62. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2012

Meisterliche Sozialsatiren

Kawashima-Yuzo-Retrospektive

Kawashima Yuzo ist einer dieser Regisseure des klassischen japanischen Studiosystems, die selbst in den relativ wenigen Jahren ihres Schaffens eine enorme Anzahl an Filmen produziert haben. Geboren 1918, begann seine Karriere im Filmgeschäft 1938 als Regieassistent im Shochiku-Studio unter Shibuya Minoru und Kinoshita Keisuke. Von 1944 bis zu seinem frühen Tod 1963 realisierte Kawashima Yuzo 51 Projekte. Einige seiner Filme rangieren noch heute unter den japanischen All-Time-Favourites, doch außerhalb Japans ist Kawashima Yuzo kaum bekannt. Nach der Shibuya-Minoru-Reihe in 2011 präsentierte das Forum in diesem Jahr eine dreiteilige Mini-Retro mit Kawashima-Filmen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise mit den Realitäten im urbanen Nachkriegs-Japan auseinandersetzen und das Bild einer Gesellschaft im Umbruch zeichnen. Dass seine Filme für westliche Zuschauer auch heute noch sehr zugänglich sind, mag am Einfluss von Kawashimas Mentor Shimazu Yasujiro (Forum-Retrospektive 2010) liegen, einem wichtigen Regisseur der von amerikanischen und europäischen Filmen inspirierten „New Gendai-Geki“ (moderne Sozialdramen im zeitgenössischen Milieu). In der japanischen Filmtradition ist Kawashima Yuzo das Bindeglied zum weitaus bekannteren Imamura Shohei, einem der wichtigten Vertreter der japanischen Nouvelle Vague der 60er („The Insect Woman“, JAP 1963; „The Pornographers“, JAP 1966). Imamura betrachtet Kawashima noch heute als seinen wichtigsten Lehrer.
Kawashima Yuzo (Foto: Berlinale)
Der Titel des ältesten Films „Between Yesterday and Tomorrow“ („Kino to ashita no aida“, JAP 1954) ist programmatisch für die gesamte Reihe. Kawashima Yuzo spürt der elektrisierten, hypermotivierten Wiederaufbau-Generation nach. Die temporeiche Roman-Adaption nach einer Vorlage von Inoue Yasushi folgt einem jungen Mann von ruhelosem Unternehmensgeist, der zunächst eine Fluggesellschaft gründet und später Kriegsschiffe bergen wird. Deutlicher als in den beiden anderen Filmen der Mini-Retro nimmt Kawashima in „Between Yesterday and Tomorrow“ Bezug auf den für Japan verlorenen Krieg. Insbesondere die japanischen Männer möchten die Niederlage durch ein Wirtschaftswunder kompensieren und vergessen machen. Dabei sind ihre unternehmerischen Bemühungen immer auch Aufräumarbeiten und Re-Integration der Kriegsgeneration in ein ziviles Leben.
In „Suzaki Paradise: Red Light“ („Suzaki Paradeisu Akashingo“, JAP 1956) nutzt Kawashima Yuzo die Topografie eines zerstörten, verslummten Tokyos für einen ungeschönten Blick auf die Nachkriegsjahre als Zeit der Unsicherheit, der Übergänge und der moralischen Orientierungslosigkeit. Zu Beginn des Films steht ein junges, obdachloses Paar unentschlossen an einem Torbogen auf der Mitte einer Brücke. Es ist der Eingang zum Rotlicht-Bezirk „Suzaki Paradise“. Die Rückkehr in die Prostitution wäre für die junge Frau, Tsutue, eine Option, die Rettung aus der finanziellen Not verspricht. Es wäre allerdings auch die totale moralische Bankrotterklärung. In einer kleinen Schenke, die von einer verlassenen Mutter dreier Kinder betrieben wird, findet sie schließlich Anstellung als Animierdame und beide ein Dach über dem Kopf. Für ihn, Yoshiji, findet sich nur schwer ein Job, was ihm reichlich Zeit lässt, sich seiner Eifersucht hinzugeben. Als er schließlich als Lieferbursche in einem