bilder von einem Sonnenuntergang im Zeitraffer am Nordseestrand, dazu Gitarrenrock, es folgt ein Schwenk über alte Schwarzweißfotos von vier spielenden Kindern am Strand, dann eine Einstellung von einem Mann (Arne) alleine am Strand. Stimmungsvolle Bildfragmente zu der Familien- bzw. Jugendgeschichte der Filmautorin, die durch Befragung von Brüdern und Mutter nachzuvollziehen und zu verstehen versucht, was mit ihr und ihren Geschwistern in den 70ern geschah. Letzte Antworten können nicht gegeben werden, insofern bleibt die in gut 80 Minuten erzählte Geschichte ebenfalls fragmentarisch. Was dann von den drei Brüdern, der Mutter und von Katrin Eißing berichtet wird, ist die Geschichte einer nicht stattgefundenen Erziehung. Vier Kindern bzw. Jugendliche werden von ihren Eltern meist sich selbst überlassen und müssen sehen, wie sie damit eher nicht zurechtkommen.
Arne
Die Eltern verstecken ihre Ohnmacht und Unachtsamkeit hinter fortschrittlichen Hinweisen auf antiautoritäre Erziehungsgedanken von Summerhill. „Es war immer so ein Abstand da, das man sich vorstellen konnte, allein aufzuwachsen“, erinnert sich Arne, der älteste der Geschwister. Er bricht als erster aus, reist als 16jähriger per Anhalter mit Billigung seines Vaters mit einem befreundeten Dealer nach Italien, später nach Indien. Er wird drogensüchtig und leidet unter einer schizophrenen Erkrankung, deren Symptome anfangs von seiner Umwelt und seinen Eltern nicht erkannt, sondern nur als Folge seines Rauschgiftkonsums gedeutet werden. Selbst später, als er seinen Vater mit dessen Holzbein für den inkarnierten Teufel hält, der sich seinen Pferdefuß abgeschnitten hat, überlassen ihn Vater und Mutter lange Zeit der Verwahrlosung auf der Straße.
Parallel zur Erzählung von Arne beschreibt vor allen Dingen seine Mutter ihre Hilflosigkeit. Für sie, die im Alter von 20 Jahren einen 24 Jahre älteren Mann heiratet, wird die Ehe zum Debakel. Aus Angst sich unbeliebt zu machen, versäumt sie es, Grenzen zu setzen, was sie heute als verantwortungslos beurteilt. Auch die beiden jüngeren Brüder müssen es lernen, meist völlig alleine zurechtzukommen. Einer von ihnen, Niels, begreift Arnes Schicksal als ein Opfer, durch das er letztlich „die Kurve gekratzt“ habe.
Rätselhaft bleibt der Vater. „Absolut undurchsichtig“, urteilt Niels, als er ein älteres Gespräch des Verstorbenen auf einem Video seiner Schwester sieht. Karl Eißing, Arzt und eine Kapazität auf dem Gebiet der Hypnose, galt im Heimatort bei Schleswig als Autorität und wurde quasi als „Dorfschamane“ verehrt. Doch in der Familie hatte er sich wohl von Frau und Kindern „emotional verabschiedet“ und völlig von ihnen entfremdet.
Karge und kalte Winterlandschaft und ein Spaziergang der erwachsenen Geschwister mit ihren Kindern durch das gefrorene Nordseewatt bilden den Rahmen für die Familiengespräche. Das Eis aufbrechen will dieser Film. So persönlich er auch ist – die privaten Nöte, die er beschreibt, sind als Symptome „ihrer Zeit“ zu verstehen und somit von allgemeinen Interesse. (Helmut Schulzeck)