Nordische Filmtage Lübeck 2002
Das 15. Filmforum Schleswig-Holstein auf den Nordischen Filmtagen
Dreißig von sechzig eingereichten Filmen hatte die neue Leiterin des Filmforums Schleswig-Holstein Angela Buske ausgesucht. In dreizehn Vorstellungen von Donnerstag bis Sonntag wurden vor allem Dokumentar- und Kurzfilme der mit dem Land verbundenen Filmschaffenden gezeigt.
Spielfilme
Spielfilme bilden gewöhnlich die Ausnahme im Programm des Filmforums Schleswig-Holstein. Lars Büchel und Janek Rieke z.B., hier gern gesehene Gäste, stecken noch in der Pre-Production ihrer neusten Filme. Neben Anne Alix mit dem Roadmovie „Dream Dream Dream“ lieferte der Lübecker Miguel Alexandre wie fast jedes Jahr seinen neuesten Film ab: „Das Geheimnis des Lebens“ – ein TV-Movie für Sat1 mit Désirée Nosbusch und Günther Maria Helmer in den Hauptrollen. War seine Komödie „Schutzengel gesucht“ im vorigen Jahr auf dem Forum ein gelungenes Beispiel für gute Fernsehunterhaltung, so kommt Alexandres diesjähriger Krimi hingegen sehr reißerisch und in seiner Geschichte arg hanebüchen daher. Désirée Nosbusch als renommierte Genforscherin und Anwärterin auf den Nobelpreis wechselt die Fronten und wird zur Kämpferin gegen das Klonen. Wie dringend geboten das ist, zeigt sich, als ein Kollege mit Unterstützung eines mörderischen Kardinals und einer niederländischen Biotec-Firma beginnt, aus Blutspuren des Turiner Grabtuchs Jesus zu klonen. Na, zu viel versprochen? Nichts gegen Désirée Nosbusch, im Gegenteil, aber diesen Plot hatte sie wirklich nicht verdient.
Das Geheimnis des Lebens
Das Filmforum will einen Querschnitt durch das hiesige Filmschaffen der vergangenen 12 Monate bieten. Da bleibt es natürlich nicht aus, dass auch eine ganze Reihe von Filmen zu sehen waren, die einem kundigen Publikum durch Leinwand oder Fernsehen schon bekannt sind. Ob „Süßhunger“ von Christoph Corves, „Carl F. W. Borgward – Aufstieg und Fall eines Autokönigs“ von C. Cay Wesnigk, „ad acta“ von Antje Hubert und Olga Schell in der Dokumentarfilmsparte, der experimentelle Film „Faites vos jeux“ der Filmgruppe Chaos / A.K.A.S. e.V. oder die Kurzfilme „Frag‘ nicht nach Sonnenschein“ von Lena Jana Krajewski, „Chinesische Büstenhalter“ von Jan van der Bank und „Transitions“ von Kai Zimmer. Über alle haben wir in infomedia-sh.de/aktuell schon berichtet und verweisen deshalb diesbezüglich auf unsere Links.
Dokumentationen
Das Leben voller Mühsal und Gefahren in den Marmorbrüchen von Carrara und den Nachbarorten versucht Michael Trabitzsch in seinem Dokumentarfilm „La Strada del Marmo – Die Marmorstraße“ zu beschreiben. Der Film will mehr durch Atmosphäre als durch Fakten überzeugen, lädt ein, sich auf ein anderes als unser gewohntes Zeitmaß einzulassen. In stillen Bergdörfern, in denen die Zeit stehen geblieben scheint, lebt ein geduldiger Menschenschlag. Stolze Männer und Frauen sprechen von ihrer harten Arbeitswelt und ihrem entbehrungsreichen Alltag. Mehr noch als diese Geschichten erzählen jedoch die Bilder in den mehr als 2000 Meter hohen imposanten Brüchen und den pittoresk wirkenden Dörfern. Verwundete Berge in spröder Schönheit, gegerbte Gesichter, Ruhe und Gleichmut, die stärker scheinen als alle Maschinen und Motoren-Lärm am Berg.