Nudelrestaurant Anstellung findet, hat sich Tsutue bereits einem gutsituierten Kunden als Geliebte an den Hals geworfen. Solidarität ist sogar unter Liebhabern keine Selbstverständlichkeit mehr, im Nachkriegs-Tokyo wird um das tägliche Überleben gekämpft. Die Frauen in „Szuzaki Paradise“ entwickeln dafür die besseren Strategien. Die Männer haben nicht nur den Krieg verloren, sie flüchten vor der Verantwortung in den Alkohol oder die käufliche Liebe. Wenn Tsutue und Yoshiji am Ende der Geschichte wieder vor dem Torbogen zum „Suzaki Paradise“ stehen schließt sich kein Kreis und es ist nichts gewonnen. Sie stehen lediglich wieder am Anfang.
In einem anderen Tokyoter Vergnügungsviertel, Shinagawa, spielt „The Sun In The Last Days Of The Shogunate“ („Bakumatsu Taiyoden“, JAP 1957). Auch wenn der Film als Jidai-Geki, also als Historienfilm der Edo-Periode, und im Gewand einer überdrehten Burleske daherkommt, stellt Kawashima Yuzo durch einen frechen Zeitsprung am Anfang des Films den Bezug zur Gegenwart des Nachkriegs-Japans her: 1957 flanieren in Shinagawa junge japanische Mädchen in Petticoats mit amerikanischen GIs. 1862, wenige Jahre vor dem Ende des Tokugawa-Shogunates, rebelliert ein Grüppchen von Samurais gegen das Shogunat und plant ein Bombenattentat als Protest gegen die Präsenz von westlichen Handelsvertretern. Die Parallelen sind offensichtlich, 1862 wie 1957 befand sich Japan im Umbruch und musste seine Position im politischen Weltgefüge neu bestimmen.
Ein Freudenhaus ist der zentrale Ort für eine Reihe kurioser Einzelgeschichten in „Bakumatsu Taiyoden“: Hier finden die konspirativen Treffen der Samurais statt, ein Handwerker mit Spielschulden will seine Tochter an das Haus verkaufen, zwei Geishas streiten sich um einen Kunden, bis die eine sich in einen übertrieben romantisierten Doppel-Liebestod stürzen will, ein Trickbetrüger prellt seine Bordell-Zeche und wird deshalb zum Hausdienst verdonnert. Dieser Hochstapler Saheiji, gespielt vom beliebten Komödianten Frankie Sakai, ist es dann, der sich durch seine schnelle Auffassungsgabe und geschicktes Lavieren schnell unersetzlich macht und viele der Probleme zur Zufriedenheit aller und natürlich zu seinem eigenen Vorteil aus der Welt schafft. Auch in „Bakumatsu Taiyoden“ wird ein großer, in diesem Fall historischer Kreis gezogen, durchaus mit einer positiven Konnotation. Japan hat es bereits 90 Jahre zuvor verstanden, sich auf das neue Zeitalter der Moderne einzustellen. Kein Wunder, dass „Bakumatsu Taiyoden“ auch in aktuellen Kritikerumfragen einen Platz unter fünf beliebtesten Filmen hält: Die Leichtigkeit, mit der Yuzo Kawashima diese Botschaft vermittelt – und im Vorbeigehen noch ein paar Genres der japanischen Populärkultur veralbert – ist zumindest für Japan-Kenner ein Fest. (dakro)
„Kino to ashita no aida“ („Between Yesterday and Tomorrow“), JAP 1954, 120 Min., Regie: Kawashima Yuzo, Darsteller: Tsuruta Koji, Tsukoka Yumeji, Awashima Chikage, Shindo Eitaro u.a.
„Suzaki Paradeisu Akashingo“ („Suzaki Paradise: Red Light“), JAP, 1956, 81 Min., Regie: Kawashima Yuzo, Darsteller: Aratama Michiyo, Mihashi Tatsuya, Todoroki Yukiko, Ashikawa Izumi u.a.
„Bakumatsu Taiyoden“ („The Sun in the Last Days of the Shogunate“), JAP 1957, 110 Min., Regie: Kawashima Yuzo, Buch: Kawashima Yuzo, Imamura Shohei, Tanaka Keiichi, Darsteller: Sakai Frankie, Hidari Sachiko, Minamida Yoko, Ishihara Yujiro u.a.
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