La Strada del Marmo – Die Marmorstraße
Noch eine Dokumentation aus dem Süden Europas: „Das Schweigen der Götter“, ein Film über den griechischen Regisseur Theo Angelopoulos von Gerald Koll für 3Sat. Eine erhellende Entdeckung der Langsamkeit. Angelopoulos erzählt intensiv über seinen Weg zum Film, seine Sucht nach Kinematografie, der er mit anderen „Kinoratten“ zu Beginn der 60er Jahre in der Pariser Cinematheque verfiel, von der griechischen Diktatur und natürlich von seinen Filmen. Kino als Deutungsmöglichkeit des Lebens, als Weg zu sich selbst, der Mythos des ewig Reisenden und Suchenden in seinen Filmen und in seinem Leben, Bezüge zur jüngsten griechischen Geschichte. Klug überlässt Koll dem griechischen Meister das Reden, das Erläutern. Er kommentiert und illustriert hingegen durch Filmbilder, durch Ausschnitte aus Angelopoulos‘ Filmen und durch eigene Aufnahmen, die immer wieder den Hafen und die Küste von Thessaloniki und Fiorina, Lieblingsdrehorte des Griechen, in ruhigen, langen Einstellungen abbilden. Dazu schwelgt die elegische Musik von Eleni Kaiandrou, dem Filmkomponisten von Angelopoulos. Gerald Kolls Film nimmt einem die Schwellenangst vor Angelopoulos, man wird neugierig auf sein Werk.
Das Schweigen der Götter
„Undine – eine Schiffsreise“ von Stefan Adam zeigt, wie auf einem sechsmonatigen Segeltörn mit dem Segelfrachtschiff „Undine von Hamburg“ sechs schwererziehbare Jugendliche im Alter zwischen 13 und 16 Jahren „resozialisiert“ werden sollen. Der Film dokumentiert authentisch nah und ungeschönt offen das Scheitern dieses pädagogischen Versuchs. Die Jungen, die sich freiwillig für diese Schifffahrt beworben haben, sollen unter Aufsicht von vier Pädagogen lernen, soziale Verantwortung zu übernehmen, sich in eine Gemeinschaft einzuordnen, ein Team zu bilden. Wer die aufgestellten Regeln nicht einhält, der kann „rausgeschmissen“ werden, er kann aber auch freiwillig „kündigen“. Und dieses Aufgeben bzw. Heimgeschicktwerden ist für alle bis auf einen der Ausgang dieses Experiments. Erstaunlich unverstellt geben sich die Jugendlichen vor der Kamera. So wird das Filmteam Zeuge der tagtäglichen Aggressionen, Konflikte und der letztendlichen Ohnmacht der Erzieher. Den Grenzerfahrungen, der Pflicht zur Einordnung auf der Ostsee begegnen die Jugendlichen immer häufiger mit demonstrativer Verweigerung und mit Fluchtversuchen bei den Landgängen. Die anderen „pädagogischen Reisen“ der „Undine“ sollen erfolgreicher verlaufen sein. Pech, dass es gerade bei dieser Tour so gar nicht klappte. In den letzten Jahren waren (auch auf den Nordischen Filmtagen) schon einige Filme über die Resozialisierung Jugendlicher durch Bewährung in Ausnahmesituationen zu sehen. Doch selten ergab sich die Möglichkeit, so offen und hautnah die typischen Konflikte zu verfolgen, wie hier. So birgt gerade deshalb diese Dokumentation einen besonderen Erkenntniswert.
Undine – eine Schiffsreise
Zwei Filme von Wilfried Hauke aus Kiel zeigten die Nordischen Filmtage. In „Schwestern im Leben“, (Eröffnungsfilm der Nordischen) treffen sich die skandinavischen Schauspielerinnen Liv Ullmann, Bibi Anderson und Ghita Nørby für eine Woche in einer wunderschönen Villa in Skagen. Drei Frauen feiern bescheiden und zugleich offen ihre gegenseitige Freundschaft und sprechen über ihre Kindheit, über ihren Beruf, über ihre Charaktere, ihre Beziehungen zu einander. Sie sind in einem Alter, in dem sie nach einem Leben voller Theater und Film vor allen Dingen sie selbst sein wollen und nicht mehr der Spiegel für andere (z.B. Ingmar Bergman, der besonders Anderson und Ullmann, in dieser Hinsicht in seinen Filmen „verwendete“). Die Villa und die wunderbare, windige, sandige Landschaft von Skagen scheinen wie ein Katalysator für ihre Offenheit zu wirken. Und zum Glück, Wilfried Hauke lässt sie sein; nur selten stören überinszenierte Momente (wie zwei wuchtige Kranfahrten) den harmonischen Eindruck. Den drei außergewöhnlichen Frauen gelingt im trialogischen Ordnen ihrer Gedanken eine kleine Bestandsaufnahme ihrer Leben. Leerstellen bleiben, aber gerade durch dieses Fragmentarische gewinnt der Film an Reiz.
Schwestern im Leben
Haukes zweiter Film „Club der noblen Dichter“ erzählt die Geschichte des Literatur-Nobelpreises. Wir erfahren, wie es zu diesem Preis kam, wie er gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Preiskomitee der Schwedischen Akademie missbraucht wurde, wie man in Stockholm auf das Auf und Ab der Zeitläufe des vergangenen Jahrhunderts reagierte. Das Ganze ist überaus erhellend und unterhaltsam, zumal auch mit Kritik nicht gespart wird. Allein, dass sich es Regisseur Wilfried Hauke nicht erspart hat, parallel zur interessanten Historie des Preises eine bisweilen arg konstruierte, fiktive Geschichte einer „idealen“ Leserin zu inszenieren, schmälerte das Vergnügen an seiner Dokumentation ein wenig.
Kurzfilme
Kurzfilme gab’s auf dem Filmforum Schleswig-Holstein anderthalb Dutzend. Leider hatten eine ganze Reihe von ihnen nicht nur keine Handlung, was für sich genommen noch nicht beklagenswert ist, sondern auch keinen Inhalt. Wenn jetzt nicht auf alle positiven Gegenbeispiele eingegangen wird, so liegt das nur daran, dass hier eine subjektive Auswahl getroffen wurde.
„Die große Operation“ von Till Franzen ist ein wunderbarer kleiner Film über Freundschaft. Kommissar Boll und Bankdirektor Bahnsen (gespielt von Hans Teuscher und Klaus Herm) fahnden nach einem Bankräuber. Doch das scheint beiden nur ein Vorwand zu sein, zumal die Geschichte nicht unbedingt auf einen gewohnt nachvollziehbaren Krimiplot setzt, sondern diesen eher durch scheinbar unlogische Fortläufe der Kriminalrecherche ad absurdum führt. Eigentlich geht es auch um etwas anderes, um das Anfreunden zweier alter Männer, die sich in ihrer neuen Freundschaft so behaglich einrichten, dass selbst die homoerotische Komponente, die manch einen Betrachter bisweilen beschleichen mag, humorvoll vom Tisch gefegt werden kann. Der Film besticht vor allem durch seine Atmosphäre, die mit den Worten urig, sentimental und leicht verträumt nur unzureichend widergegeben werden kann. Statt Täter und Beute finden Boll und Bahnsen am Ende in einer surreal anmutenden Szene, in der beide in einem Koffer den Zugang zum Paradies entdecken und so in diesen Koffer steigen, das Glück.
Die große Operation
„Duo in Utero“ von Klaus Oppermann erzählt die vergnügliche Geschichte der beiden Zwillingsföten Max und Marie im Bauch ihrer Mutter. Tricktechnisch wunderbar gemacht bekommen wir so einen Einblick in ihre tagtäglichen Streitereien, ihre „Revierkämpfe“ und wie sie auf Harmonie und Konflikte ihrer elterlichen Außenwelt reagieren. Spannend wird’s noch einmal in den Momenten vor der Geburt, bei der Marie kleinmütig quasi in einen Streik tritt und sich weigert mit ihrem Brüderchen ans Tageslicht zu kommen.
Duo in Utero
Humorvoll geht es auch in „Sängerknaben“ von Frank D. Müller zu. Die beiden Kleinganoven Benny und Niko haben sich aufs problemlose Ausplündern von ahnungslosen Omis spezialisiert, bei denen sie sich aus angeblicher Nächstenliebe Zutritt und Gehör verschaffen. Doch dann treffen sie eines Tages auf eine rabiate Tochter, die sie restlos entwaffnet und entkleidet.
Sängerknaben
Böse Zungen könnten meinen, das ganze sei nur ein 11 Minuten lang währender Witz. Dem wäre entgegenzuhalten, dass er immerhin eine Handlung hat – und auch Inhalt. (Helmut Schulzeck)